Rückblick auf die 44. Legislaturperiode |
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1. Staatspolitik und Rechtsordnung
94.028 |
S.o.S. Schweiz ohne
Schnüffelpolizei. |
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S.o.S. Pour une Suisse sans
police fouineuse. |
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Maintien de la sûreté
intérieure. Initiative populaire et loi fédérale |
Botschaft: 07.03.1994 (BBl II, 1127 / FF II, 1123)
Ausgangslage
Aufgrund der Arbeiten der Parlamentarischen
Untersuchungskommission für die Überprüfung der Amtsführung im Eidgenössischen
Justiz- und Polizeidepartement (PUK-EJPD) zeigte sich neben der Notwendigkeit
organisatorischer Massnahmen auch ein gesetzgeberischer Handlungsbedarf im Bereich der
Wahrung der inneren Sicherheit. Die PUK-EJPD kritisierte vor allem das Beibehalten
überholter Bedrohungsbilder sowie das Sammeln von Informationen über die rechtmässige
Ausübung politischer Rechte von zumeist linken und kritischen Organisationen und
Einzelpersonen. Als Sofortmassnahme erliess der Bundesrat am 19. Januar 1990
Richtlinien über die Durchführung des Staatsschutzes mit einer vorläufigen
Negativliste, in welcher jene Vorgänge, Personen und Organisationen aufgeführt waren,
über die keine Informationen mehr bearbeitet werden dürfen. Diese Richtlinien waren bis
zum 22. Oktober 1992 in Kraft und wurden von den Weisungen über die Durchführung
des Staatsschutzes vom 9. September 1992 abgelöst, welche in einem Anhang eine Liste
von Personen und Organisationen enthalten, über welche alle erhältlichen Informationen
bearbeitet werden dürfen. Im Bestreben, eine vorläufige Rechtsgrundlage zu schaffen, hat
der Bundesrat im Oktober 1990 eine Verordnung über den Staatsschutz in die Vernehmlassung
gegeben. Der Entwurf stiess jedoch auf breite Ablehnung. Insbesondere wurde das Fehlen
einer formellen gesetzlichen Grundlage bemängelt. Der Bundesrat entschloss sich in der
Folge, die Erarbeitung eines Gesetzes zu beschleunigen. Der Vorentwurf vom
30. September 1991 wurde in der Vernehmlassung mehrheitlich begrüsst. Die zu
einzelnen Fragen geäusserten Bedenken wurden bei der Überarbeitung des Entwurfes
weitgehend berücksichtigt. So wurde auf die im Vorentwurf vorgesehene geheime
Informationsbeschaffung verzichtet und wurden die Bestimmungen über die Zusammenarbeit
zwischen Bund und Kantonen nochmals überarbeitet und präziser formuliert.
Die vier zentralen Arbeitsfelder der Sicherheitsorgane sind
die Bekämpfung des Terrorismus, des verbotenen Nachrichtendienstes, des gewalttätigen
Extremismus und des organisierten Verbrechens. Soweit diese begriffe nicht bereits in
anderen Erlassen definiert sind, verzichtet das Gesetz bewusst auf eine Legaldefinition,
da sich die Erscheinungsformen dieser Bedrohungen ändern können. Neben den vier
zentralen Arbeitsfeldern werden vorbeugend Informationen über den verbotenen Handel mit
Waffen und radioaktiven Materialien sowie über verbotenen Technologietransfer bearbeitet.
Das Gesetz regelt nur einen Ausschnitt aus allen Vorkehren
zur Wahrung der inneren Sicherheit: Die vorbeugende Informationsbearbeitung, die
Sicherheitsprüfung und die Massnahmen zum Schutz von Personen und Gebäuden des Bundes,
ausländischer Staaten und internationaler Organisationen. Diese vorbeugenden Massnahmen
sind zu unterscheiden von anderen polizeilichen Mitteln, wie etwa die Überwachung des
Fernmeldeverkehrs oder die Verweigerung der Akkreditierung von diplomatischem Personal. Ob
einer Person. die ein Risiko für die innere Sicherheit bildet, richtet sich nicht nach
dem vorliegenden Gesetz, sondern weiterhin nach dem dafür massgebenden Recht des Bundes
und der Kantone.
Präventivmassnahmen sollen nur in jenen Bereichen möglich
sein, in denen Störungen, die eine ernsthafte Gefährdung der inneren Sicherheit
darstellen, unvermittelt auftreten können. bei solchen Bedrohungen darf das Eintreten des
Erfolgs nicht abgewartet werden. Grundsätzlich verboten ist die Bearbeitung von
Informationen über die politische Betätigung der Bürgerinnen und Bürger.
Das Gesetz sieht die Informationsbearbeitung im Vorfeld der
Strafverfolgung nur bei unbedingter Notwendigkeit vor. Der Bund nimmt damit ein gewisses
Sicherheitsrisiko in Kauf, das aber durch aufmerksame Verfolgung der Entwicklungen und
periodische Neubeurteilungen der Lage minimalisiert werden soll. Die Beschaffung,
Bearbeitung und Weitergabe von besonders schützenswerten Daten sind durch ausführliche
Bestimmungen geregelt und begrenzt. Das Gesetz wird damit auch den strengen Anforderungen
des DatenschutzgesetzesDatenschutz gerecht. Sicherheitsprüfungen sollen ebenfalls nur bei
einer möglichst kleinen Zahl betroffener Personen in besonders wichtigen
Schlüsselstellen durchgeführt werden. Das Gesetz möchte zudem die Rechtsgrundlagen für
die Massnahmen zum Schutz von Personen und Gebäuden verbessern. Die Schutzmassnahmen, die
gesetzlich verankert werden sollen, sind Bundesaufgaben, an deren Vollzug die Kantone je
auf ihrem Gebiet mitwirken und für die sie vom Bund teilweise entschädigt werden.
Die Wahrung der inneren Sicherheit ist eine gemeinsame
Aufgabe von Bund und Kantonen. Die Mitwirkung der Bundesbehörden bei der Wahrung der
inneren Sicherheit nach diesem Gesetz bringt keine neuen Bundeskompetenzen.
Im Bund werden die Aufgaben nach diesem Gesetz vom
Bundesamt für innere Sicherheit wahrgenommen. Diese Bezeichnung wird der Bundesrat der
heutigen Bundesanwaltschaft geben, sobald die in einer Teilrevision des Bundesgesetzes
über die Bundesstrafrechtspflege vorgenommenen Abtrennung der Anklägerfunktion des
Bundesanwalts von der Polizeifunktion in Kraft tritt. Die Kantone bestimmen die
Modalitäten des Vollzugs sowie die dafür zuständigen Behörden selbst.
Eine Verstärkung und Verstetigung der politischen Führung
ist eines der wichtigen Anliegen des Gesetzes. der Bundesrat übernimmt eine intensivierte
Führungsverantwortung, insbesondere durch die regelmässige Beurteilung der
Bedrohungslage sowie die Genehmigung einer Liste mit regelmässig zu meldenden Vorgängen,
Personen und Organisationen. Auch die regelmässige Berichterstattung dokumentiert die
verstärkte Führung.
Die am 14. Oktober 1991 vom Initiativkomitee S.o.S.
Schweiz ohne Schnüffelpolizei eingereichte Volksinitiative wird vom Bundesrat abgelehnt.
Die Forderungen der Initiantinnen und Initianten nach Abschaffung der politischen Polizei
und Verbot der Überwachung ideeller und politischer Rechte sind mit dem vorliegenden
Gesetz bereits erfüllt.
Verhandlungen
SR |
13.06.1995 |
AB 1995, 567 |
SR |
03.10.1995 |
AB 1995, 973 |
NR |
04.10.1995 |
AB 1995, 2076 |
Im Ständerat plädierte Onken (S, TG) vergeblich
für Annahme der Initiative und für Rückweisung des Gesetzes. Die Volksinitiative wurde
mit 32 gegen 2 Stimmen zur Verwerfung empfohlen, und die Rückweisung des Gesetzes lehnte
der Rat mit 31 gegen 3 Stimmen ab. In der Detailberatung lehnte der Rat zwei Anträge
einer Minderheit Danioth (C, UR) ab, die in einem Artikel 2a die vorbeugende
Informationsbeschaffung im Gesetz klar eingeschränkt wissen wollte und in einem Artikel
3a präzise Formulierungen bezüglich der Kompetenzen der Sicherheitsorgane des Bundes und
der Kantone vorlegte.
Bei Artikel 12 forderte sodann der Neuenburger Staatsanwalt
Béguin (R), dass die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs für die vorbeugende
Observation verdächtiger Organisationen zuzulassen sei. Der Rat folgte diesem politisch
heiklen Antrag gegen den Willen von Bundesrat und vorberatender Kommission mit 21 zu 14
Stimmen. Josi Meier (C, LU) und Plattner (S, BS) wiesen darauf hin, dass dieser Antrag das
ganze Gesetz gefährde.
In der Herbstsession 1995 verlängerten beide Kammern die
Behandlungsfrist der Volksinitiative um ein Jahr bis zum 14. Oktober 1996.
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