Wofür kämpften die ersten zwölf ins Bundesparlament gewählten Frauen? Wie erlebten sie als sehr kleine Minderheit in den eidgenössischen Räten ihr politisches Engagement und wie überzeugten sie die männlichen Ratsmitglieder von ihren Ideen? Die Walliserin Gabrielle Nanchen und die St. Gallerin Hanna Sahlfeld-Singer, die beide 28 Jahre alt waren, als sie 1971 als SP-Nationalrätinnen ins Parlament einzogen, sprechen über ihre Erfahrungen und ermutigen junge Frauen, sich politisch zu engagieren.

Gabrielle Nanchen wurde 1943 im Kanton Waadt geboren. Nach ihrem Soziologiestudium folgte sie ihrem Mann ins Wallis und verlor so als Frau das Stimmrecht auf kantonaler Ebene. Sie engagierte sich in der Sozialdemokratischen Partei des Kantons Wallis. Neben ihrem Nationalratsmandat hatte sie auch das Präsidium von «Frauen–Begegnung–Arbeit» inne, war Vizepräsidentin der Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen, Präsidentin von Swissaid, Delegierte der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) für Nord-Süd-Fragen, Präsidentin der Stiftung für die nachhaltige Entwicklung der Bergregionen und Mitglied der
Versammlung des IKRK. Sie ist Mitgründerin und ehemalige Präsidentin der Association Compostelle-Cordoue, die sich durch Wandern, Dialog und Verständnis für den interkulturellen Austausch einsetzt (Beine, Kopf und Herz).

 

Gabrielle Nanchen ist Verfasserin folgender Werke:

  • Hommes et femmes, le partage, Ed. Pierre-Marcel Favre, 1981
  • Liebe und Macht: Gedanken zu den weiblichen und männlichen Werten, Benziger, 1992
  • Compostelle, de la Reconquista à la réconciliation, Ed. Saint-Augustin, 2008
  • Auf dem Jakobsweg: Von der Schweiz nach Santiago de Compostela – Eine Reise zu sich selbst, Ed. Mondo, Vevey 2009
  • Compostelle-Cordoue, Marche et Rencontre. Un témoignage collectif sous la direction de Gabrielle Nanchen et Louis Mollaret, Ed. Saint-Augustin 2012. JB
  • Le goût des autres. Des nouvelles du vivre ensemble, Ed. Saint-Augustin, 2018.

Die erste Nationalrätin, die während ihrer Amtszeit ein Kind bekam

Hanna Sahlfeld-Singer wurde 1943 in Flawil (SG) geboren. Sie studierte evangelische Theologie, musste ihre Stelle als Pastorin wegen ihres Einzugs in den Nationalrat aber aufgeben, da Geistliche damals kein Parlamentsmandat ausüben durften. Sie war das erste weibliche Nationalratsmitglied des Kantons St. Gallen.

Die Sozialdemokratin setzte sich für den Mieterschutz, die Einführung des Zivildienstes, die erleichterte Einbürgerung von Flüchtlingen und eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 40 Km/h in Ortschaften ein. Ausserdem kritisierte sie die niedrigen Löhne, die Schweizer Unternehmen ihren Angestellten in Südafrika bezahlten. Ihr zweites Kind kam während ihrer Amtszeit zur Welt.

Hanna Sahlfeld-Singer wurde 1975 wiedergewählt, trat ihr Mandat aber nicht an, da ihr Ehemann Rolf aufgrund ihres politischen Engagements im Kanton St. Gallen keine Stelle fand. Die Familie wandert nach Deutschland aus, wo sich Hanna Sahlfeld-Singer in der Entwicklungspolitik engagierte und die Weltladen-Bewegung mitbegründete.


Bibliographie:

  • Boos, Susan: «Zu früh am richtigen Ort», in: Widmer, Marina; Witzig, Heidi (Hrsg.): Blütenweiss bis rabenschwarz. St. Galler Frauen – 200 Porträts, 2003, S. 328/329.
  • Graf, Karl (Hrsg.): Pfarrerinnen und Pfarrer der Evangelisch-reformierten Kirche des Kantons St. Gallen, 1971–2009, 2010, S. 53.