Eigentlich klingt es einfach: «Mann und Frau sind gleichberechtigt.» Seit 1981 steht der Grundsatz in der Verfassung, seit 1996 führt ihn das Gleichstellungsgesetz (GlG) näher aus. Fachstellen sensibilisieren für Geschlechterfragen, an die tausend Betroffene sind bisher gegen Diskriminierung vorgegangen. Trotzdem bestehen bei Lohn, Weiterbildung und Aufstieg noch immer unerklärbare Unterschiede. Weshalb? Und was braucht es, um sie zu beseitigen?

Zwiespältiges Bild
Im Mai 2018 verleiht die UNO dem Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG) den «Public Service Award». Sie zeichnet damit das Engagement der Schweiz für Lohngleichheit aus.
Alles gut? Nein, denn noch im selben Jahr schreibt das Parlament Lohngleichheitsanalysen für Unternehmen vor, da Freiwilligkeit offensichtlich nicht zum Ziel führt.
Diese zwei Schlaglichter zeigen, wie ambivalent auch 23 Jahre nach Einführung des GlG die Verhältnisse sind. Dabei legt schon 1981 die Volksinitiative «Gleiche Rechte für Mann und Frau» die Grundlagen. In der Folge kämpfen Basler Kindergärtnerinnen erfolgreich für Lohngleichheit. Solche Prozesse strahlen auf andere Berufe und andere Kantone aus. Ein weiterer Meilenstein folgt 1986: CVP-Nationalrätin Judith Stamm erreicht mit einer Motion die Schaffung des Eidgenössischen Gleichstellungsbüros, das noch im selben Jahr seine Arbeit aufnimmt. Es hat viel zu tun.
CVP-Nationalrätin Judith Stamm regt in den Achtzigerjahren die Schaffung eines Gleichstellungsbüros an.
«Was lange währt, wird endlich Wut»
Mit diesem Satz bringt Grünen-Nationalrätin Cécile Bühlmann die Ungeduld auf den Punkt, die 1994 Frauenorganisationen aus dem ganzen politischen Spektrum eint: Noch immer bestehen Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern, die statistisch nachweisbar, aber unerklärt sind. Als der Nationalrat über den Entwurf zum GlG debattiert, ist dort trotzdem umstritten, ob es ein solches Gesetz braucht.
Judith Stamm sagt im Namen der Kommission, das Gesetz solle «etwas ganz Selbstverständliches» leisten, nämlich das Diskriminierungsverbot konkretisieren und Betroffenen zu Rechten verhelfen. Nicht alle Frauen sehen es so: Die Liberale Suzette Sandoz lehnt das Vorhaben ab; es sei freiheitsbedrohend, ja verfassungswidrig, da es in die Hoheit der Kantone eingreife. Dafür findet es Unterstützung bei Elisabeth Zölch aus der SVP: «Das Ziel ist noch lange nicht erreicht. Ein Gesetz ist aus juristischer Sicht Pflicht.»
Das Parlament folgt dem Aufruf. 1996 tritt das GlG in Kraft.
Hoffnungen erfüllt?
Auch mit den 18 neuen Gesetzesartikeln ist es kein Spaziergang, gegen Diskriminierung anzugehen. Wer sich in der Privatwirtschaft wehrt, steht schnell auf der Strasse. SP-Nationalrätin Vreni Hubmann nimmt 2002 einen Anlauf, Rachekündigungen zu verhindern, und reicht eine Motion ein. Die Grosse Kammer des Parlaments will die Frage jedoch bloss prüfen lassen. Vier Jahre später legt der Bundesrat deshalb einen ersten Wirksamkeitsbericht zum GlG vor. Er schreibt: Das Gesetz hat sich grundsätzlich bewährt; Gruppenklagen in typischen Frauenberufen haben das Lohngefüge der Kantone verändert. Ernüchternder – um nicht zu sagen brutal – fällt das Fazit der Arbeitsgemeinschaft aus, die die Untersuchung durchgeführt hat: Im privaten Sektor hat sich die durchschnittliche Lohndifferenz kaum verändert, und die Angst vor der Kündigung hält viele von einer Lohnklage ab. Auch ein Kampf gegen sexuelle Belästigung bedeutet in der Regel den Verlust des Arbeitsplatzes.
Die Verwirklichung der Gleichstellung, sagte Judith Stamm 1994, sei «ein langsamer und zähflüssiger Prozess». Die Geschichte scheint ihr Recht zu geben.
«Unerklärter Lohnunterschied»: Aktuelle Zahlen des Eidgenössischen Gleichstellungsbüros
Tief verankerte Geschlechterstereotypen
2016 ziehen Fachleute zum zweiten Mal eine kritische Bilanz. Sie nennen zahlreiche Ursachen dafür, dass die Durchsetzung des GlG zu wünschen übriglässt: Betroffene müssen sich exponieren, ein Prozess kann teuer werden, und erstinstanzliche Gerichte anerkennen zu viele Gründe als Rechtfertigung für Lohnunterschiede. Zudem erfolgt Diskriminierung oft indirekt und unbewusst, aufgrund alter Geschlechterbilder, die unsere Kultur durchdringen.
Der Bundesrat kommt zum Schluss, die Rahmenbedingungen müssten sich ändern. Für die Organisationen der Arbeitnehmenden heisst das: Lohntransparenz. Der Bundesrat nimmt deshalb die Unternehmen in die Pflicht.
Bundesrätin Simonetta Sommaruga am 3. Dezember 2018 im Nationalrat: «99,1 Prozent aller Firmen in der Schweiz müssen keine Lohngleichheitsanalyse machen.»
Lohnanalysen statt Freiwilligkeit
«Der Lohngleichheitsdialog – ein Projekt der Sozialpartner und des Bundes – hat nicht das gewünschte Resultat gebracht», räumt Alain Berset 2016 ein. Der Bundesrat will deshalb, dass Firmen mit über 50 Arbeitnehmenden alle vier Jahre ihre Löhne durchleuchten. Der Nationalrat debattiert die Gesetzesänderung kontrovers: Die einen zählen darauf, dass Lohngleichheit mehr Frauen zum beruflichen Wiedereinstieg motiviert und dass dies auch der Wirtschaft nützt, die anderen fürchten ein Bürokratiemonster. Am Schluss befürwortet das Parlament die Massnahme, erhöht aber die Schwelle auf 100 Angestellte. Eine Analyse gibt es somit für weniger als 1 Prozent der Firmen, aber für 46 Prozent der Arbeitnehmenden. Obwohl Fehlbare mit keiner Strafe rechnen müssen, zeigt sich Bundesrätin Sommaruga überzeugt: «Die Transparenz, die wir mit diesem Gesetz einfordern, entfaltet schon ihre Wirkung.»
Die Debatte im Nationalrat schillerte zwischen Skepsis und Optimismus – wie viele Diskussionen zu diesem Thema. Die Vorsitzende der Zürcher Schlichtungsbehörde, Susy Stauber-Moser, sagte schon 2015: «Ich bin zuversichtlich, dass sich die Lohndifferenz zwischen Männern und Frauen verringern wird.» Um gleich nachzuschieben: «Das GlG wird es noch lange brauchen.»
Das Informatiktool «Logib» soll Lohnanalysen einfach machen.
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