Es gilt das gesprochene Wort

 

Vor fast genau 15 Jahren, nämlich am 27. September 1995, wählte die Bundesversammlung den damaligen Zürcher Regierungsrat und SP-Nationalrat Moritz Leuenberger zum 101. Bundesrat.

Rückblickend kann man von einer politischen Bilderbuchkarriere sprechen. Begonnen hatte sie früh. Als Student stiess er zur Politik und zur Sozialdemokratie. 1972 stand er für acht Jahre der Stadtzürcherischen SP als deren Präsident vor. Zwischen 1974 und 1983 sass Moritz Leuenberger im Parlament der Stadt Zürich, 1979 folgte der direkte Sprung in die Bundespolitik, in den Nationalrat. Auf diesen Wahlerfolg angesprochen, sagte er damals: Er bleibe weiterhin der Anwalt der kleinen Leute. In seinem neuen, politischen Mandat sah er Parallelen zu seinem Beruf. Ein guter Anwalt sei ein guter Übersetzer. Ein Politiker müsse seine Überzeugungen ebenfalls verständlich übersetzen.

Eine seiner großen Stärken war, dass er im direkten Kontakt immer den Zugang zu Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft fand – er traf den Ton und fand das richtige Wort. Wie wichtig ihm die Diskussion in der Politik war, zeigte sich über die Jahre immer wieder: Bundesrat Leuenberger verstand die öffentliche Rede nicht als Monolog, sondern als Zwiegespräch. Den Auftritt nutzte er, um laut über Dinge zu sinnieren, seine Sichtweise aufzuzeigen: unkonventionell, provozierend, witzig, nie verletzend und oft voller Ironie – und auch Selbstironie. Seine rhetorische Finesse brachte ihm als ersten Schweizer den Cicero-Preis für die beste politische Rede im deutschsprachigen Raum.

Erlauben Sie mir an dieser Stelle eine persönliche Bemerkung; sie zeigt, wie wichtig es Moritz Leuenberger ist, von seinem Publikum verstanden zu werden. Als ich ihn vor drei Jahren im Namen des Gehörlosenbundes anfragte, ob er am Anlass „Sound of Silence“ – einem Kulturabend mit mehrheitlich gehörlosen Teilnehmenden - auftreten würde, sagte er spontan zu. Doch nicht nur das; er bestand auch darauf, die Rede in Gebärdensprache zu halten. Wir mussten nicht lange üben und seine Gebärden waren bühnenreif. Wie Sie sich vorstellen können, war die Begeisterung im Publikum gross und am meisten amüsierte es sich, als sich der Kommunikationsminister selbst imitierte.

Im Nationalrat fasste Moritz Leuenberger schnell Fuss. Er erwarb sich Ansehen als Präsident der parlamentarischen Kommission, die die Aktienrechtsreform vorzuberaten hatte und als Präsident der Geschäftsprüfungskommission.

Die grosse Herausforderung bewältigte er später, als er von der Bundesversammlung beauftragt wurde, die Vorfälle im Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement zu untersuchen. Als Präsident der parlamentarischen Untersuchungskommission gelang ihm damals in einer schwierigen und konfliktreichen Situation, die Untersuchungen der Kommission effizient und erfolgreich zu organisieren. Selbst politische Gegner attestierten ihm, Rückgrat und Sinn für Gerechtigkeit bewiesen zu haben. Der Bericht der PUK wurde von der Untersuchungskommission einstimmig beschlossen und ihre Arbeit wurde in den Ratsdebatten und der Öffentlichkeit gelobt. Sie hat zur Aufdeckung des Fichenskandals und zu bedeutsamen Gesetzesänderungen geführt. Moritz Leuenberger hielt es nach getaner Arbeit mit Wilhelm Busch: „gehabte Schmerzen hab ich gern“. Der Aufwand habe sich gelohnt. Als ihn der Bundesrat kurze Zeit später zum Sonderbeauftragten für Staatschutzakten ernennen wollte, war er in einem Dilemma. Er fühlte sich verpflichtet, die Vorschläge der PUK umzusetzen, lehnte dann aber das Mandat mit Hinweis auf die Gewaltentrennung ab und blieb Nationalrat.  

Kurz darauf wählte ihn das Züricher Stimmvolk zum Regierungsrat seines Kantons. Er wurde Vorsteher der Direktion des Innern und der Justiz und pendelte weiterhin als Nationalrat nach Bern. Im Doppelmandat sah er den Vorteil, lokale Probleme von nationaler Dimension auf die große Bühne bringen zu können – die Drogenproblematik zum Beispiel.

Nach dem Rücktritt von Bundesrat Otto Stich kam die Kandidatur und Wahl von Moritz Leuenberger nicht überraschend. Die Medien bezeichneten diese ausnahmslos als „gute“ Wahl. Für viele Bürgerinnen und Bürger war Moritz Leuenberger der Hoffnungsträger für ein neues, pragmatisches und urbanes Denken. Von Bundesrat Adolf Ogi übernahm er das Eidgenössische Verkehrs- und Energiedepartement EVED, das später zum Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK erweitert wurde.

Durch die Zusammenlegung von Verwaltungsbereichen wurde das Departement zu einem Nachhaltigkeitsdepartement, in dem Schutz und Nutzen bei allen Aufgaben und Fragestellungen gegeneinander abgewogen werden mussten. Dass hierbei bisweilen widersprüchliche Interessen aufeinander stiessen und auch in Zukunft stossen werden, liegt in der Natur der Sache. Moritz Leuenberger machte zum Gesamtprogramm, was die künftige helvetische Umweltpolitik im globalen Kontext bedeuten soll, hielt ein Journalist der NZZ fest. Für diesen Blick über die Landesgrenze hinweg, für seine innovativen verkehrspolitischen Anstösse zuhanden des europäischen Gemeinschaftsrechts verlieh ihm die Universität Udine 2001 den Ehrendoktortitel.

Das UVEK ist auch ein Departement, wo Abstraktes konkret wird, weil es den Alltag der Menschen in diesem Land unmittelbar prägt. Das macht eine Amtsführung spannend, aber nicht einfacher – im Gegenteil: Stau vor dem Gotthard, höhere Posttarife, Mobiltelefon-Antennen im Dorf oder die Aufschläge auf den Zugsbilleten – der Ärger des Volkes entlud sich jeweils auf dem Infrastrukturminister.

Moritz Leuenberger sind einige Meilensteine zu verdanken, vor allem in der Verkehrspolitik. Diese wurde von den Stimmberechtigten in mehreren Abstimmungen unterstützt: Dazu gehören das Landverkehrsabkommen mit der Europäischen Union (EU), die leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe LSVA sowie selbstverständlich die Neue Alpentransversale (Neat) mit dem 2007 eröffneten Lötschbergtunnel und dem in rund drei Wochen erwarteten Durchstich am Gotthard. Die schweizerische Verlagerungspolitik gilt als vorbildlich, sodass sie inzwischen auch im Ausland Nachahmer gefunden haben. Mit dem CO2-Gesetz und der seit 2008 erhobenen CO2-Abgabe auf Heizöl sind in der Amtszeit von Moritz Leuenberger wichtige Instrumente einer nachhaltigen Umweltpolitik eingeführt worden. Vieles bleibt zu tun im Bereich der ökologischen Nachhaltigkeit, ohne Frage - und unser Land kann dieser grossen Herausforderung nicht alleine begegnen. Moritz Leuenberger hätte sich wohl gewünscht, die Schweiz als kleines, in klimapolitischen Fragen jedoch einflussreiches Land hätte hie und da etwas mutigere Zeichen gegen aussen setzen können.  

Mit Moritz Leuenberger tritt ein Bundesrat ab, der sich aus tiefster Überzeugung der Konkordanz verpflichtet fühlt und der seinen politischen Kontrahenten mit Respekt begegnete. Die Hochhaltung des Kollegialitätsprinzips war für ihn mehr als nur eine Frage des Stils, auch wenn es für ihn nicht immer einfach war. Unvergessen bleibt er uns als Bundespräsident, der im Jahr der Katastrophen 2001 – mit dem 11. September, dem Brand im Gotthard-Tunnel, dem Amoklauf im Zuger Kantonsparlament – den Menschen aus dem Herzen sprach. Sein grosses Verständnis für Kunst und Kultur, für ganz verschiedene Formen von Kultur, hat Moritz Leuenberger gerade als Bundespräsident ausdrücken und vermitteln können.

 

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

Nach seiner Wahl in den Bundesrat vor 15 Jahren sagte Moritz Leuenberger: „Ihr Vertrauen bedeutet eine Verpflichtung und eine sehr grosse Arbeit, die ich mit Freude und sehr gerne machen werde - wissend, dass ich das alleine aber gar nicht kann, sondern dass das Kollegium des Bundesrates, aber auch die Bundesversammlung dazu ihre Hilfe bieten müssen.“

 

Lieber Herr Bundesrat Moritz Leuenberger,

National- und Ständerat konnten Ihnen wohl nicht immer die Hilfe bieten, die Sie sich gewünscht hätten, um Ihre Ziele zu verwirklichen. Hingegen entbieten wir Ihnen heute all unseren Respekt für Ihre grosse Arbeit, die Sie geleistet haben als Departementsvorsteher, als Bundesrat und zweimaliger Bundespräsident.

Für Ihr Engagement und für Ihre Verdienste für unser Land und die Menschen in diesem Land möchten wir Ihnen von Herzen danken. Wir wünschen Ihnen alles Gute für den neuen Lebensabschnitt ausserhalb von Bundesbern.