85.950 - Interpellation.
Volksinitiative. Karenzfristen
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Eingereicht von Wyss Paul
Einreichungsdatum 10.12.1985
Eingereicht im Nationalrat
Stand der Beratung Erledigt
Eingereichter Text
Am 1. Dezember 1985 haben Volk und Stände die Volksinitiative"für die Abschaffung der Vivisektion) massiv verworfen. Bereits am 3. Dezember 1985 lancierten zwei Vereinigungen von Vivisektionsgegnern eine neue, noch radikalere Volksinitiative "zur Abschaffung der Tierversuche und der Vivisektion". Generell ist eine zunehmende Tendenz unterlegener Initianten festzustellen, selbst klare Volksentscheide nicht mehr anzuerkennen und stattdessen sogleich neue Volksinitiativen mit gleicher oder ähnlicher Stossrichtung zu lancieren. Die rechtsstaatliche Demokratie wird auf diese Weise ausgehöhlt. Natürlich darf das wichtige Recht der Volksinitiative nicht eingeschränkt, aber offensichtlicher Missbrauch muss verhindert werden. Ich frage den Bundesrat an, ob es angebracht wäre, die Frage erneut abzuklären, wie Volksinitiativen mit einer Karenzfrist belegt werden könnten, deren Dauer und Modalitäten im einzelnen festzulegen wären.

Begründung
Der Interpellant verzichtet auf eine Begründung und wünscht eine schriftliche Antwort.

Antwort des Bundesrates 12.02.1986
1. Nach dem klaren Wortlaut des Artikels 118 der Bundesverfassung ist deren Revision jederzeit möglich. Das bedeutet, dass eine von Volk und Ständen entschiedene Verfassungsfrage zu jedem Zeitpunkt wieder aufgegriffen und erneut zur Abstimmung gebracht werden kann. 2. Gelegentlich werden Stimmen laut, die eine Art Rechtsruhe fordern, eine Sperr- oder Karenzfrist, die verhindern soll, dass Entschneide des Souveräns in Frage gestellt werden, bevor eine gewisse Zeit verstrichen ist. Die vorliegende Interpella- tion zielt in die gleiche Richtung. Ihr schwebt eine - noch zu definierende - Karenzfrist vor, allerdings bloss für Volks- initiativen, nicht auch für Verfassungsvorlagen der Bundesver- sammlung. Soll dem Anliegen entsprochen werden? a. Eine Karenzfrist könnte nur durch Revision der Bundesverfassung eingeführt werden; deren Artikel 118 liesse ein anderes Ergebnis nicht zu. Solange dieser Artikel unverändert besteht, geht es nicht an, den Umstand als Missachtung des Volkswillens oder gar als Missbrauch eines Volksrechts zu brandmarken, dass immer wieder und in rascher Folge neue Initiativen in der gleichen Sache lanciert werden. Eine andere Frage ist, ob ein solches Vorgehen in jedem Fall politisch klug ist, ob es den Stimmbürger nicht ermüdet und von ihm nicht als Zwängerei empfunden wird. b. Es kann nicht zweifelhaft sein, dass das Volksrecht der Verfassungsinitiative durch Einführung einer Karenzfrist empfindlich eingeschränkt würde. Was in breiten Kreisen gefordert wird, ist aber nicht eine Beschneidung dieses Volksrechts, sondern sein Ausbau. c. Kantonsverfassungen müssen von Bundesrechts wegen jederzeit revidierbar sein, "wenn die absolute Mehrheit der Bürger es verlangt" (Art. 6 Abs. 2 Bst. c BV) Diese Vorschrift könnte kaum mehr aufrechterhalten werden, wenn die jederzeitige Revidierbarkeit der Bundesverfassung eingeschränkt würde. d. Beim Ausschöpfen der gesetzlichen Fristen verstreichen vom Beginn der Unterschriftensammlung bis zur Abstimmung über eine Volksinitiative etwa sechs Jahre, manchmal auch mehr. Die angestrebte Karenz ergibt sich daher schon heute weitgehend von selbst. e. Die Einführung einer Karenzfrist brächte schwer zu lösende Abgrenzungsprobleme. Wäre beispielsweise auf die - formelle und/oder inhaltliche - Identität der Verfassungsfrage abzustellen, oder würde auch schon ein mehr oder weniger loser Zusammenhang für den Ausschluss einer neuen Initiative genügen? So ist zur Frage der Vivisektion und des Tierschutzes nicht erst nach der Volksabstimmung vom 1. Dezember 1985 eine neue Initiative lanciert worden. Der Schweizer Tierschutz hatte bereits am 14. Mai 1985 eine solche gestartet (Initiative "zur drastischen und schrittweisen Einschränkung der Tierversuche (Weg vom Tierversuch|)"; BB1 1985 I 1248). Diese geht weniger weit als die am 1. Dezember 1985 verworfene. Ohne sie wären breite Kreise des Tierschutzes in eine Zwangslage geraten zwischen vorbehaltloser Annahme einer extremen Initiative und deren Bekämpfung. Das negative Abstimmungsergebnis vom 1. Dezember 1985 lässt sich ohne Berücksichtigung dieser Entwicklung kaum zuverlässig deuten. f. Verfechtern eines Anliegens, das Gegenstand einer Volksinitivative bildet, soll es nicht verwehrt sein, neue Einsichten zu gewinnen. Karenzfristen würden, wie das vorerwähnte Beispiel zeigt, solche Entwicklungen hemmen statt fördern, indem sie viele Stimmbürger zur Unterstützung radikaler Initiativen veranlassen könnten. g. Bundesrat und Parlament haben immer wieder die formale Gleichwertigkeit von Initiativen und Verfassungsvorlagen der Bundes- versammlung betont. Die verfassung selber unterstreicht sie ebenfalls, wie die Stellung des Gegenentwurfs zu Initiativen zeigt (Art. 121 Abs. 6, Art. 123 Abs. 1). Karenzfristen einzig für Volksinitiativen einzuführen, hiesse diese Gleichwertigkeit preisgeben. 3. Bei allem Verständnis für das Unbehagen über die zunehmende zeitliche Häufung gleichgerichteter Initiativen überwiegen die staatpolitischen Bedenken gegen die angestrebte Einschränkung. Der Bundesrat hat schon vor Jahren zum Ausdruck gebracht, dass die Errichtung einer zeitlichen Schranke von politischer Aengstlich- keit zeugen müsste und im Einzelfall als politisch unerwünscht empfunden werden könnte (BB1 1960 II 876). Er hat diese Auffassung in seiner Antwort vom 4. Mai 1983 auf einen entsprechenden parlamentarischen Vorstoss (83.402 Motion Räz), der vom Nationalrat später diskussionslos abgeschrieben wurde, bestätigt. Der Nationalrat hatte übrigens schon 1976 einen ähnlich lautenden Vorstoss diskussionslos abgeschrieben (Amtl. Bull N 1976, 1691/1692). Da das Fehlen einer solchen Schranke bisher nie zu unerträglichen Störungen oder Spannungen im Staatsleben geführt hat, sieht der Bundesrat auch heute keine zwingenden Gründe, eine Aenderung der Rechtslage ins Auge zu fassen.

Chronologie

21.03.1986 Nationalrat (N AB 1986 I)

Erledigt durch schriftliche Antwort des BR

Mitunterzeichnende Aliesch, Ammann-Bern, Aregger, Aubry, Auer, Basler, Berger, Blocher, Blunschy, Bonnard, Bonny, Bremi, Bühler-Tschappina, Bürer-Walenstadt, Candaux, Cavadini, Cevey, de Chastonay, Chopard, Cincera, Columberg, Cottet, Cotti Flavio, Cotti Gianfranco, Couchepin, Coutau, Darbellay, Dirren, Dubois, Dünki, Dupont, Eggenberg-Thun, Eggli-Winterthur, Eggly-Genf, Eisenring, Eng, Eppenberger-Nesslau, Etique, Feigenwinter, Fischer-Hägglingen, Fischer-Sursee, Flubacher, Frei-Romanshorn, Frey-Neuenburg, Früh, Gautier, Geissbühler, Giger, Giudici, Graf, Grassi, Hess, Hofmann, Hösli, Houmard, Humbel, Hunziker, Jeanneret, Jung, Keller, Kohler Raoul, Koller Arnold, Kühne, Künzi, Landolt, Loretan, Lüchinger, Maitre-Genf, Massy, Mühlemann, Müller-Scharnachtal, Müller-Meilen, Nebiker, Nef, Neuenschwander, Nussbaumer, Oester, Ogi, Perey, Pfund, Pini, Reich, Revaclier, Rime, Risi-Schwyz, Rubi, Rutishauser, Rüttimann, Sager, Salvioni, Savary-Freiburg, Savary-Waadt, Schärli, Schmidhalter, Schnyder-Bern, Schüle, Schwarz, Segmüller, Seiler, Soldini, Spälti, Spoerry, Stamm Judith, Steinegger, Stucky, Thévoz, Tschuppert, Uhlmann, Villiger, Wagner, Wanner, Weber-Schwyz, Wellauer, Widmer, Zwingli (115)
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