Als 1902 das Parlamentsgebäude eingeweiht wurde, sah der Ständeratssaal noch anders aus: Das Wandbild fehlte. Die Wand war weiss mit vorgeblendeten Halbsäulen aus Holz. Mit dem Fresko wurde erst zehn Jahre später begonnen.

​Warum die Wand zunächst leer blieb und das heute vorhandene Wandbild erst 1908 in Auftrag gegeben wurde, ist nicht restlos geklärt. Der Architekt Hans Wilhelm Auer (1847 – 1906) plante das Parlamentsgebäude als «Gesamtkunstwerk»: Von Schweizern für Schweizer gebaut, nach Möglichkeit aus einheimischen Materialien, mit Handwerkern und Künstlern aus sämtlichen Regionen des Landes. Da der Tessiner Antonio Barzaghi-Cataneo (1834 –1922 ) das Deckengemälde in der Wandelhalle und der Westschweizer Charles Giron (1850 – 1914) das grosse Leinwandbild im Nationalratssaal schufen, war zu erwarten, dass das Wandbild im Ständeratssaal von einem Deutschschweizer ausgeführt würde.

 

Ständeratssaal mit weisser Wand

 

Ständeratssaal mit Tapete

Ferdinand Hodler war zu provokanT

Der grosse Deutschschweizer Maler, der zu der Zeit bereits Historien- und Wandbilder gemalt hatte, hiess Ferdinand Hodler (1853 – 1918). Er wäre für den Auftrag sicherlich in Frage gekommen. Doch machte er sich in Zürich mit seinem Auftrag im Schweizerischen Landesmuseum unmöglich und kam wohl daher nicht mehr in Frage.

Seine Fresken von der Schlacht von Marignano hatten ein paar Jahre zuvor einen heftigen Kunststreit ausgelöst. Zum einen wegen Hodlers zu moderner Komposition, zum anderen, weil er den Krieg nicht heroisch darstellte, sondern realitätsnah. Die Polemik war so heftig, dass der Bundesrat in corpore nach Zürich reisen musste, um den Streit zu regeln. Dass Hodler daraufhin in Deutschland Aufträge erhielt und im Neuen Rathaus in Hannover 1913 das grosse Wandbild «Einmütigkeit» malte, ist eine andere Geschichte. Im Schweizer Parlament jedenfalls blieb die Wand zunächst weiss und wurde etwas später mit einer Tapete versehen.

Albert Welti nimmt die Herausforderung an

Um 1908 herum, – zwei Jahre nach Hans Wilhelm Auers Tod, – wurde Albert Welti (1862-1912) für das Wandbild im Ständeratssaal angefragt. Er war bereits für sein Rundbogenfenster in der Kuppelhalle zur Textilwirtschaft bekannt.

 

Rundbogenfenster Textilwirtschaft

Welti zögerte zunächst recht lange. Schliesslich nahm er die Herausforderung unter der Bedingung an, das Wandbild zusammen mit seinem Kollegen Wilhelm Ballmer (1865–1922) malen zu dürfen. Nach einigem hin- und her über das Motiv – es standen andere Sujets, wie etwa Schweizer Burgen in den fünf Feldern zur Diskussion – setzte sich die Idee der Landsgemeinde durch.

Für die Ewigkeit geehrt

Zusammen unternahmen die beiden Maler eine Reise in die Innerschweiz, wo sie verschiedene Landsgemeinden besuchten und hunderte von Skizzen erstellten. Daraus entstand ein Entwurf von Albert Welti, der rund 175 Portraits enthält und den er noch auf die Masse der Wand vergrössern konnte. Am 7. Juni 1912 starb Albert Welti unverhofft. Die Übertragung des Entwurfes auf die Wand und die eigentliche Wandmalerei wurde in der Folge von Wilhelm Balmer alleine ausgeführt. Wilhelm Ballmer malte zu Ehren seines Freundes ein Portrait von Albert Welti in das Bild. Auf den Kragen hatte er in die nasse Farbe eingeritzt «amicus amico» (dem Freunde in Freundschaft gewidmet). Vermutlich hat er aber auch ein eigenes Selbstportrait in das Bild hineingemalt.

 

Portrait von Albert Welti

 

Portrait von Wilhelm Balmer

Das Wandbild war im März 1914 fertiggestellt. Zeitgleich zur Schweizerischen Landesausstellung auf dem Viererfeld in Bern wurde das Parlamentsgebäude vom 15. Mai bis 15. Oktober 1914 für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Bürgerinnen und Bürger konnten nun «ihr» Parlamentsgebäude mit allen seinen Kunstwerken bewundern.

 

Die Landsgemeinde (Ganz rechts: das Portrait von Albert Welti, vor der Frau, die winkt. Ganz links: dieses von Wilhelm Balmer) Quelle: Wikimedia.org, Autor Albert Welti, Link

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