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04.3061 nMo. Nationalrat (Galladé). Lehrlingsausbildung als Vergabekriterium für öffentliche Aufträge

français

Bericht der Kommission für Wirtschaft und Abgaben vom 26. Juni 2006
Die Kommission hat an ihrer Sitzung vom 26. Juni 2006 die durch den Ständerat beschlossene Änderung der vom Nationalrat angenommenen Motion vorberaten.

Mit der Motion soll der Bundesrat beauftragt werden, die Lehrlingsausbildung im Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen zu berücksichtigen.


Antrag der Kommission

Die Kommission beantragt mit 20 zu 0 Stimmen und 3 Enthaltungen, die Motion in der vom Ständerat beschlossenen Fassung (siehe Ziffer 4 des Berichtes) anzunehmen.

Berichterstattung: Gysin Remo (d), Rime (f)




Im Namen der Kommission
Der Präsident: Caspar Baader

1. Text und Begründung
1. 1. Text
1. 2. Begründung
2. Stellungnahme des Bundesrats vom 7. Juni 2004
3. Verhandlungen und Beschluss des Erstrats
4. Verhandlungen und Beschluss des Zweitrats
5. Erwägungen der Kommission

1. Text und Begründung

1. 1. Text

Der Bundesrat wird beauftragt, bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen Betriebe, welche Lehrstellen und andere Ausbildungsplätze anbieten, vermehrt zu berücksichtigen, indem die Lehrlingsausbildung im Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen als Vergabekriterium verankert wird. Im Rahmen der Revision des Bundesgesetzes über den Binnenmarkt soll dies auch im Bereich der Kantone und Gemeinden berücksichtigt werden können.

1. 2. Begründung

Das Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen hält in Abschnitt 3 Artikel 8 verschiedene Verfahrensgrundsätze und in Artikel 9 die Eignungskriterien für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen fest. Ob ein Betrieb Ausbildungsplätze anbietet, spielt dabei keine Rolle. Dies soll sich angesichts des angespannten Lehrstellenmarktes ändern. Betriebe, welche Verantwortung wahrnehmen, indem sie sich an der Ausbildung junger Menschen beteiligen, sollen bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen einen Vorteil gegenüber nicht ausbildenden Betrieben haben.
Der Staat investiert viele Mittel in die Ausbildung junger Menschen und muss Massnahmen ergreifen, wenn Jugendliche keine Anschlusslösungen an die obligatorische Schulzeit finden. Betriebe, welche Ausbildungsplätze anbieten, nehmen somit eine aus gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und staatlicher Sicht enorm wichtige Aufgabe wahr. Dies soll im Vergabesystem berücksichtigt und belohnt werden. Für gewisse Jungunternehmen oder Branchen, welche die Bedingungen zur Lehrlingsausbildung noch nicht oder nicht erfüllen, sind Ausnahmen vorzusehen. Eine entsprechende verbindliche Formulierung ist im Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen zu verankern. Damit auch die Kantone und Gemeinden vermehrt nach diesem Grundsatz öffentliche Aufträge vergeben, soll eine entsprechende Formulierung als Kann-Vorschrift auch im Bundesgesetz über den Binnenmarkt verankert werden.

2. Stellungnahme des Bundesrats vom 7. Juni 2004

Der Bundesrat ist sich der volkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedeutung einer guten Berufsbildung bewusst. Er setzt alle zur Verfügung stehenden Mittel ein, um die Qualität und die Attraktivität der Berufsbildung zu stärken. Diesem Zweck dient insbesondere das Bundesgesetz über die Berufsbildung (SR 412.10).
Ziel und Zweck des öffentlichen Beschaffungsrechtes ist es, den wirtschaftlichen Einsatz der öffentlichen Mittel zu fördern, die Beschaffungsverfahren transparent zu gestalten, den Wettbewerb zu stärken und die Gleichbehandlung der Anbieterinnen und Anbieter zu gewährleisten.
Den Zuschlag soll auch künftig diejenige Firma erhalten, die geeignet ist, den Auftrag zu erfüllen, und deren Angebot das wirtschaftlich günstigste ist. Eignungs- und Zuschlagskriterien müssen sich dabei auf die zu beschaffende Leistung beziehen. Ein öffentlicher Auftrag wird dabei nur an jene Firma vergeben, die die Einhaltung der Arbeitsschutzbestimmungen, Arbeitsbedingungen sowie den Grundsatz der Lohngleichheit zwischen Frau und Mann gewährleistet (Art. 8 des Bundesgesetzes über das öffentliche Beschaffungswesen, BoeB; SR 172.056.1).
Ziel dieser Norm ist die Sicherung sozialer Errungenschaften, die Wahrung des Arbeitsfriedens und die Verhinderung unerwünschter sozialer Auswirkungen. Zudem sollen Wettbewerbsverzerrungen vermieden werden. Nur Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, die diese Bedingungen einhalten, können für die Vergabe eines öffentlichen Auftrages berücksichtigt werden.
Die Frage, ob ein Anreizmechanismus im öffentlichen Beschaffungsrecht ein geeignetes Mittel ist, um die Situation in der Berufsbildung weiter zu verbessern, ist in der laufenden Revision des BoeB zu prüfen. Der Bundesrat steht einem solchen Anreizmechanismus nicht ablehnend gegenüber, weist jedoch gleichzeitig auf die Grenzen der Berücksichtigung leistungsfremder Kriterien im öffentlichen Beschaffungsrecht hin. Diese ergeben sich einerseits durch das im nationalen und internationalen Beschaffungsrecht, insbesondere im WTO-Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen (GPA; SR 0.632.231.422), verankerte Gebot der Gleichbehandlung von in- und ausländischen Anbietern. Nicht alle Staaten der WTO verfügen über dasselbe oder ein ähnliches System der praxisorientierten Berufsbildung wie die Schweiz. Von ausländischen Anbietern zu verlangen, dass sie im Bereich der Lehrlingsausbildung aktiv sind, verletzt deshalb das Nichtdiskriminierungsgebot.
Zusätzlich zu beachten ist das im internationalen Beschaffungsrecht verankerte Erfordernis, dass sich die Eignungs- und Zuschlagskriterien auf die zu beschaffende Leistung beziehen und keine leistungsfremden Kriterien, die z. B. struktur- oder regionalpolitisch motiviert sind, beinhalten. Der Umstand, dass eine Firma Lehrlinge ausbildet, stellt grundsätzlich kein geeignetes Kriterium zur Ermittlung der technischen, wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit des Anbieters und des wirtschaftlich günstigsten Angebotes dar. Davon abgesehen führt die Vermischung von leistungsbezogenen und leistungsfremden Eignungs- und Zuschlagskriterien zur Einschränkung des Wettbewerbs, wirkt verzerrend auf die Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebotes und ist deshalb gesamtwirtschaftlich schädlich.
Im Rahmen der laufenden Gesetzesrevision kann deshalb geprüft werden, ob beim Vorliegen gleichwertiger Angebote von Firmen mit Sitz oder Niederlassung in der Schweiz der Zuschlag demjenigen Unternehmen erteilt werden soll, das seiner gesamtwirtschaftlichen Verantwortung nachkommt, namentlich durch die Ausbildung von Lehrlingen. Eine solche Regelung kann auch einen Beitrag zur Harmonisierung des schweizerischen Beschaffungsrechtes leisten. Denn obwohl beispielsweise das Beschaffungsrecht des Kantons Aargau die Lehrlingsausbildung als Zuschlagskriterium aufführt, kann nach einem Urteil des Verwaltungsgerichtes Aargau (vom 15. September 1999) dieses Zuschlagskriterium nur dann berücksichtigt werden, wenn sich gleichwertige Angebote gegenüberstehen.
Ziel des Binnenmarktgesetzes ist es, dass Personen mit Niederlassung oder Sitz in der Schweiz für die Ausübung ihrer Erwerbstätigkeit auf dem gesamten Gebiet der Schweiz freien und gleichberechtigten Zugang zum Markt haben. Deshalb ist dieses Gesetz nicht der richtige Ort für die Regelung öffentlicher kantonaler oder kommunaler Beschaffungsverfahren. Solche Regelungen müssen vielmehr in der interkantonalen Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen (SR 172.056.4) sowie in den kantonalen Ausführungserlassen Eingang finden.
Der Bundesrat beantragt die Ablehnung der Motion.

3. Verhandlungen und Beschluss des Erstrats

Der Nationalrat hat die Motion am 15. Juni 2005 mit 84 zu 78 Stimmen angenommen.

4. Verhandlungen und Beschluss des Zweitrats

Der Ständerat hat die Motion am 6. März 2006 gemäss Antrag seiner vorberatenden Kommission abgeändert und ohne Gegenstimmen angenommen. Der Text der Motion lautet neu wie folgt:
Der Bundesrat wird beauftragt, bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen Betrieben, welche Lehrstellen und andere Ausbildungsplätze anbieten, vermehrt Rechnung zu tragen, indem die Lehrlingsausbildung im Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen berücksichtigt wird.

5. Erwägungen der Kommission

Die Beratungen über die vorliegende Motion haben in beiden Räten aufgezeigt, dass die eidgenössischen Räte mehrheitlich befürworten, dass das Lehrlingswesen im Bereich des öffentlichen Beschaffungswesens vermehrt berücksichtigt wird und damit die Betriebe, welche Lehrlinge ausbilden, entsprechend honoriert werden. Der Ständerat änderte allerdings den Wortlaut der Motion dahingehend ab, dass die Lehrlingsausbildung im Vergaberecht zwar zu berücksichtigen sei, nicht aber als zwingendes Kriterium aufgenommen werden müsse. Damit trug die Kleine Kammer dem Einwand Rechnung, dass eine Änderung des Beschaffungswesens, wie sie von der Motion angeregt wird, gegen das WTO-Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen (General Procurement Act (GPA)) verstösst. Demnach müssen sich die Eignungs- und Zuschlagskriterien auf die zu beschaffende Leistung beziehen und dürfen keinesfalls ausländische Anbieter diskriminieren. Da das Berufsbildungswesen international sehr unterschiedlich ausgestaltet ist, wäre die Lehrlingsausbildung als zwingendes Kriterium bei Vergaben von öffentlichen Aufträgen geeignet, ausländische Anbieter zu benachteiligen.
Die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrates hat an ihrer Sitzung vom 26. Juni 2006 die Änderung des Motionstextes zur Kenntnis genommen. Sie schliesst sich der Argumentation des Ständerates an und beantragt mit 20 zu 0 Stimmen und 3 Enthaltungen, die geänderte Motion anzunehmen.


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