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08.463 nPa.Iv. Fraktion V. Konkordate. Keine Aushöhlung der Kantonsautonomie durch die Allgemeinverbindlichkeitserklärung

français

Bericht der Staatspolitischen Kommission vom 21. August 2009
Die Kommission hat an ihrer Sitzung vom 22. Januar 2009 die von der Fraktion der Schweizerischen Volkspartei am 3. Oktober 2008 eingereichte parlamentarische Initiative vorgeprüft und ihr Folge gegeben. Nachdem die Staatspolitische Kommission des Ständerates diesem Beschluss nicht zugestimmt hatte, hatte die Nationalratskommission an ihrer Sitzung vom 18. Juni 2009 dem Rat Antrag zu stellen, ob der Initiative Folge zu geben sei oder nicht.

Die Initiative verlangt die ersatzlose Streichung von Artikel 48a der Bundesverfassung.


Antrag der Kommission

Die Kommission beantragt mit 15 zu 2 Stimmen bei 4 Enthaltungen, der Initiative Folge zu geben.
Die Kommissionsminderheit (Moret, Hiltpold) beantragt, der Initiative keine Folge zu geben.

Berichterstattung: Joder (d), Bugnon (f)




Im Namen der Kommission
Der Präsident: Gerhard Pfister

1. Text und Begründung
1. 1. Text
1. 2. Begründung
2. Stand der Vorprüfung
3. Erwägungen der Kommission

1. Text und Begründung

1. 1. Text

Gestützt auf Artikel 160 Absatz 1 der Bundesverfassung und Artikel 107 des Parlamentsgesetzes reichen wir folgende parlamentarische Initiative ein:
Artikel 48a der Bundesverfassung ist ersatzlos zu streichen.

1. 2. Begründung

Mit der Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen (NFA) wurden zahlreiche neue Bestimmungen eingeführt, deren staatspolitischer Tragweite sich viele Politiker und auch Juristen nicht bewusst waren. Neu können 18 bzw. 21 Kantone beantragen, dass ein Konkordat bzw. eine interkantonale Rahmenvereinbarung für "allgemeinverbindlich" erklärt wird. Mit einem entsprechenden Beschluss der eidgenössischen Räte wird dann ein Konkordat allgemeinverbindlich. Das heisst: Es gilt für alle Kantone - auch für solche, welche nicht beigetreten sind oder die Bestimmungen sogar abgelehnt haben. Kantone können also von den Bundesbehörden gezwungen werden, einem Konkordat beizutreten und die entsprechenden Gesetze anzuwenden. Analog zur Allgemeinverbindlicherklärung der Konkordate regelt das Gesetz eine Beteiligungspflicht. Dies betrifft Konkordate, an welchen weniger Kantone beteiligt sind. Auch hier können Kantone vom Bund zur Beteiligung gezwungen werden.
Dies ist aus zwei Gründen abzulehnen: Erstens, weil das Konkordat ein freiwilliges Mittel der Kantone ist, Angelegenheiten überkantonal zu regeln: Aufgrund der Autonomie, welche ihnen die Bundesverfassung gewährt, können sie im Rahmen ihres Zuständigkeitsbereichs Konkordate abschliessen. Ein Kontrahierungszwang widerspricht dem liberalen und föderalistischen Geist der Bundesverfassung diametral. Zweitens, weil ein Konkordat damit die gleiche Gültigkeit und rechtliche Qualität wie ein Bundesgesetz hat. Es ist aber auf ganz anderem Wege zustande gekommen: Nicht mittels parlamentarischer Beratung, nicht als Resultat einer öffentlichen Diskussion, sondern als Handelsergebnis von Regierungsräten und Verwaltungsbeamten. In der Grauzone zwischen Kantons- und Bundesverfassung und fernab von parlamentarischer Arbeit werden Gesetze gemacht, die plötzlich für alle gelten. Selbst für Kantone, welche die Bestimmungen vielleicht abgelehnt haben. Dies ist aus demokratischer und föderalistischer Sicht unbefriedigend.

2. Stand der Vorprüfung

Die Staatspolitische Kommission (SPK) des Nationalrates hat am 22. Januar 2009 der parlamentarischen Initiative der SVP-Fraktion mit 18 zu 1 Stimmen bei 4 Enthaltungen Folge gegeben. Die Kommission ersuchte in der Folge die SPK des Ständerates um Zustimmung zu diesem Beschluss. Die Ständeratskommission behandelte die Initiative am 12. Mai 2009 und verweigerte der Nationalratskommission mit 10 zu 1 Stimmen die Zustimmung. Gemäss Artikel 109 Absatz 3 des Parlamentsgesetzes hat die SPK in diesem Fall dem Rat Antrag zu stellen, ob der Initiative Folge zu geben sei oder nicht.

3. Erwägungen der Kommission

Artikel 48a der Bundesverfassung, welcher im Zusammenhang mit der Vorlage zum „Neuen Finanzausgleich" Eingang in die Verfassung gefunden hat, sieht vor, dass auf Antrag interessierter Kantone der Bund in bestimmten, abschliessend aufgezählten Aufgabenbereichen interkantonale Verträge allgemeinverbindlich erklären oder Kantone zur Beteiligung an interkantonalen Verträgen verpflichten kann.

Die SPK ist der Auffassung dass bei der Aufnahme von Artikel 48a in die Bundesverfassung im Rahmen der „Neugestaltung des Finanzausgleichs" (NFA) die staatsrechtliche Dimension dieser neuen Bestimmung zu wenig ausgelotet wurde. Eine staatspolitische Betrachtungsweise dieser neuen Regelung zeigt, dass es hier nicht nur um Grundsätze des schweizerischen Föderalismus, sondern auch um die Stellung der Bundesversammlung als Bundesgesetzgeber geht.

Dem Instrument der Allgemeinverbindlicherklärung liegt nach Ansicht der SPK ein falsches Verständnis des schweizerischen Föderalismus zugrunde, indem von einem „gemeinsamen Willen der Kantone" ausgegangen wird. Der schweizerische Föderalismus beruht jedoch auf 26 gleichberechtigten Kantonen, die einzelne gesellschaftliche Bereiche durchaus unterschiedlich regeln können. Ist es nun im gesamtschweizerischen Interesse angezeigt, dass für ein Problem in allen Kantonen die gleichen Regeln gelten, dann ist der ordentliche Weg der Verfassungs- bzw. Gesetzgebung zu beschreiten. In diesem transparenten Verfahren ist es allen Kantonen auf gleiche Weise möglich, sich in den üblichen Verfahren (Vernehmlassungsverfahren, Zweikammersystem, Ständemehr) einzubringen. Wenn aber mittels Allgemeinverbindlicherklärung interkantonaler Verträge gesamtschweizerisch Recht gesetzt wird, dann müssen einzelne Kantone Recht übernehmen, welches ihnen von anderen Kantonen aufgezwungen wird. Somit stärkt das Instrument der Allgemeinverbindlicherklärung in keiner Weise den Föderalismus, sondern höhlt im Gegenteil die Autonomie der einzelnen Kantone aus.

Im Weiteren ist es problematisch, wenn auf zwei verschiedene Arten gesamtschweizerisches Recht geschaffen wird: Neben dem durch den Bundesgesetzgeber erlassenen Recht gibt es ein durch die Kantone vereinbartes gesamtschweizerisches Recht. Dies ist demokratiepolitisch fragwürdig, ist doch die parlamentarische Mitwirkung stark eingeschränkt: Sowohl die kantonalen Parlamente wie auch das Bundesparlament können sich nicht mehr zu den Einzelheiten der Regelungen äussern, sondern können einem von kantonalen Exekutiven unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit ausgearbeiteten Regelwerk nur integral zustimmen oder es ablehnen.

Die SPK hat Kenntnis genommen vom Schreiben der Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) vom 13. Februar 2009, in dem Artikel 48a BV als zentrales Element der NFA bezeichnet wird. Die SPK ist jedoch überzeugt davon, dass auch nach Wegfall des Instruments der Allgemeinverbindlicherklärung eine erfolgreiche interkantonale Zusammenarbeit mit Lastenausgleich möglich ist. Die SPK anerkennt den Willen und die Fähigkeit der Kantone, durch das bewährte Instrument der interkantonalen Verträge kantonsübergreifende Aufgaben gemeinsam und ohne Zutun des Bundes zu lösen und somit einer zunehmenden Zentralisierung entgegenzutreten. Die Kantone werden dies auch weiterhin erfolgreich tun. Stösst die freiwillige Zusammenarbeit der Kantone jedoch an Grenzen, indem Kantone durch ihr Fernbleiben eine Lösung blockieren oder gar als Trittbrettfahrer auftreten, dann ist nach einer Bundeslösung auf dem ordentlichen Weg der Gesetzgebung zu suchen. Im schweizerischen System mit den ausgeprägten Mitbestimmungsrechten der Kantone bei der Bundesgesetzgebung ist eine solche Bundeslösung wiederum nur denkbar, wenn die Kantone mitmachen. Ein unter Berücksichtigung der Mitbestimmungsrechte der Kantone erlassenes Bundesgesetz stellt einen weitaus geringeren Eingriff in die kantonale Souveränität dar als ein von Kantonsregierungen einem anderen Kanton unter Mithilfe des Bundes aufgezwungenes Konkordat.

Die SPK anerkennt auch die Bemühungen in verschiedenen Kantonen, die parlamentarische Mitwirkung bei der Ausarbeitung von Konkordaten zu stärken. Dies ändert jedoch nichts daran, dass sich die parlamentarische Mitwirkung - analog wie die Mitwirkung der Bundesversammlung in internationalen Angelegenheiten - in der Regel auf Genehmigungs- oder allenfalls Konsultationsrechte beschränken muss. Die Detailregelungen des Vertrags - und somit der Erlass rechtsetzender Bestimmungen - werden jedoch von den Mitgliedern der Regierungskonferenzen und den sie unterstützenden Verwaltungen vorgenommen.

Die Minderheit der Kommission erachtet es nicht als sinnvoll, so kurz nach Inkrafttreten der neuen Verfassungsbestimmung diese schon wieder infrage zu stellen. Auch das Verfahren zur Allgemeinverbindlicherklärung sei demokratisch abgesichert, indem sogar das Referendum gegen eine Allgemeinverbindlicherklärung ergriffen werden könne. Zudem sei in vielen Kantonen eine Referendumsmöglichkeit gegen kantonale Konkordate vorgesehen. Es sei sinnvoll, jetzt zuerst einmal Erfahrungen zu sammeln, noch sei ja eine Allgemeinverbindlicherklärung gar nie notwendig geworden. Das Instrument stelle einen wichtigen Bestandteil der NFA dar und dürfe nicht isoliert von diesem Projekt betrachtet werden.





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