Rückblick auf die 44. Legislaturperiode |
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12. Sozialpolitik
90.021 |
10. AHV-Revision |
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10e révision de
l'AVS |
Botschaft: 05.03.1990 (BBl II, 1 / FF II,1)
Ausgangslage
Unmittelbar nach dem Inkrafttreten der neunten AHV-Revision
(1.1.1979) begannen die Vorarbeiten für die zehnte Revision der AHV. Der Bundesrat legt
in seinem Entwurf vier Massnahmenpakete vor:
- Massnahmen zur Verwirklichung der Gleichberechtigung von
Mann und Frau: Dabei will der Bundesrat noch auf einen Wechsel zu einem Splitting-System
verzichten und am Ehepaarkonzept festhalten. Die Ehepaarrente soll aber inskünftig im
Regelfall jedem Ehegatten hälftig und getrennt ausbezahlt werden. Gleichzeitig soll auch
die Stellung der geschiedenen Frauen verbessert werden und eine Witwerrente eingeführt
werden. Das Rentenalter soll einstweilen noch unverändert bei 62 Jahren für Frauen und
65 Jahren für Männer belassen werden. Der Bundesrat ist der Ansicht, dass Ausnahmen vom
Grundsatz der Gleichberechtigung aufgrund der heute noch geltenden Verhältnisse in
Gesellschaft und Wirtschaft gerechtfertigt sind.
- Sozialpolitische Verbesserungen: Der Bundesrat schlägt die
Einführung einer Hilflosenentschädigung mittleren Grades in der AHV vor. Eine Änderung
der Rentenformel soll zudem Versicherten, die in ihrer Aktivzeit nur geringe Einkommen
erzielt haben (Alleinerziehende, Kleinbauern, Kleinverdiener) zugute kommen.
- Einsparungen: Ausserordentliche Renten sollen abgeschafft
und durch Ergänzungsleistungen ersetzt werden. Im weiteren soll die Zusatzrente für die
Ehefrau in der AHV aufgehoben werden.
- Einführung des Rentenvorbezuges: Der Bundesrat schlägt zur
teilweisen Flexibilisierung des Rentenalters die Einführung des Rentenvorbezuges für
Männer ab 62 Jahren vor.
Die Grundkosten der zehnten AHV-Revision betragen nach
Ablauf einer Übergangsfrist 476 Millionen Franken für die AHV und 52 Millionen für die
IV pro Jahr.
Verhandlungen
Als Erstrat begann der Ständerat im März 1991 mit
der Behandlung der Vorlage (siehe Legislaturrückblick 1987-1991, S.215f). Eintreten wurde
trotz Gegenanträgen mit 30 gegen 13 Stimmen beschlossen. Der Ständerat folgte im
wesentlichen dem bundesrätlichen Entwurf, so auch in der Frage des Rentenalters.
Die Kommission des Nationalrates zur Vorberatung der
10. AHV-Revision wollte vor der Detailberatung der bundesrätlichen Vorschläge das
zivilstandsunabhängige System (Splitting-Modell) eingehend prüfen. Weil deshalb mit
Verzögerungen zu rechnen war, hat die Kommission beschlossen, zwei dringliche
sozialpolitische Massnahmen sowie die Finanzierungsvorschläge in einen auf 31.12.1995
befristeten Bundesbeschluss zu kleiden und dessen Inkraftsetzung auf den 1.1.1993 zu
beantragen. Sämtliche Artikel des Bundesbeschlusses entsprechen unverändert Vorschlägen
gemäss Botschaft zur 10. AHV-Revision und sind ohne präjudizierende Wirkung in Bezug auf
das Splitting-Modell.
10. AHV-Revision (1. Teil). Bundesbeschluss über
Leistungsverbesserungen in der AHV und der IV sowie ihre Finanzierung
10e révision de l'AVS (1ère partie). Arrêté fédéral concernant les
améliorations de prestations dans l'AVS et l'AI, ainsi que leur financement
NR |
04.03./17.03.1992 |
AB 1992, 296 u. 514 |
SR |
02.06.1992 |
AB 1992, 317 |
SR / NR |
19.06.1992 |
Schlussabstimmungen (41:0 / 136:2) |
Der Nationalrat folgte weitgehend den Vorschlägen
seiner Kommission, namentlich auch zur Aufteilung der Vorlage. Zusätzlich beschloss er,
die Verbesserung der Renten der geschiedenen Frau bereits in diese vorgezogene Revision
aufzunehmen. Umstritten war diese Frage, weil Befürchtungen laut wurden, mit dieser
Regelung werde der allfällige Systemwechsel erschwert. Den geschiedenen Rentnerinnen
wurde zudem eine Erziehungsgutschrift zugesprochen. Ebenfalls gegen den Willen der
Kommissionsmehrheit setzte sich der Antrag durch, die Ehepaarrenten, die ab Inkrafttreten
dieses Bundesbeschlusses neu entstehen, den beiden Ehegatten je zur Hälfte und getrennt
auszurichten.
Nach kurzer Diskussion schloss sich der Ständerat
in allen Punkten der grossen Kammer an. Weil sich die Vorlage grösstenteils auf die
Vorlage des Bundesrates abstützte, hatte sie der Ständerat bereits bei seiner ersten
Beratung der damals noch nicht aufgetrennten Vorlage behandelt. Einziger Diskussionspunkt
war die vom Nationalrat neu aufgenommene Regelung für geschiedene Frauen.
94.419 |
Parlamentarische
Initiative (Kommission-NR 90.021)
10. AHV-Revision. Verlängerung des Bundesbeschlusses |
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Initiative
parlementaire (Commission-CN 90.021)
10e révision de l'AVS. Prolongation de l'arrêté fédéral |
Bericht: 23.08.1994 (AB 1994 N 1367)
Ausgangslage
Der Bundesbeschluss vom 19. Juni 1992 über
Leistungsverbesserungen in der AHV und der IV sowie ihre Finanzierung (1. Teil der 10.
AHV-Revision, siehe oben) ist bis 31. Dezember 1995 befristet. Diese Befristung wurde
gewählt, weil 1992 mit einem Inkrafttreten der 10. AHV-Revision auf den 1. Januar 1996
gerechnet wurde. Der für das Inkrafttreten vorgesehene Zeitpunkt wird nicht mehr
eingehalten werden können. Der Bundesbeschluss vom 19. Juni 1992 ist materieller
Bestandteil der 10. AHV-Revision. Die Kommission hält es daher für gerechtfertigt, ihn
auch ohne bundesrätliche Botschaft unverändert um ein Jahr zu verlängern.
Verhandlungen
NR |
21.09.1994 |
AB 1994, 1367 |
SR |
03.10.1994 |
AB 1994, 981 |
SR / NR |
07.10.1994 |
Schlussabstimmungen (178:0 / 38:0) |
Beide Räte stimmten der Parlamentarischen Initiative und
damit der Verlängerung des Bundesbeschlusses bis zum 31. Dezember 1996 diskussionslos zu.
Für den 2.Teil der 10. AHV-Revision erarbeitete die
nationalrätliche Kommission einen eigenen Gesetzesentwurf, den sie noch während
der Behandlung des 1.Teils vorstellte. Das Modell unterscheidet sich grundsätzlich von
dem des Bundesrates, insbesondere durch den Systemwechsel zum individuellen,
zivilstandsunabhängigen Rentenanspruch (Splitting). Damit der verheiratete Partner ohne
Erwerbseinkommen dennoch auf adäquates rentenbildendes Einkommen kommt, werden ihm
jährlich Erziehungs- oder Pflegegutschriften in der dreifachen Höhe einer Minimalrente
gutgeschrieben. Die Kommission sprach sich auch für eine neue Rentenformel aus. Anstatt
45% sollen 60% der AHV-Rentner Anspruch auf eine Maximalrente haben. Am umstrittensten war
die Festsetzung des Rentenalters. Die Kommission schlägt vor, dass es für Männer bei 65
Jahren bleibt und für Frauen in zwei Schritten auf 64 Jahre erhöht wird. Insgesamt sind
mit Zusatzkosten von 900 Millionen Franken zu rechnen.
Bundesrat Cotti sprach sich nun ebenfalls für die
Einführung des Splittings bereits bei der 10. AHV-Revision aus.
10. AHV-Revision (2. Teil)
10e révision de l'AVS (2e partie)
Bericht der Kommission: AB 1993 N 207
SR |
19.-21.03.1991 |
AB 1991, 232 (siehe Legislaturrückbl.
1987-91, S.215) |
NR |
09.-11.03.1993 |
AB 1993, 207 |
SR |
08./09.06.1994 |
AB 1994, 546 |
NR |
21.09.1994 |
AB 1994, 1342 |
SR |
03.10.1994 |
AB 1994, 979 |
NR |
04.10.1994 |
AB 1994, 1676 |
SR / NR |
07.10.1994 |
Schlussabstimmungen (37:2 / 138:27) |
Die Vorlage wurde in beiden Räten kontrovers und
detailliert diskutiert, was sich auch an den rund 250 Druckseiten im Amtlichen Bulletin
ablesen lässt. Die Vorschläge der Kommission überzeugten in fast allen Fragen auch die
Mehrheit des Nationalrates. Vier Rückweisungsanträge, die namentlich eine
Kostenneutralität anstrebten, wurden zu Beginn der Beratungen deutlich verworfen. Zu
reden gab die Plafonierung der beiden Einzelrenten von Ehepaaren auf 150% der einfachen
Altersrente. Obwohl eine Benachteiligung der Ehe erkannt wurde, beschloss der Rat aus
finanziellen Überlegungen daran festzuhalten. Am meisten kritisiert wurde der
Kommissionsvorschlag zur Erhöhung des Frauenrentenalters. Eine ganze Reihe von
Minderheitsanträgen schlugen verschieden Varianten vor: vom gleichen Rentenalter 65 für
Mann und Frau bis zur Ruhestandsrente ab 62. Für die Erhöhung des Rentenalters wurde
geltend gemacht, dass mit der 10. AHV-Revision die Gleichstellung der Frauen in anderen
Belangen verwirklicht werde. Die Massnahme sei auch als Beitrag an die höheren Kosten zu
werten, die im nächsten Jahrtausend auf die AHV zukämen. Auch hier entsprach die
Ratsmehrheit der Kommissionsmehrheit mit 101 gegen 68 Stimmen und beschloss damit die
schrittweise Einführung des AHV-Alters 64 für Frauen (dies geschah am gleichen Tag, an
dem eine Frau in den Bundesrat gewählt wurde). SP, Grüne und PdA kündigten ihren
Widerstand gegen diesen Entscheid an. Beim AHV-Beitrag der Selbständigerwerbenden wich
der Rat vom Antrag der Kommission ab: statt 8,1% sollen sie nur 7,8% bezahlen.
Selbständigerwerbende müssten allein für ihre Altersvorsorge aufkommen, und die
Motivation für die Gründung eines Unternehmens dürfe nicht gemindert werden, hielten
die Gegner der Erhöhung fest. In der Gesamtabstimmung wurde der Revision mit 92 zu 22
zugestimmt.
Weil die ständerätliche Kommission die von der CVP neu
vorgeschlagene Einheitsrente genau prüfte, zog sich die Differenzbereinigung der Vorlage
um ein weiteres Jahr in die Länge. Ein Gutachten des Bundesamtes für Sozialversicherung
prognostizierte für das Modell Einheitsrente Mehrkosten in der Höhe von rund vier
Milliarden Franken. Zudem hätte der Wechsel zur Einheitsrente die 10. AHV-Revision um
Jahre verzögert. Auf Antrag seiner Kommission beschloss der Ständerat einstimmig
sich dem vom Nationalrat vorgeschlagenen Splitting-Modell anzuschliessen. Am meisten zu
reden gab die Erhöhung der Frauenrentenalters. Neben der langfristigen Verbesserung der
Finanzlage der AHV führte Kommissionsprecher Kündig (C, ZG) an, die Rentendauer der
Frauen sei länger als diejenige der Männer und die von den Gegnerinnen und Gegnern der
Heraufsetzung angeführte Lohnungleichheit zwischen Männern und Frauen von 30% gehöre
der Geschichte an; wissenschaftliche Studien belegten, dass diese Differenz noch 8% bis
13% betrage. Auf der anderen Seite wehrte sich Josi Meier (C, LU) gegen die Erhöhung des
Frauenrentenalters. Ein Rentenjahr für Männer koste nach wie vor doppelt so viel wie ein
Rentenjahr für die Frauen. Nichts könne schlagender beweisen, dass man noch meilenweit
von einer Lohngleichheit entfernt sei. Volk und Stände hätten einem
Mehrwert-Steuerprozent zur Deckung von Demographielücken grundsätzlich schon zugestimmt.
Splitting und Betreuungsgutschriften seien kein Geschenk, wie oft gesagt werde, sondern
eine an sich längst fällige Anerkennung von unverzichtbaren Tätigkeiten im Interesse
der ganzen Gesellschaft. Mit 31 gegen 10 Stimmen sprach sich auch der Ständerat für die
Erhöhung des Frauenrentenalters aus. "Abgefedert" wurde dieser Beschluss mit
einer vorübergehend schwächeren Rentenkürzung für Frauen, welche zwischen dem fünften
und dreizehnten Jahr nach Inkrafttreten der 10. AHV-Revision vom Rentenvorbezug Gebrauch
machen. Im Unterschied zum Nationalrat beschloss der Ständerat eine andere Rentenformel.
Damit wollte man eine Ungleichbehandlung von Alt- und Neurentnerinnen und -rentnern
verhindern. Gleichzeitig werde eine Besserstellung von Konkubinatspaaren gegenüber
Ehepaaren vermieden.
Ein Kompromissvorschlag bei der Abfederung der
Rentenaltererhöhung, der in den letzten fünf Jahren vor Rentenbezug berufstätige Frauen
besserstellen wollte, fand in der nationalrätlichen Kommission noch eine Mehrheit, nicht
jedoch im Plenum des Nationalrates. Die grosse Kammer folgte hier der kleinen Kammer. Die
weiteren Artikel, die in der Differenzbereinigung noch geklärt werden mussten, betrafen
politisch weniger umstrittene Fragen.
Der Ständerat lehnte eine Abtrennung der Frage des
Rentenalters vom Rest der Vorlage mit 32 zu 5 und der Nationalrat mit 106 gegen 68 Stimmen
ab. Einige Gegnerinnen und Gegner des erhöhten Frauenrentenalters kündigten ein
Referendum an. Andere befürchteten den Verlust positiver Errungenschaften und fassten den
Weg über eine Volksinitiative ins Auge, welche die Erhöhung des Rentenalters wieder
rückgängig machen soll.
In der Folge wurde von gewerkschaftlicher Seite das
Referendum ergriffen, um die Erhöhung des Rentenalters für Frauen zu verhindern. In der
Volksabstimmung vom 25. Juni 1995 wurde die 10. AHV-Revision mit 60,7 % angenommen (siehe
Anhang G).
Legislaturrückblick 1991-1995 - © Parlamentsdienste Bern
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