Rückblick auf die 44. Legislaturperiode |
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1. Staatspolitik und Rechtsordnung
93.024 |
Gleichstellung von Frau und
Mann. Bundesgesetz |
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Egalité entre femmes et
hommes. Loi |
Botschaft: 24.02.1993 (BBl I, 1248 / FF I, 1163)
Ausgangslage
Das Bundesgesetz über die Gleichstellung von Frau und Mann
soll die Durchsetzung des Rechts auf gleichen Lohn gemäss Artikel 4 Absatz 2
der Bundesverfassung erleichtern. Gleichzeitig wird auch der in der Verfassung enthaltene
Gesetzgebungsauftrag konkretisiert, generell für die Gleichstellung im Arbeitsbereich zu
sorgen. Der Entwurf ist ein weiterer wichtiger Schritt in Richtung Gleichstellung. Um die
von der Verfassung verlangte Gleichstellung zu erreichen, müssen aber auch in andern
Bereichen Massnahmen getroffen werden, vor allem in der Sozial- und Familienpolitik und im
Bildungswesen. Solche Massnahmen sind nicht nur Aufgabe des Bundes, gefordert sind auch
die Kantone und Gemeinden sowie die Privaten, speziell die Sozialpartner.
Das Gesetz hatte ausserdem das EWR-Recht im Bereich der
Gleichstellung von Frau und Mann umzusetzen, indem es ein Diskriminierungsverbot aufgrund
des Geschlechts im Erwerbsleben - auch beim Berufszugang - vorsah und den Schutz vor
Rachekündigungen verbesserte. Auch nach der Ablehnung des EWR-Vertrags durch Volk und
Stände bleibt die Europafähigkeit der schweizerischen Rechtsordnung wichtig. Eine
optimale Allokation von Ressourcen und ein von Strukturverzerrungen freier Wettbewerb sind
notwendig. Die Gleichstellung von Frau und Mann auf dem Arbeitsmarkt und der Abbau von
Diskriminierungen tragen dazu bei. Der Gesetzesentwurf entspricht im wesentlichen dem
EG-Recht auf diesem Gebiet, womit der Rückstand gegenüber unseren Nachbarländern
aufgeholt wird.
Das Gesetz ist auf alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
in der Privatwirtschaft und in den öffentlichen Verwaltungen von Bund, Kantonen und
Gemeinden anwendbar.
Der Gesetzesentwurf sieht ein Verbot jeder Diskriminierung
aufgrund des Geschlechts im Erwerbsleben vor; darin eingeschlossen sind auch die
Anstellung und die Entlassung. Das Verbot umfasst direkte und indirekte Diskriminierungen.
Bei Verletzung des Verbots stehen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Rechtsansprüche zu,
die denjenigen von Artikel 28a des Zivilgesetzbuches entsprechen. Bei der Anstellung
und der Entlassung können sie jedoch nur eine Entschädigung verlangen, wie dies schon
Artikel 336a des Obligationenrechts vorsieht.
Weiter sieht der Gesetzesentwurf Massnahmen zur besseren
Durchsetzung des Rechts auf gleichen Lohn und des Rechts auf Gleichbehandlung im
Erwerbsleben vor:
- die Umkehr der Beweislast, wenn eine Diskriminierung
glaubhaft gemacht wird;
- ein Klage- und Beschwerderecht für
Arbeitnehmerorganisationen und für Organisationen, welche die Gleichstellung der
Geschlechter zum Ziel haben;
- einen verstärkten Schutz gegen Rachekündigungen, die
künftig anfechtbar sein werden;
- die Verpflichtung der Kantone, ein Schlichtungsverfahren
vorzusehen;
- die Anwendbarkeit von Artikel 343 des
Obligationenrechts für Streitigkeiten nach dem Bundesgesetz über die Gleichstellung von
Frau und Mann, und zwar unabhängig vom Streitwert.
Vorgesehen sind auch Finanzhilfen zur Förderung von
Programmen öffentlicher oder privater Organisationen zugunsten der Gleichstellung von
Frau und Mann.
Die Stellung des Eidgenössischen Büros für die
Gleichstellung von Frau und Mann wird im Gesetz verankert. Seine hierarchische Stellung
wird derjenigen eines Bundesamtes oder Dienstes im Sinne von Artikel 58 Absatz 1
Buchstabe C des Verwaltungsorganisationsgesetzes entsprechen.
Verhandlungen
NR |
09.03.1994 |
AB 1994, 228, 247 |
NR |
17.03.1994 |
AB 1994, 480, 495, 509 |
SR |
20.09.1994 |
AB 1994, 808 |
NR |
31.01.1995 |
AB 1995, 185 |
SR |
15.03.1995 |
AB 1995, 317 |
NR |
20.03.1995 |
AB 1995, 761 |
NR / SR |
24.03.1995 |
Schlussabstimmungen A (105:47 / 31:4)
Schlussabstimmungen B (139:29 / 42:0) |
Wie umstritten diese Vorlage war, ging schon daraus hervor,
dass im Nationalrat ein Nichteintretensantrag Sandoz (L, VD) und zwei
Rückweisungsanträge Aubry (R, BE) und Bortoluzzi (V, ZH) sowie mehr als
30 Abänderungsanträge zu dem 18 Artikel umfassenden Gesetz vorlagen. Nach
einer rund vier Stunden dauernden und teilweise emotional geführten Eintretensdebatte, in
der aber doch die sachlichen Argumente und die Einsicht überwogen, dass dieses Gesetz
überfällig sei, wurden der Nichteintretens- bzw. die Rückweisungsanträge deutlich
abgelehnt.
In der Detailberatung schloss sich das Plenum in den
meisten Punkten den Anträgen der Mehrheit der bürgerlich dominierten Kommission an. So
sprach sich die grosse Kammer nach einem längeren Rededuell für eine engere Definition
des Tatbestandes der sexuellen Belästigung aus und wollte dafür die Beweislast allein
bei den Frauen belassen. Vergeblich monierten Sprecherinnen von SP, GP und LdU/EVP, die
Stellung der Frauen werde dadurch gegenüber der heutigen Praxis verschlechtert. Gegen die
Kommissionsmehrheit konnten sich lediglich Anträge durchsetzen, welche die Vorlage noch
weiter abschwächten. Eine von Ducret (C, GE) angeführte Minderheit erreichte so, dass
anstelle eines generellen Diskriminierungsverbotes mit einer erklärenden Aufzählung eine
restriktivere, abschliessende Auflistung von Diskriminierungen eingeführt wurde, wobei
Stellenausschreibung und Anstellung aus dem Katalog gestrichen wurden. Unter das
Diskriminierungsverbot sollten nur Aufgabenzuteilung, Arbeitsbedingungen, Entlöhnung,
Aus- und Weiterbildung, Beförderung und Entlassung fallen. Auch in der Frage der
Beweislastumkehr wurde die Haltung der Kommissionsmehrheit übernommen. Die generelle
Erleichterung der Beweislast zugunsten der Frauen war als eine Art
"Schicksalsartikel" der gesamten Vorlage erachtet worden. Die
Kommissionsmehrheit wollte das Prinzip jedoch lediglich bei Lohngleichheitsklagen gelten
lassen. Sie argumentierte, dass einzig die Lohnungleichheit objektiv mess- und
feststellbar sei, in den anderen Bereichen hingegen von vagen Vermutungen ausgegangen
werden müsse.
Zu harten Diskussionen kam es beim Verbandsbeschwerderecht,
ein weiterer Grundpfeiler des Gleichstellungsgesetzes. Von rechtsbürgerlichen Kreisen
wurde verlangt, den Verbänden sei das Klagerecht nur mit Einwilligung der betroffenen
Frauen zuzugestehen. Nachdem Bundesrat Koller darauf aufmerksam gemacht hatte, dass das
Bundesgericht bereits heute das Klagerecht der Berufsverbände nicht vom Einverständnis
der Betroffenen abhängig macht, wurde dieser Passus des Gesetzes mit deutlichem Mehr in
der ursprünglichen Fassung angenommen, allerdings auf Antrag von Spoerry (R, ZH) in dem
Sinne präzisiert, dass die Verbände vor einer Klage das Gespräch mit dem Arbeitgeber
suchen müssen.
Im Bereich des Kündigungsschutzes setzten sich die
Vorschläge des Bundesrates durch. Demnach kann die Kündigung einer Arbeitnehmerin, die
aus Rache für eine vorgängige Gleichstellungsbeschwerde ausgesprochen wird, angefochten
werden. Keine Chance hatte ein Antrag von Felten (S, BS), Rachekündigungen seien
schlechthin für nichtig zu erklären. Klar wurde auch die Aufwertung des eidg. Büros
für die Gleichstellung von Frau und Mann gutgeheissen. Das Büro soll direkt dem
Departement des Innern unterstellt werden, um Dienstwege zu verkürzen und Prestige zu
schaffen. Trotz dem Hinweis einiger Ratsmitglieder auf die leeren Bundeskassen fanden auch
die gesetzlichen Bestimmungen für Finanzhilfen an Förderungsprogramme und
Beratungsstellen für Frauen Zustimmung. In der Gesamtabstimmung passierte das neue Gesetz
mit 114 zu 35 Stimmen.
Der Ständerat erwies sich als bedeutend
frauenfreundlicher und machte die Entschärfungsversuche des Nationalrates in weiten
Teilen rückgängig. In der Eintretensdebatte wandte sich niemand gegen die Vorlage. Die
Standesvertreter warnten allerdings vor übertriebenen Hoffnungen. Den Tenor der
Diskussionen fasste der Basler SP-Ständerat Plattner zusammen, als er sagte, das Gesetz
werde in jedem Fall weit hinter den Hoffnungen der Befürworter zurückbleiben - aber auch
weit hinter den Befürchtungen der Gegner.
In der Detailberatung beschloss der Ständerat, wieder zu
der vom Bundesrat vorgeschlagenen generellen und nicht abschliessenden Definition des
Diskriminierungsverbotes zurückzukehren, um den Richtern die Möglichkeit zu geben, neu
auftauchende Diskriminierungen in Zukunft ebenfalls zu erfassen. Als Mittelweg zwischen
Bundes- und Nationalrat entschied er, dass die Frauen inskünftig von der Anstellung bis
zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses vor geschlechtsbedingter Benachteiligung
geschützt werden sollen. Ein Antrag Coutau (R, GE), gleich wie der Nationalrat die
Anstellung vom Tatbestand der Diskriminierung auszunehmen, wurde mit der Begründung
abgelehnt, dass damit das Gesetz zum Papiertiger verkomme, da es im Extremfall dadurch
umgangen werden könnte, dass man einfach keine Frauen einstellt. Die Stellenausschreibung
wurde hingegen vom Katalog ausgenommen, da es erwiesenermassen Aufgaben gebe, die
geschlechtsspezifisch seien.
Eine Differenz zum Nationalrat schuf der Zweitrat auch bei
der erleichterten Beweisführung in Zusammenhang mit Diskriminierungsklagen
(Beweislastumkehr). Er dehnte den Grundsatz, wonach die Arbeitnehmerin die Diskriminierung
nur glaubhaft zu machen hat, worauf es dann am Arbeitgeber ist, das Gegenteil zu beweisen,
wieder auf alle Sachverhalte zwischen Anstellung und Auflösung des Arbeitsverhältnisses
aus. Vorbehalten bleibt nur die sexuelle Belästigung. In dieser Frage vertrat der
Ständerat einhellig die Meinung, Klägerin und Angeklagter hätten hier einen
ebenbürtigen Wissensstand, da anders als in den anderen Bereichen die Beweismittel nicht
allein in der Hand des Arbeitsgebers konzentriert seien. Um die Stellung der Frauen
dennoch zu verbessern, verstärkte die kleine Kammer den Schutz vor sexueller Belästigung
im Obligationenrecht (Art. 328 OR).
Unbestritten war, wie schon im Nationalrat, der Schutz vor
Rachekündigungen sechs Monate über das gerichtliche Verfahren hinaus. Beim
Verbandsklagerecht wurde ein Antrag Coutau (R, GE), dieses nur unter der Bedingung der
expliziten Zustimmung der betroffenen Personen zuzulassen, gleich wie im Erstrat deutlich
abgelehnt. In der Gesamtabstimmung wurde die Vorlage schliesslich einstimmig angenommen.
Bei der Bereinigung der Differenzen folgte der Nationalrat
in weiten Teilen dem Ständerat. Beim Diskriminierungsverbot stimmte er mit 102 zu 72
Stimmen dem Beschluss der kleinen Kammer zu. In der Frage der sexuellen Belästigung
beschloss der Nationalrat gegen den Widerstand einer linksgrünen Minderheit eine
aufzählende Beschreibung. Eine gewichtige Differenz verblieb bei der Regelung der
Beweislast bei Klagen wegen geschlechtsbedingter Diskriminierungen. Hier schloss sich der
Rat mit 89 gegen 87 Stimmen der von Schmid Samuel (V, BE) angeführten Minderheit an.
Danach soll die Beweislasterleichterung nur bei Lohngleichheitsklagen gelten. Beim
Verbandsklagerecht übernahm der Nationalrat, wiederum mit einem knappen
Stimmenverhältnis, die grosszügigere Regelung des Ständerates. Eine von Allenspach (R,
ZH) angeführte Minderheit hatte das Verbandsklagerecht insofern einschränken wollen, als
bei Einzelklagen das Einverständnis der betroffenen Person hätte eingeholt werden
müssen.
Der Ständerat nahm bei der Frage der
Beweislasterleichterung mit 24 zu 16 Stimmen einen Kompromissvorschlag an, in welchem die
Anstellung gestrichen worden war. Die erleichterte Beweisführung gilt nun für die
Diskriminierung bei der Aufgabenzuteilung, der Gestaltung der Arbeitsbedingungen, der
Entlöhnung, der Aus- und Weiterbildung, der Beförderung und der Entlassung.
Im Nationalrat setzte sich bei der Frage der
Beweislasterleichterung eine Minderheit II durch, welche Zustimmung zum Beschluss des
Ständerates beantragt hatte.
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