Rückblick auf die 44. Legislaturperiode

1. Staatspolitik und Rechtsordnung

93.128 Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht. Bundesgesetz
Droit des étrangers. Mesures de contrainte

Botschaft: 22.12.1993 (BBl 1994 I, 305 / FF 1994 I, 301)

Ausgangslage

Obwohl die Zahl der Asylsuchenden in der Schweiz im letzten Jahr massiv gesunken ist und auch 1993 keine übermässige Erhöhung erfahren hat, bleibt das Thema Asyl ein Politikum ersten Ranges. Bereits seit längerer Zeit beschäftigt sich die breite Öffentlichkeit mit dem Problem der Asylbewerber in der Drogenszene, die unter dem Schutz des Asylrechts ihre Drogengeschäfte abwickeln. Der Missbrauch des Gastrechtes, das die Schweiz politisch Verfolgten gewährt, durch eine Minderheit von delinquierenden Ausländern und die Probleme, die der Vollzug von Entfernungsmassnahmen selbst rechtskräftig weggewiesener Asylbewerber und Ausländer den Behörden verursachen, liessen vermehrt Forderungen nach verschärften gesetzlichen Massnahmen laut werden.

Die Bundesbehörden trugen durch eine Reihe von organisatorischen Massnahmen zur beschleunigten Behandlung der Asylgesuche und zur Wegweisung von negativ in Erscheinung getretenen Asylbewerbern bei. Gleichzeitig beabsichtigte der Bundesrat, im Rahmen der Überführung des Bundesbeschlusses über das Asylverfahren (AVB) ins ordentliche Recht per 1. Januar 1996, die gesetzlichen grundlagen für Zwangsmassnahmen zu schaffen, mit dem primären Ziel, den Wegweisungsvollzug von Asylbewerbern und illegal anwesenden Ausländern zu verbessern und groben Missbräuchen des Asylrechts vorzubeugen. Infolge der Dringlichkeit des Problems kam der Bundesrat jedoch den vielfältigen politischen Forderungen entgegen und entschied im Herbst dieses Jahres, dass jener Teil der Revision vorzuziehen und in einem beschleunigten ordentlichen Gesetzgebungsverfahren als separates Massnahmenpaket einzuführen sei.

Die nun unterbreitete Vorlage soll durch eine Revision des Bundesgesetzes vom 26. März 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer und durch einige spezifische Ergänzungen im Asylgesetz den Vollzug von Wegweisungen bei Ausländern, die keine Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung haben, sicherstellen. Dazu sieht der Entwurf die Einführung einer Vorbereitungshaft von höchstens drei Monaten noch während der Vorbereitung des Entscheids über die Aufenthaltsberechtigung vor. Zudem wird die heute auf einen Monat beschränkte Ausschaffungshaft auf sechs Monate ausgedehnt und die Möglichkeit geschaffen, sie mit Zustimmung einer kantonalen richterlichen Behörde um weitere sechs Monate zu verlängern. Ferner soll in Zukunft einem Ausländer unter bestimmten Voraussetzungen ein Gebiet zugewiesen werden können, das er nicht verlassen darf, respektive ein Gebiet verboten werden können, das er nicht betreten darf.

Verhandlungen

NR 03.03.1994 AB 1994, 74, 93, 140
SR 08.03.1994 AB 1994, 109
NR 14.03.1994 AB 1994, 336
SR 15.03.1994 AB 1994, 272
NR 16.03.1994 AB 1994, 399
NR / SR 18.03.1994 Schlussabstimmungen (111:51 / 37:2)

Der Nationalrat hatte sich zunächst mit zwei Nichteintretens- und drei Rückweisungsanträgen auseinanderzusetzen. Währenddem die Vorlage bei den bürgerlichen Bundesratsparteien und den kleinen Rechtsparteien eine breite Unterstützung fand, warnten Stimmen aus der SP, der CVP, der LdU/EVP und der GPS vor unverhältnismässigen Eingriffen in die persönliche Freiheit. Die Nichteintretensanträge wurden mit 143 zu 34 Stimmen abgelehnt, die Rückweisungsanträge mit 83 zu 45 und 109 zu 45 Stimmen. In der Detailberatung ging die Volkskammer in mehreren Punkten weniger weit als der Bundesrat. Die Ausschaffungshaft soll höchstens sechs (und nicht neun) Monate dauern, und Kinder unter 15 Jahren dürfen nicht in Vorbereitungs- oder Ausschaffungshaft gesetzt werden. Der Nationalrat stimmte im weiteren der "Lex Letten" zu, einer Bestimmung, die Ausländern ohne anerkannten Aufenthaltsstatus verbietet, ein bestimmtes Gebiet zu betreten oder zu verlassen. Diese Rayonzuweisung ist in erster Linie als Massnahme gegen Drogendealer gedacht. Der Rat sprach sich auch deutlich gegen die private Unterbringung abgewiesener Asylbewerber ("Kirchenasyl") aus. Neu kann ein Richter die Durchsuchung einer Wohnung oder anderer Räume anordnen, wenn der Verdacht besteht, dass sich ein weg- oder auszuweisender Ausländer darin verborgen hält.

Die ständerätliche Debatte war gekennzeichnet durch eine nüchterne, sachliche, rechtsstaatliche Diskussion der beantragten Massnahmen. Skeptiker meldeten sich nur vereinzelt zu Wort. Die Ausschaffungshaft wurde wieder auf neun Monate verlängert. In der Frage, wer die Vorbereitungs- oder Ausschaffungshaft anordnen darf, hiess der Rat mit 33 gegen 7 Stimmen einen Kompromissvorschlag gut. Zwar soll die Fremdenpolizei die Haft anordnen, innerhalb von vier Tagen muss aber der Richter den Häftling selbst anhören und entscheiden, ob die Haft rechtmässig und angemessen ist.

Der Nationalrat hielt in der Frage der Haftanordnung in einer Abstimmung unter Namensaufruf mit 91 zu 86 Stimmen an seiner ursprünglichen Haltung, der Haftanordnung durch den Richter, fest. Bei der Frage der Ausschaffungshaft entschied sich der Rat für eine Variante mit drei Monaten Grunddauer und sechs Monaten Verlängerungsdauer, welcher nachher auch der Ständerat zustimmte, der in der Erstberatung sechs Monate Grunddauer und drei Monate Verlängerungsdauer beschlossen hatte.

Der Ständerat beharrte bei der Haftanordnung auf der Kompetenz der Fremdenpolizei, worauf sich der Nationalrat mit 96 zu 78 Stimmen dieser Lösung anschloss.

Nachdem ein Komitee erfolgreich das Referendum ergriffen hatte, wurde das Gesetz in der Volksabstimmung vom 4. Dezember 1994 sehr deutlich angenommen (vgl. Anhang G).

Legislaturrückblick 1991-1995 - © Parlamentsdienste Bern

 

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