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03.3212 nMo. Nationalrat (Gysin Remo). Gesetzlicher Schutz für Hinweisgeber von Korruption

français

Bericht der Kommission für Rechtsfragen vom 21. Februar 2006
Die Kommission hat an ihren Sitzungen vom 21. November 2005 und vom 21. Februar 2006 die von Nationalrat Remo Gysin am 7. Mail 2003 eingereichte und vom Nationalrat angenommene Motion vorberaten.

Die Motion fordert den Bundesrat auf, einen Gesetzesvorschlag vorzulegen, welcher vorsieht, dass Personen, die an ihrem Arbeitsplatz Korruption und andere Unregelmässigkeiten aufdecken, intern melden oder an die Öffentlichkeit tragen („Whistleblowers"), ein effektiver Schutz vor ungerechtfertigter Entlassung und weiterer Diskriminierung garantiert wird.


Antrag der Kommission

Die Kommission beantragt einstimmig die Annahme der Motion gemäss ihrem Änderungsantrag (siehe Ziffer 4 des Berichts)

Berichterstattung: Inderkum




Im Namen der Kommission
Der Präsident: Franz Wicki

1. Text und Begründung
1. 1. Text
1. 2. Begründung
2. Stellungnahme des Bundesrats vom 10. September 2003
3. Verhandlungen und Beschluss des Erstrats
4. Änderungsantrag der Kommission
5. Erwägungen der Kommission

1. Text und Begründung

1. 1. Text

Personen, die an ihrem Arbeitsplatz Korruption und andere UnregeImässigkeiten aufdecken, intern melden oder an die Öffentlichkeit tragen (Hinweisgeber und Hinweisgeberinnen oder "Whistleblowers"), ist ein effektiver Schutz vor ungerechtfertigter Entlassung und weiterer Diskriminierung zu garantieren.
Der Bundesrat wird aufgefordert, dem Parlament einen entsprechenden Gesetzesvorschlag vorzulegen.

1. 2. Begründung

Staaten wie Grossbritannien, die USA, Australien, Neuseeland, Südafrika oder Holland haben nach einer Reihe von Skandalen gesetzliche Massnahmen zum Schutz von "Whistleblowers" eingeführt und damit gute Erfahrungen gemacht.
In der Schweiz verbieten gesetzliche Regelungen den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern das Informieren von Dritten über schädliche Unternehmenspraktiken praktisch vollständig. "Whistleblowers" sind ungerechtfertigter Entlassung und anderen Repressalien mehr oder weniger schutzlos ausgeliefert. Dies hat zur Folge, dass in der Schweiz das Aufdecken von Korruptionsfällen oder weiteren illegalen Aktivitäten höchst riskant ist. In vielen Fällen werden die Aussagen von "Whistleblowers" zuerst ignoriert und nach dem letzten verzweifelten Schritt des "Whistleblowers" an die Öffentlichkeit von der betroffenen Institution oder Unternehmung dementiert. Im Gegenzug für den Gang an die Öffentlichkeit werden die Whistleblowers als Nestbeschmutzer und Denunzianten abgestempelt, entlassen und beruflich ruiniert. Dafür gibt es viele Beispiele aus der Praxis.
Im Zusammenhang mit einer der grössten Polizei- und Justizaffären Zürichs sei an Kurt Meier, bekannt als "Meier 19", erinnert. Sein Schicksal ist typisch und kann stellvertretend für viele "Whistleblowers" angeführt werden. Ebenfalls bekannt sind die Zürcher Klärschlamm-Affäre, der Berner Finanzskandal oder der Fall Hoffmann-La Roche versus Adams.
Internationale Studien (Rothschild and Miewthe 1999; Dempster 1997) belegen das Ausmass an Diskriminierung, welcher "Whistleblowers" aufgrund ihrer Handlung ausgeliefert sind: "Whistleblowers" werden schikaniert, angeklagt oder entlassen, gelten gemeinhin als illoyal und werden als Denunzianten beschimpft. Von 223 untersuchten "Whistleblowing"-Fällen verloren 90 Prozent der "Whistleblowers" ihre Arbeit oder wurden in der Hierarchie zurückgestuft, 27 Prozent erlitten juristische Repressalien, 26 Prozent wurden zu einem Psychiater oder Arzt geschickt, 25 Prozent bekamen Alkoholprobleme, 17 Prozent verloren ihr Haus, bei 15 Prozent scheiterte die Ehe, 10 Prozent unternahmen einen Selbstmordversuch und 8 Prozent erlitten Konkurs.
Diese negativen Folgen bewirken, dass viele Personen ihr Wissen um illegale Praktiken aus Angst vor möglichen Konsequenzen für sich behalten. Dies ist aus verschiedenen Gründen äusserst bedauernswert. Zum einen ist "Whistleblowing" oftmals der einzige Weg, um korruptive, unethische oder gefährliche Praktiken aufzudecken. Es liegt in der Natur der Korruption, dass alle involvierten Parteien ein hohes Interesse an Geheimhaltung aufweisen. Zum anderen handeln "Whistleblowers" oft im Interesse einer breiten Öffentlichkeit, beispielsweise wenn sie auf die Verletzung von Sicherheitsregelungen oder Umweltschutzgesetzen aufmerksam machen.
Zum dritten handeln "Whistleblowers" ebenfalls in den meisten Fällen im langfristigen Interesse ihres Arbeitgebers oder ihrer Arbeitgeberin. Diese Erkenntnis hat mittlerweile dazu geführt, dass einige grosse Firmen wie z. B. ABB eine 24-Stunden-Hotline für "Whistleblowers" eingerichtet haben. Die Unternehmen können es sich nicht mehr leisten, die wertvollen Hinweise der "Whistleblowers" zu ignorieren, der daraus resultierende Imageschaden wird zu gross.
Der Fall Enron stellt ebenfalls ein gutes Beispiel dar, warum die Aussagen von "Whistleblowers" ernst genommen werden sollten. Bereits Wochen vor dem Zusammenbruch wies eine Kadermitarbeiterin auf die Missstände hin.
Befürchtungen, dass ein Gesetz zum Schutz von "Whistleblowers" einen regelrechten Anzeige-Boom auslöst und als einfaches Mittel zur Befriedigung von Rachegelüsten missbraucht wird, zeigen sich aufgrund der bisherigen Erfahrungen als ungerechtfertigt. Studien (z. B. Schwarb 1998) belegen, dass "Whistleblowers" typischerweise zuerst alle organisationsinternen Mittel ausschöpfen. Erst wenn ihre Bemühungen, intern auf die Missstände aufmerksam zu machen, scheitern, wenden sie sich an die Öffentlichkeit. Der Gang an die Öffentlichkeit wird als letzter Ausweg benutzt. Sofern also Unternehmen ein internes Meldesystem einrichten, ersparen sie sich das Aufsehen erregende externe "Whistleblowing".
Aus diesen Gründen fordern die Unterzeichnenden dieser Motion den Erlass einer Gesetzgebung, welche "Whistleblowers" einen effektiven Schutz garantiert und sie vor ungerechtfertigter Entlassung sowie weiterer Diskriminierung schützt. Dieses Anliegen wird auch von Transparency Switzerland unterstützt.

2. Stellungnahme des Bundesrats vom 10. September 2003

Der Bundesrat betrachtet Korruption als ein schwerwiegendes Übel, das es zu bekämpfen gilt. Die Schweiz hat zwischenzeitlich deshalb sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene Massnahmen ergriffen, um gegen die Korruption zu kämpfen. In diesem Zusammenhang sei an die Antwort des Bundesrates auf die Interpellation Gysin Remo 02.3763, "Korruptionsbekämpfung in der Schweiz", erinnert.
Der vorliegende Vorstoss verlangt für Hinweisgeber von Korruption (so genannte "Whistleblowers") einen Schutz vor Entlassungen und anderen Diskriminierungen. Aus Sicht des Bundesrates ist es in diesem Zusammenhang wichtig, dass in den Betrieben ein mitteilungsfreundliches Klima geschaffen wird, ohne aber einem allgemeinen und ausufernden Denunziantentum den Weg zu bereiten. Innerhalb der Bundesverwaltung können bereits heute unter dem Schutz der Vertraulichkeit der Eidgenössischen Finanzkontrolle Meldungen im Zusammenhang mit Korruption gemacht werden. Die Finanzkontrolle wird im Rahmen ihrer Kontakte mit den Dienststellen dieses Angebot noch weiter bekannt machen. Die Einrichtung solcher Stellen könnte auf dem Weg der Selbstregulierung ebenfalls eine Möglichkeit für die Privatwirtschaft darstellen.
Die Forderung nach einer Verstärkung des Kündigungsschutzes für Hinweisgeber auf Korruption würde zu einer fundamentalen Reform des schweizerischen Arbeitsrechtes führen, das auf dem Grundsatz der Kündigungsfreiheit beruht und missbräuchliche Kündigungen sanktioniert.
Dieses System ist in den Augen des Bundesrates denjenigen Systemen vorzuziehen, die die Kündigungen für unwirksam erklären; diese führen nämlich zu einer Versteifung des Arbeitsmarktes und de facto zu einem Begründungszwang für alle Kündigungen. Im Interesse des Wirtschafts- und Arbeitsmarktes Schweiz ist der Bundesrat der Auffassung, dass eine Reform des Arbeitsrechtes, wie vom Motionär gefordert, negative Konsequenzen für den Werkplatz Schweiz hätte.
Wie gleich nachstehend dargelegt wird, ist ein Ausbau des Arbeitsrechtes in die vom Motionär geforderte Richtung, aber auch vor dem Hintergrund der geltenden Rechtslage, nicht notwendig:
Artikel 321a Absatz 1 des Obligationenrechtes (OR) verpflichtet den Arbeitnehmer, "die berechtigten Interessen des Arbeitgebers in guten Treuen zu wahren".
Nach Rechtsprechung (vgl. BGE 127 III 310ff., E. 5a, 113 IV 68 ff., E. 6b) und Lehre (vgl. M. Rehbinder, Berner Kommentar, Bd. VI/2/2/1, Bern 1985, OR 321a N 6; A. Staehelin, Zürcher Kommentar, Bd. V/2/c, OR 321a N 12) erlegt diese so genannte Treuepflicht dem Arbeitnehmer nicht nur Unterlassungspflichten auf, sondern verpflichtet ihn auch, in Sonderfällen aktiv zu werden. So muss er insbesondere dem Arbeitgeber eingetretene oder drohende Störungen und Schäden sowie Unregelmässigkeiten und Missstände im Betrieb melden, damit dieser die geeigneten Massnahmen treffen kann. Ob der Arbeitnehmer Verfehlungen anzeigen muss, die von einem Mitarbeiter zum Nachteil des Arbeitgebers begangen wurden, hängt einerseits von der Art und Natur des eingetretenen oder drohenden Schadens, andererseits von der Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb ab.
Die Frage nach dem Vorliegen einer Anzeigepflicht wird in unterschiedlicher Weise beantwortet. Nach der einen Meinung ist diese Pflicht für Arbeitnehmer in leitender Stellung stets zu bejahen und für Arbeitnehmer in untergeordneter Stellung nur, wenn der eingetretene oder drohende Schaden unverhältnismässig hoch ist (so Rehbinder, a.a.O., OR 321a N 9). Nach einer anderen Auffassung muss der Arbeitnehmer fehlbare Mitarbeiter anzeigen, wenn ihm deren Beaufsichtigung obliegt oder wenn die Interessen des Arbeitgebers erheblich gefährdet oder verletzt werden (so Staehelin, a.a.O., OR 321a N 12f.). Nach einer dritten Meinung schliesslich muss ein Arbeitnehmer Vorgänge, die ausschliesslich andere Arbeitnehmer betreffen, ohne spezielle Vereinbarung nur dann anzeigen, wenn die Überwachung zu seinem Aufgabenbereich gehört (so Th. Geiser, Die Treuepflicht des Arbeitnehmers und ihre Schranken, Bern 1983, S. 177).
Artikel 321a Absatz 4 OR legt eine Verschwiegenheits- oder Geheimhaltungspflicht des Arbeitnehmers fest. So müssen Arbeitnehmer alle Mitteilungen an Dritte unterlassen, die den Ruf des Unternehmens oder dessen Kredit gefährden, und zwar selbst dann, wenn diese wahr sind. Diese Pflicht erfasst grundsätzlich auch strafbare oder sonstwie unerlaubte Handlungen des Arbeitgebers (Vertragsverletzungen, Wettbewerbsverstösse, Steuerhinterziehungen); höherrangige Interessen Dritter oder der Öffentlichkeit können aber eine Offenlegung rechtfertigen (vgl. Rehbinder, a.a.O., OR 321a N 13; Staehelin, a.a.O., OR 321a N 56).
Auch in diesem Fall muss sich der Arbeitnehmer allerdings zunächst beim Vorgesetzten melden, damit der Arbeitgeber die Möglichkeit erhält, die Angelegenheit intern zu bereinigen und ohne grosses Aufsehen zu erledigen. Nützt dies nicht, so darf der Arbeitnehmer an die zuständige Behörde gelangen, die der Beanstandung abhelfen kann, ohne dass das Unternehmen einen Rufverlust erleidet. Beim Versagen der Behörde kann der Arbeitnehmer an die Öffentlichkeit gelangen (vgl. Rehbinder, a.a.O., OR 321a N 3).
Den obigen Ausführungen ist zu entnehmen, dass die Arbeitnehmer nach geltendem Recht in vielen Fällen nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht haben, dem Arbeitgeber betriebliche Unregelmässigkeiten und Missstände anzuzeigen, und dass diese Pflicht durch Vereinbarung - oder durch Weisung des Arbeitgebers - auf alle Arbeitnehmer ausgedehnt werden kann.
Bereits das geltende Recht schliesst es somit aus, dass Arbeitnehmer, die im Betrieb Korruptionsfälle feststellen und ihre Vorgesetzten oder - als Ultima Ratio - die Öffentlichkeit darüber informieren ("Whistleblowers"), fristlos entlassen werden können (es lägen keine wichtigen Gründe nach Art. 337 OR vor), dass ihnen korrekt gekündigt werden kann (die Kündigung wäre missbräuchlich nach Art. 336 OR) oder dass sie anders sanktioniert werden.
Schliesslich ist auf Artikel 328 OR hinzuweisen, wonach der Arbeitgeber "im Arbeitsverhältnis die Persönlichkeit des Arbeitnehmers zu achten und zu schützen, auf dessen Gesundheit gebührend Rücksicht zu nehmen und für die Wahrung der Sittlichkeit zu sorgen" hat (Abs. 1) und insbesondere angemessene Massnahmen zum Schutz der Persönlichkeit seiner Angestellten treffen muss (Abs. 2).
Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung (vgl. BGE 127 III 351 ff., E. 4b/dd, 125 III 70 ff., E. 3a) und einhelliger Lehre muss der Arbeitgeber sowohl Eingriffe in die Person des Arbeitnehmers unterlassen als auch die Eingriffe von Vorgesetzten, Mitarbeitern und Dritten (Kunden, Lieferanten) abwehren (vgl. Rehbinder, a.a.O., OR 328 N 4, und 7 a.E.; Staehelin, a.a.O., OR 328 N 3, 5 und 7; U. Streiff/A. von Kaenel, Arbeitsvertrag, 5. Aufl., Zürich 1992, OR 328 N 5 und 14). Die Bestimmung bietet somit auch den Hinweisgebern von Korruption Schutz vor anderen allfälligen Diskriminierungen seitens des Arbeitgebers, der Kollegen und Dritter.
Eine Intervention des Gesetzgebers, wie sie die Motion verlangt, erweist sich daher als nicht erforderlich.
Der Bundesrat beantragt, die Motion abzulehnen.

3. Verhandlungen und Beschluss des Erstrats

Der Nationalrat hat die Motion am 13. Juni 2005 mit 99 zu 77 Stimmen ohne Diskussion angenommen.

4. Änderungsantrag der Kommission

Die Kommission beantragt, den Text der Motion wie folgt zu ändern:

„Der Bundesrat wird aufgefordert, dem Parlament einen Gesetzesvorschlag folgenden Inhalts vorzulegen:
1. Im Obligationenrecht (Arbeitsvertrag) wird konkretisiert, unter welchen Voraussetzungen Personen, die ihr Wissen über Unregelmässigkeiten, beispielsweise Korruption, in einem Betrieb aufdecken (Hinweisgeber und Hinweisgeberinnen oder "Whistleblowers"), vor ungerechtfertigter Entlassung und weiterer Diskriminierung geschützt werden. Nur als ultima ratio dürfen Hinweisgeber und Hinweisgeberinnen ihr Wissen an die Öffentlichkeit tragen.
2. Im gleichen Zusammenhang ist zu prüfen, ob die Sanktion des geltenden Rechts - eine Entschädigung bis zu sechs Monatslöhnen (Art. 336a Abs. 2 OR) - genügt, um Arbeitgeber effektiv von einer missbräuchlichen Kündigung abzuhalten. Schärfere Sanktionen sind vorzuschlagen, wenn dies nicht der Fall ist.
3. Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber sollen bei öffentlichrechtlicher Anstellung einen gleichwertigen Schutz wie bei privatrechtlicher Anstellung geniessen. Dem Amtsgeheimnis und der Zuständigkeit der Kantone ist Rechnung zu tragen.
4. Es ist zu prüfen, ob Amtsträgerinnen und Amtsträger des Bundes verpflichtet werden sollen, bei Ausübung ihrer amtlichen Tätigkeit wahrgenommene konkrete Verdachtsgründe für eine Straftat der zuständigen Behörde zu melden."

5. Erwägungen der Kommission

Die Berichterstattung erfolgt mündlich.


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