Nationalrat
Conseil national
Consiglio nazionale
Cussegl naziunal

07.3163 sMo. Ständerat (Stadler Hansruedi). Gesetzliche Grundlage für die Aufsicht über die Sterbehilfeorganisationen

français

08.317 sKt.Iv. AG. Beihilfe zum Suizid. Änderung von Artikel 115 StGB
10.306 sKt.Iv. BL. Gesamtschweizerische Regelung der Suizidbeihilfe
06.453 nPa.Iv. Egerszegi-Obrist. Regelung der Sterbehilfe auf Gesetzesebene
Bericht der Kommission für Rechtsfragen vom 30. März 2012
Die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates hat an ihrer Sitzung vom 30. März 2012 die vier oben genannten Geschäfte behandelt.

Die am 22. März 2007 von Ständerat Hansruedi Stadler eingereichte Motion verlangt, dass die Aufsicht über die Sterbehilfeorganisationen geregelt wird. Die am 17. Juni 2008 vom Kanton Aargau eingereichte Initiative fordert die Bundesversammlung auf, die gewerbsmässige Beihilfe zum Suizid zu verhindern und die medizinische Suizidbegleitung gesetzlich zu regeln. Die am 14. Januar 2010 vom Kanton Basel-Landschaft eingereichte Initiative ersucht die Bundesversammlung, die gesetzlichen Grundlagen für eine würdige Sterbebegleitung von Schwerstkranken und den Schutz von suizidgefährdeten Menschen vor profitorientierten Sterbehilfeorganisationen zu schaffen; sie fordert insbesondere, Suizidhilfeorganisationen einer staatlichen Aufsicht zu unterstellen.
Die von Nationalrätin Egerszegi-Obrist am 23. Juni 2006 eingereichte Initiative verlangt, die indirekte aktive und die passive Sterbehilfe sowie die Aufsicht über Suizidhilfeorganisationen gesetzlich zu regeln.

Antrag der Kommission

Die Kommission beantragt ohne Gegenstimme, die Motion abzulehnen und beiden Standesinitiativen sowie der parlamentarischen Initiative keine Folge zu geben.

Berichterstattung: von Graffenried (d), Chevalley (f)




Im Namen der Kommission
Der Präsident: Yves Nidegger

1. Text und Begründung
1. 1. Text
1. 2. Begründung
2. Stellungnahme des Bundesrats vom 30. Mai 2007
3. Verhandlungen und Beschluss des Erstrats
4. Bisherige Arbeiten und Beratungen
5. Erwägungen der Kommission

1. Text und Begründung

1. 1. Text

[07.3163]
Der Bundesrat wird beauftragt, eine gesetzliche Grundlage für die Aufsicht über die Sterbehilfeorganisationen zu schaffen.

[08.317]
Gestützt auf Artikel 160 Absatz 1 der Bundesverfassung reicht der Kanton Aargau folgende Standesinitiative ein:
Die Bundesversammlung wird eingeladen, mittels geeigneter Massnahmen die gewerbsmässige Beihilfe zum Suizid, zum Beispiel in Form des sogenannten Sterbetourismus aus dem Ausland, zu verhindern und eine gesamtschweizerisch verbindliche Regelung der medizinischen Suizidbegleitung vorzunehmen.

[10.306]
Gestützt auf Artikel 160 Absatz 1 der Bundesverfassung reicht der Kanton Basel-Landschaft folgende Standesinitiative ein:
Die Bundesversammlung wird ersucht, gesetzliche Grundlagen für eine würdige Sterbebegleitung von Schwerstkranken und zum Schutz von suizidgefährdeten Menschen vor profitorientierten Sterbehilfeorganisationen zu erlassen.
Folgenden Anliegen ist dabei besondere Beachtung zu schenken:
- Artikel 115 StGB ist so zu verschärfen, dass Beihilfe zum Suizid nur dann straffrei bleibt, wenn die Person oder Organisation, welche Suizidbeihilfe leistet, dafür keine finanziellen Leistungen über einen Auslagenersatz hinaus oder andere geldwerte Vorteile von der sterbewilligen Person oder aus ihrem Umfeld entgegennimmt. Ausgenommen sind medizinische Leistungen (Beratungen, Abklärungen u. a.), die im Vorfeld der Suizidbeihilfe erbracht werden und gemäss Tarmed-Tarif abgerechnet werden.
- Organisationen, welche Hilfeleistungen für die Selbsttötung anbieten, sind einer staatlichen Aufsicht zu unterstellen. Die rechtliche Regelung soll den Empfehlungen der Nationalen Ethikkommission im Bereich Humanmedizin (Sorgfaltskriterien im Umgang mit Suizidbeihilfe) Rechnung tragen.

[06.453]
Gestützt auf Artikel 160 Absatz 1 der Bundesverfassung und auf Artikel 107 des Parlamentsgesetzes reiche ich folgende parlamentarische Initiative ein:
Auf der Basis von Artikel 7 (Menschenwürde) und Artikel 10 der Bundesverfassung (Recht auf Leben und auf persönliche Freiheit) ist ein Gesetz zu erarbeiten, in welchem einerseits die indirekte aktive sowie die passive Sterbehilfe geregelt werden und andererseits Auflagen für die Aufsicht über Suizidhilfeorganisationen festgehalten werden.


1. 2. Begründung

[07.3163]
Die Suizidhilfe ist in der Schweiz zugelassen, wenn sie ohne selbstsüchtige Beweggründe erfolgt. Diese Regelung hat dazu geführt, dass Sterbehilfeorganisationen und ein eigentlicher Sterbetourismus vom Ausland in die Schweiz entstanden sind. Dieser Sterbetourismus gehört zur Haupttätigkeit einzelner Sterbehilfeorganisationen. Auch die Finanzen und die mangelnde Transparenz gewisser Organisationen geben immer wieder zu Diskussionen Anlass.
Es besteht nun eine Schutzpflicht des Staates gegenüber den in der Regel schwerkranken und daher besonders verletzlichen Menschen mit Suizidwünschen, welche Sterbehilfeorganisationen angehen. Missbräuchen ist mit den heutigen gesetzlichen Bestimmungen nicht beizukommen. Es besteht eine Aufsichtspflicht des Bundes über Sterbehilfeorganisationen. Es geht nicht darum, Sterbehilfeorganisationen ein staatliches Gütesiegel zu verpassen; vielmehr sollen minimale, aber unabdingbare Standards dafür sorgen, dass Menschen in einer Notlage vor Missbräuchen geschützt werden. Gesetzgeberischen Handlungsbedarf in diesem Bereich sehen auch die Schweizerische Akademie der medizinischen Wissenschaften und die Nationale Ethikkommission für Humanmedizin.

[06.453]
Bereits im März 2004 wurde der Bundesrat mittels einer von beiden Räten gutgeheissenen Motion (03.3180) der ständerätlichen Kommission für Rechtsfragen aufgefordert, Vorschläge für eine gesetzliche Regelung der Sterbehilfe zu unterbreiten sowie Massnahmen zur Förderung der Palliativmedizin zu treffen. Eine seitens der FDP-Fraktion im Juni 2005 eingereichte Motion (05.3352) zielte in die gleiche Richtung und unterstrich die Notwendigkeit, die gesetzlichen Grauzonen bezüglich der Regelung des Lebensendes zu beseitigen.
Vor diesem Hintergrund ist es unverständlich, dass der Bundesrat zögert, im Bereich der Sterbehilfe eine Gesetzesvorlage auszuarbeiten und der Legislative somit eine Debatte über diese gesellschaftspolitisch höchst relevante Thematik zu ermöglichen. Das Unverständnis ist umso grösser, da bezüglich des Lebensanfangs eines Menschen alles bis ins letzte Detail auf Bundesebene geregelt wurde. Der Entscheidungsfreiheit und Selbstbestimmung eines Menschen von Geburt an bis zu seinem Tode muss in einer solchen Gesetzesvorlage, die wohlgemerkt nicht zu einer übertriebenen Reglementierung führen darf, klar Rechnung getragen werden.
Nebst der Stipulierung gesetzlicher Richtlinien bezüglich der indirekten aktiven und der passiven Sterbehilfe, welche nicht nur den Entscheid des betroffenen Menschen mit Sterbewunsch, sondern auch die Entscheide der direkt involvierten Personen (Angehörige, Ärzte, Pflegepersonal) betreffen, braucht es auch eine Stärkung der Palliativmedizin.
Im Weitern tut eine bundesgesetzliche Regelung bezüglich der Aufsicht und Kontrolle über Suizidhilfeorganisationen Not. Dies nicht nur um in der Schweiz einen Sterbetourismus von Personen aus dem Ausland zu vermeiden, sondern auch um den betroffenen Personen die Sicherheit zu geben, mit ihrem Entscheid nicht in die Illegalität abzudriften. Auf unserer liberalen Rechtsordnung fussende Modalitäten, wie beispielsweise die Sterbebegleitung durch Laien, müssen jedoch auch im Rahmen einer neuen Gesetzesordnung weiterhin möglich sein. Teure Strafuntersuchungen mit rechtsmedizinischen Abklärungen sollen zukünftig jedoch möglichst vermieden werden. Es kann letztlich auch nicht im Interesse des Bundes sein, wenn in jedem Kanton andere gesetzliche Auflagen bezüglich dieser Organisationen gelten - im schlimmsten Fall könnte dies auch einen interkantonalen Sterbetourismus generieren.


2. Stellungnahme des Bundesrats vom 30. Mai 2007

[07.3163]
Der Bundesrat hat am 31. Mai 2006 auf der Basis des EJPD-Berichtes vom 24. April 2006 "Sterbehilfe und Palliativmedizin. Handlungsbedarf für den Bund?" u. a. Fragen auch diejenige der Aufsicht über Suizidhilfeorganisationen geprüft und beschlossen, dem Parlament die Empfehlung abzugeben, auf eine umfassende Gesetzgebung über die Zulassung und Beaufsichtigung von Suizidhilfeorganisationen auf Bundesebene zu verzichten. Ein wesentlicher Grund für diesen Beschluss war, dass es auf kantonaler und kommunaler Ebene zur Aufdeckung und Verhinderung von Missbräuchen genügend Kontroll- und Interventionsmöglichkeiten gibt, welche jedoch in der Vergangenheit nicht immer voll ausgeschöpft wurden.
Es gibt klare rechtliche Schranken wie namentlich das absolute Tötungsverbot (Art. 111ff., 114 StGB) und auch die Strafbarkeit der Suizidhilfe bei Vorliegen von selbstsüchtigen Beweggründen, d. h. insbesondere finanziellen Motiven (Art. 115 StGB). Die Finanzflüsse von Suizidhilfeorganisationen und ihrer verantwortlichen Personen können demnach durchaus im Rahmen von solchen Strafuntersuchungen einer genaueren Prüfung unterzogen werden. Auch Missbräuche anderer Art wie die Verletzung der ärztlichen Sorgfaltspflichten bei der Untersuchung sterbewilliger Patienten und bei der ärztlichen Verschreibung einer tödlichen Dosis des Betäubungsmittels Natrium-Pentobarbital können von den Behörden aufgedeckt und sanktioniert werden. Dies kann namentlich dazu führen, dass den betreffenden Ärzten von den sie beaufsichtigenden Behörden die Praxisbewilligung entzogen wird.
Der Bundesrat geht davon aus, dass die konsequente Nutzung dieser gesetzlichen Möglichkeiten durch die Gesundheits- und Strafverfolgungsbehörden beispielsweise mit dazu geführt hat, dass die im Bereich Sterbetourismus vorwiegend tätige Suizidhilfeorganisation Dignitas im Kanton Aargau nur kurze Zeit eine Sterbewohnung betrieben und sich dann wieder in den Kanton Zürich zurückgezogen hat. Der Bundesrat hat zudem mit Genugtuung zur Kenntnis genommen, dass die bestehenden Handlungsmöglichkeiten der Behörden seit Mitte des Jahres 2006 namentlich auch im Kanton Zürich vermehrt genutzt werden. Auf Einzelheiten hat der Bundesrat bereits in seiner Antwort vom 8. Dezember 2006 auf die Interpellation Aeschbacher 06.3606, "Kein Handlungsbedarf des Bundes beim Sterbehilfetourismus?", hingewiesen. Im Januar 2007 wurde nun noch die Suizidhilfeorganisation Dignitas von Amtes wegen als Verein mit Sitz in Maur/ZH in das Handelsregister eingetragen (Art. 57 HRegV; SR 221.411), womit sie neu buchführungspflichtig ist (Art. 957 OR; SR 220). Das Bundesgericht hat im Übrigen in BGE 133 I 58 festgehalten, dass die ärztliche Rezeptpflicht generell dem Schutz der Gesundheit und der Sicherheit der Bevölkerung und - speziell im Zusammenhang mit der Sterbehilfe - der Verhinderung von Straftaten bzw. der Bekämpfung damit verbundener Missbrauchsgefahren diene sowie geeignet sei zu gewährleisten, dass der Entscheid des Sterbewilligen tatsächlich seinem freien und wohlerwogenen Willen entspreche (a.a.O., E. 6.3.2).
Nach Meinung des Bundesrates können die im Vorstoss genannten Ziele einer Aufsichtsgesetzgebung bereits durch die konsequente Nutzung der bestehenden gesetzlichen Kontroll- und Interventionsmöglichkeiten erreicht werden. Eine darüber hinausgehende, spezielle Aufsichtsgesetzgebung für Suizidhilfeorganisationen hätte hingegen unweigerlich eine Mitverantwortung des Staates für diese Organisationen zur Folge, dies, obwohl der Bundesrat deren Tätigkeit aus prinzipiellen Gründen nicht unterstützen möchte. In diesem Sinne möchte der Bundesrat denselben denn auch kein staatliches Gütesiegel ausstellen. Weiter wäre mit einer speziellen Aufsicht eine Bürokratisierung der Suizidhilfe verbunden, die keinen zusätzlichen Nutzen bringen, hingegen zu einer Verlagerung der Aufmerksamkeit von der effektiven Missbrauchsgefahr auf die blosse Einhaltung von Verfahrensvorschriften führen würde. Eine solche Gesetzgebung wäre unverhältnismässig und untauglich. Für den Bundesrat besteht demnach kein Anlass, auf seinen Beschluss vom 31. Mai 2006 zurückzukommen.

[07.3163]
Der Bundesrat beantragt die Ablehnung der Motion.


3. Verhandlungen und Beschluss des Erstrats

Der Ständerat nahm die Motion am 21. Juni 2007 an. Am 21. Dezember 2011 beschloss er, den Standesinitiativen keine Folge zu geben.

4. Bisherige Arbeiten und Beratungen

Die Diskussionen zur Sterbehilfe reichen bis in die Neunzigerjahre zurück. Die am 28. September 1994 eingereichte und als Postulat überwiesene Motion Ruffy 94.3370 Sterbehilfe. Ergänzung des Strafgesetzbuches" verlangte, die aktive Sterbehilfe bei Einhaltung strenger Voraussetzungen nicht unter Strafe zu stellen. Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) beauftragte daraufhin eine Arbeitsgruppe mit der Prüfung dieses Anliegens. In einem Bericht vom 5. Juli 2000 zuhanden des Parlaments erinnerte der Bundesrat daran, dass das EJPD und das EDI damit beauftragt seien, alles daranzusetzen, die Palliativmedizin und -pflege zu fördern und weiterzuentwickeln. Er schlug ausserdem vor, die passive Sterbehilfe und die indirekte aktive Sterbehilfe gesetzlich zu regeln. Im Dezember 2001 beschloss der Nationalrat, zwei parlamentarischen Initiativen keine Folge zu geben, welche eine gesetzliche Regelung der Sterbe- und Suizidhilfe verlangten (00.441. Pa.Iv. Cavalli. Strafbarkeit der aktiven Sterbehilfe. Neuregelung; 01.407. Pa.Iv. Vallender. Verleitung und Beihilfe zur Selbsttötung. Neufassung von Artikel 115 StGB). Auf der Grundlage einer Motion der Kommission für Rechtsfragen des Ständerates (03.3180, Sterbehilfe und Palliativmedizin") befasste sich das EJPD in der Folge erneut mit dieser Thematik. Im Jahr 2006 nahm der Bundesrat Kenntnis von einem Bericht des EJPD[1] und empfahl dem Parlament, auf eine Revision der einschlägigen Bestimmungen des Strafgesetzbuches zu verzichten. Das EJPD gelangte in seinem Bericht, von welchem die Kommission 2008 Kenntnis nahm, zu folgenden Schlussfolgerungen:
  • Bei der Sterbehilfe besteht auf Bundesebene kein gesetzgeberischer Handlungsbedarf. Das Tötungsverbot gilt in der Schweiz uneingeschränkt. Die direkte aktive Sterbehilfe (gezielte Tötung zur Verkürzung der Leiden eines Menschen) ist somit verboten. Die indirekte aktive Sterbehilfe (Einsatz von Mitteln, deren Nebenwirkungen die Lebensdauer herabsetzen können) sowie die passive Sterbehilfe (Verzicht auf die Einleitung lebenserhaltender Massnahmen oder Abbruch solcher Massnahmen) sind hingegen - ohne ausdrücklich gesetzlich geregelt zu sein - unter gewissen Voraussetzungen straffrei. Diese Straflosigkeit ergibt sich aus der Anwendung allgemeiner strafrechtlicher Zurechnungsregeln. Der Entscheid der Patientin oder des Patienten, lebensverlängernde Behandlungen nicht in Anspruch zu nehmen oder sie abzubrechen, geniesst grundrechtlichen Schutz.
  • Die Kompetenzen des Bundes in Bezug auf die Weiterentwicklung der Palliativmedizin und pflege sind begrenzt. Er kann Forschungsprojekte in diesem Bereich unterstützen und die Palliative Care zudem im Rahmen der Aus- und Weiterbildung der universitären Medizinalberufe fördern. Es ist jedoch Aufgabe der Kantone, ein ausreichendes Angebot sicherzustellen und das Informations- und Beratungsangebot für Betroffene zu verbessern.
  • Bei der Suizidhilfe besteht auf Bundesebene kein zwingender Gesetzgebungsbedarf. Grundsätzlich gibt es keinen Zusammenhang zwischen den bei der Suizidhilfe festgestellten Problemen und dem Tatbestand von Artikel 115 StGB. Missbrauch in diesem Bereich kann verhindert werden, indem die Strafverfolgungsbehörden die Artikel 111 ff., 114 und 115 StGB strenger anwenden und die Behörden das involvierte Medizinalpersonal wie im Gesundheitsrecht vorgesehen beaufsichtigen.
  • Beim sogenannten Sterbetourismus besteht kein besonderer Handlungsbedarf. Dieses Phänomen ist eine Folge der im internationalen Rechtsvergleich weitgehend liberaleren Regelung der Suizidhilfe in der Schweiz. Jedoch sind gemäss geltendem Recht in Sachen Suizidhilfe schon heute Massnahmen gegen Missbrauch möglich.


In einem Ergänzungsbericht von Juli 200[2]kommt das EJPD zum Schluss, dass in Bezug auf die Verschreibung und Abgabe von Natrium-Pentobarbital (NAP) das bestehende Betäubungsmittelrecht ausreicht, um Missbrauch bei der Suizidhilfe zu verhindern.
Angesichts der Empfehlung des Bundesrates, in diesem Bereich nicht gesetzgeberisch tätig zu werden, und aufgrund von umstrittenen Suizidhilfefällen wurden verschiedene parlamentarische Vorstösse eingereicht[3]Die Kommission behandelte 2008 die Motion 07.3163 und die parlamentarische Initiative Egerszegi-Obrist 06.453; sie hörte zahlreiche Vertreter der betroffenen Kreise an. Nachdem die Kommission darüber informiert worden war, dass der Bundesrat das EJPD beauftragt hatte, noch einmal detailliert zu prüfen, ob im Bereich der organisierten Suizidhilfe gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht, stellte sie ihre Arbeiten ein. Aus den Ergebnissen der Vernehmlassung zu zwei Varianten eines Gesetzentwurfs ging hervor, dass kein Konsens in der Frage besteht, ob und in welchem Ausmass die organisierte Suizidhilfe über die bestehenden Bestimmungen hinaus auf Bundesebene reglementiert werden soll. Der Bundesrat beschloss deshalb Ende Juni 2011, auf eine ausdrückliche Regelung der organisierten Suizidhilfe im Strafrecht zu verzichten, die Suizidprävention und die Palliativpflege aber weiterhin zu fördern.

5. Erwägungen der Kommission

An ihrer Sitzung vom 30. März 2012 hat die Kommission Kenntnis genommen vom Bericht Palliative Care, Suizidprävention und organisierte Suizidhilfe des Bundesrates vom Juni 2011. Sie teilt seine Auffassung, wonach es nicht notwendig ist, die Sorgfaltspflichten der Suizidhilfeorganisationen strafrechtlich zu regeln (Art. 115 StGB, Art. 119 MStG). Artikel 115 StGB hat sich bewährt und kommt nur dann zur Anwendung, wenn die betreffende Person die tödliche Handlung selbst ausgeführt hat. Darüber hinaus wird verlangt, dass die Person urteilsfähig war und ihren Beschluss aus freiem Willen gefasst hat. Da das Strafgesetzbuch ein Handeln aus selbstsüchtigen Beweggründen ausdrücklich untersagt, kann gegen Suizidhilfeorganisationen vorgegangen werden, die finanziellen Missbrauch betreiben. Zu berücksichtigen sind in diesem Zusammenhang auch die Berufsregeln der Schweizerischen Akademie der medizinischen Wissenschaften (SAMW)[5]Auch beim sogenannten Sterbetourismus müssen die Regeln eingehalten werden; es geht nicht an, dass eine Person in die Schweiz kommt, nur um nach einigen Stunden zu sterben. Im Übrigen lässt sich eine rückläufige Tendenz feststellen: Leistete Dignitas im Jahre 2006 noch in 195 Fällen Suizidbeihilfe, waren es 2009 und 2010 noch 89 beziehungsweise 97 Fälle.
Die Kommission ist der Ansicht, dass das Selbstbestimmungsrecht von allergrösster Bedeutung ist und jede Person selbst darüber entscheiden können soll, was für sie ein würdiges Lebensende ist. Sie ist sich bewusst, dass es in diesem Bereich eine Grauzone gibt, die in ihren Augen jedoch nicht mit gesetzlichen Regelungen beseitigt werden kann. Eine zusätzliche Reglementierung der Suizidhilfe birgt die Gefahr, die individuelle Freiheit in diesem Bereich einzuschränken, was nicht wünschenswert ist. Ausserdem würden die betreffenden Organisationen durch spezifische Vorschriften zur organisierten Suizidhilfe quasi amtlich anerkannt und der Staat übernähme eine gewisse Verantwortung, was problematisch wäre. Die Kommission begrüsst wie der Bundesrat sämtliche Massnahmen zur Vorbeugung von Suiziden, namentlich die Weiterentwicklung der Palliativmedizin und -pflege.
Schliesslich weist sie darauf hin, dass das neue Erwachsenenschutzrecht, das 2013 in Kraft tritt, die Patientenverfügung vorsieht (Art. 370ff. ZGB). Eine urteilsfähige Person wird dann in einer Patientenverfügung festlegen können, welchen medizinischen Massnahmen sie im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit zustimmt und welche sie ablehnt. Mit dieser neuen Regelung sollte die Situation von Sterbenden sowohl für sie selbst als auch für die Ärzteschaft und die Angehörigen geklärt werden können.
Die Kommission hat eine von Vreni Köppel im Jahr 2007 eingereichte Petition geprüft, mit welcher sie verlangt, die gesetzlichen Bedingungen dafür zu schaffen, dass die Suizidhilfe in einem angemessenen Rahmen vollzogen werden kann. Die Petition wurde gemäss Artikel 126 Absatz 2 des Parlamentsgesetzes im Rahmen der Beratung der vier Geschäfte, die Gegenstand dieses Berichts sind, behandelt.
Aufgrund der obigen Erwägungen beantragt die Kommission, die Motion abzulehnen und den Initiativen keine Folge zu geben.



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1) Sterbehilfe und Palliativmedizin - Handlungsbedarf für den Bund?, Bericht des EJPD vom 24. April 2006, http://www.bj.admin.ch/content/bj/de/home/dokumentation/medieninformationen/2006/ref_2006-05-311.html.
2) Ergänzungsbericht von Juli 2007 zum Bericht Sterbehilfe und Palliativmedizin - Handlungsbedarf für den Bund?, http://www.bj.admin.ch/content/bj/de/home/dokumentation/medieninformationen/2007/ref_2007-08-290.html.
3) 06.453 Pa.Iv. Egerszegi-Obrist. Regelung der Sterbehilfe auf Gesetzesebene; 07.483 Pa.Iv. Aeschbacher Ruedi. Stopp dem unwürdigen Sterbetourismus in unserem Land (abgeschrieben) 07.3163 Mo. Ständerat (Stadler Hansruedi). Gesetzliche Grundlage für die Aufsicht über die Sterbehilfeorganisationen; 07.3626 Mo. Glanzmann. Aufsicht über die Sterbehilfeorganisationen (abgeschrieben); 07.3866 Mo. Flückiger Sylvia. Kostenübertragung an Sterbehilfeorganisationen (abgeschrieben) 08.3300 Mo. Aeschbacher Ruedi. Anstiftung und Beihilfe zu Selbstmord unter Strafe stellen (zurückgezogen); 08.3427 Mo. Flückiger Sylvia. Befristetes Verbot der Sterbehilfe (abgelehnt); 10.4165 Po. Recordon. Gesetzgebung über die Sterbehilfe (angenommen).
5) Diese können auf der Website der SAMW eingesehen werden.

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