(sda) Politische Rechte: Der Nationalrat hat am Dienstag zwei parlamentarische Initiativen abgelehnt, die Ausländerinnen und Ausländern in der Schweiz mehr Mitbestimmungsrechte gewährt hätten. Die Grünen verlangten, dass Ausländer, die ich seit fünf Jahren rechtmässig in der Schweiz aufhalten, das Stimmrecht und das aktive und passive Wahlrecht auf Bundesebene erhalten. SP-Nationalrat Mustafa Atici (BS) wollte, dass Personen ohne Schweizer Bürgerrecht spätestens nach fünf Jahren Wohnsitz in der Schweiz die vollen politischen Rechte auf kommunaler Ebene erhalten. Die Initiativen scheiterten mit 113 zu 63 Stimmen ohne Enthaltungen respektive mit 110 zu 64 Stimmen bei vier Enthaltungen. Sie sind vom Tisch.

Coronavirus: Bis heute sind in der Schweiz 15,7 Millionen Covid-19-Impfdosen verabreicht worden. Fürs laufende Jahr stehen 33 Millionen neue Dosen zur Verfügung. Laut Gesundheitsminister Alain Berset ist das ein Entscheid für mehr Sicherheit. Der Bundesrat wolle nie mehr in eine Situation kommen, drastische Massnahmen verhängen zu müssen, sagte Berset in der Fragestunde des Nationalrats. Mit der Bestellung von mehreren Millionen Dosen von Impfstoffen verschiedener Anbieter würden auch die Ausfallrisiken einzelner Hersteller minimiert. Der Bundesrat setze alles daran, dass überschüssige Dosen an andere Länder abgetreten würden, sagte Berset weiter. Die Nachfrage aus dem Ausland sei jedoch seit Anfang 2022 rückläufig. Deshalb hätten erste Dosen bereits vernichtet werden müssen.

Abstimmungen: Wenn eine Volksinitiative an die Urne kommt, soll künftig auf dem Abstimmungszettel auch auf indirekte Gegenvorschläge hingewiesen werden. Dieser Meinung ist der Nationalrat. Er hat eine entsprechende Motion von FDP-Nationalrat Marcel Dobler (SG) angenommen - mit 182 zu 1 Stimme. Der Vorstoss geht nun an den Ständerat. Dobler machte geltend, dass für die Beurteilung der Ausgangslage bei einer Volksinitiative die Kenntnisnahme über die alternative, weniger weitreichende Lösung zentral sei. Werde das Vorhandensein eines indirekten Gegenvorschlags auf dem Abstimmungszettel vermerkt, würde dies einen Mehrwert für die Stimmbürgerinnen und -bürger schaffen. Der Bundesrat ist gegen die neue Regelung.

Sehbehinderung: Der Nationalrat will bei Volksabstimmungen Abstimmungsschablonen einführen. Diese ermöglichen es Menschen mit einer Sehbehinderung, geheim abzustimmen. Der Bund soll nach dem Willen der grossen Kammer die Voraussetzungen für den Einsatz der Hilfsmittel schaffen. Oppositionslos hat der Nationalrat eine entsprechende Motion gutgeheissen. Erarbeitet hatte den Vorstoss seine Staatspolitische Kommission (SPK-N). Er geht nun an den Ständerat. Aktuell bräuchten blinde und sehbehinderte Menschen beim Ausfüllen der Unterlagen oft Unterstützung einer weiteren Person, begründet die Kommission ihr Vorhaben.

Krisen I: Der Nationalrat will den Stillstand von politischen Fristen sowie das Verschieben von Volksabstimmungen und Wahlen in Krisenzeiten gesetzlich regeln. Der Bundesrat soll zudem die digitale Kompetenz in allen drei Gewalten fördern und damit auch die Ausübung der direkten Demokratie sicherstellen. Die grosse Kammer hat eine entsprechende Motion der Mitte-Fraktion angenommen - mit 107 zu 74 Stimmen bei einer Enthaltung. Der Bundesrat lehnt den Vorstoss ab. Seiner Meinung nach besteht im Bereich der Ausübung der politischen Rechte kein unmittelbarer gesetzgeberischer Handlungsbedarf. Als nächstes ist der Ständerat am Zug.

Krisen II: Der Bundesrat muss in einem Bericht die Schaffung eines Kompetenzzentrums in Krisenzeiten prüfen. Diesen Auftrag hat er vom Nationalrat erhalten. Die grosse Kammer überwies mit 128 zu 49 Stimmen bei 4 Enthaltungen ein entsprechendes Postulat von Jacqueline de Quattro (FDP/VD). Laut de Quattro soll mit einem Kompetenzzentrum schneller auf eine Krise reagiert werden können. Der Bundesrat lehnte das Postulat ab, weil bereits mehrere Prüfberichte bearbeitet würden, die in eine ähnliche Richtung zielen.

Abstimmungen: Der Bundesrat muss in einem Bericht darlegen, wie Fehlinformationen im Rahmen von Abstimmungskampagnen am besten angefochten oder korrigiert werden können. Der Nationalrat hat ein entsprechendes Postulat von Christian Dandrès (SP/GE) mit 117 zu 66 Stimmen an die Regierung überwiesen. Der Bundesrat sieht keinen Handlungsbedarf. Für die Berichtigung von Fehlern in Abstimmungserläuterungen gebe es bereits einen Korrekturprozess.

Waffen: In den ersten drei Monaten von 2022 sind in der Schweiz 11'119 Bewilligungen für Waffenerwerb und registrierte Verkäufe mittels Vertrag gemeldet worden. Das sind rund 25 Prozent mehr als in der Vorjahresperiode. Das gab das Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) in der Antwort auf eine Frage aus dem Nationalrat bekannt. Es stützte sich dabei auf Zahlen aus 19 der 26 Kantone. Ein zentrales Waffenregister gibt es in der Schweiz nicht. Im ersten Quartal 2021 waren 8615 Bewilligungen und Verkaufsverträge gemeldet worden. Ob es sich um einen langfristigen Trend handelt, lässt sich noch nicht sagen.

Internet: Der Nationalrat hat beim Bundesrat einen Bericht zu Dark Patterns bestellt. Das sind Mechanismen, um Internetnutzerinnen und -nutzer beispielsweise dazu zu drängen, etwas zu kaufen, ein Abo abzuschliessen, eine Website oder Plattform nicht zu verlassen oder ihr Konto nicht zu löschen. Gemäss dem überwiesenen Postulat von Sophie Michaud Gigon (Grüne/VD) soll sich der Bundesrat auf Websites und Plattformen konzentrieren, die in den Bereichen Onlinehandel, Unterhaltung und Streaming tätig sind.

Coronavirus: Der Nationalrat will kein Vetorecht des Parlaments gegen Verordnungen und Verfügungen von Bundesrat und Bundesverwaltung zur Pandemiebekämpfung in der "besonderen Lage" gemäss Epidemiengesetz. Er hat eine entsprechende parlamentarische Initiative der SVP-Fraktion mit 131 zu 47 Stimmen abgelehnt. Er folgte damit der Mehrheit seiner Staatspolitischen Kommission (SPK-N). Diese verwies insbesondere darauf, dass bereits eine Vorlage zur Stärkung des Bundesparlaments in der parlamentarischen Beratung sei. Die Initiative ist vom Tisch.

Orthografie: Der Bundesrat soll nach dem Willen des Nationalrats dafür sorgen, dass in offiziellen französischen Texten des Bundes nicht im Namen der Gleichstellung von Rechtschreibregeln abgewichen wird. Die grosse Kammer hat eine Motion von Benjamin Roduit (Mitte/VS) mit 98 zu 77 Stimmen bei 6 Enthaltungen angenommen. Der Vorstoss geht an den Ständerat. Bundeskanzler Walter Thurnherr argumentierte namens des Bundesrats in der Debatte ohne Erfolg, es bestünden schon heute Weisungen in der Bundesverwaltung zu Thema.

Bürgerrecht: Der Nationalrat will Doppelbürgerinnen und Doppelbürgern die schweizerische Staatsbürgerschaft bei schweren Verbrechen gegen Leib und Leben nicht entziehen. Er hat eine parlamentarische Initiative von Piero Marchesi (SVP/TI) mit diesem Anliegen abgelehnt - mit 128 zu 47 Stimmen bei 4 Enthaltungen. In den Augen der Mehrheit haben solche Verbrechen strafrechtliche und nicht bürgerrechtliche Relevanz. Der Entzug der Staatsbürgerschaft ist heute bei staatsgefährdenden Verbrechen möglich. Das soll nun so bleiben. Die parlamentarische Initiative ist vom Tisch.

Partizipation: Jugendliche können die Forderungen der Jugendsession auch künftig nicht in den zuständigen Parlamentskommissionen präsentieren. Der Nationalrat hat mit 98 zu 67 Stimmen bei 7 Enthaltungen eine Motion abgelehnt, die ein solches Vorstellungsrecht forderte. Katharina Prelicz-Huber (Grüne/ZH) wollte die Kommissionen verpflichten, das sogenannte Forum der Jugendsession und der Kinderkonferenz zu Anträgen und Petitionen anzuhören. Dem Forum der Jugendsession gehören Jugendliche an, die den Anlass vorbereiten und die verabschiedeten Forderungen danach gegenüber dem Parlament vertreten.

Bundesverwaltung: Der Nationalrat hat vom Evaluationsbericht des Bundesrats zum Neuen Führungsmodell der Bundesverwaltung (NFB) Kenntnis genommen. Die Landesregierung war zum Schluss gekommen, das Modell habe sich seit seiner Einführung 2017 insgesamt bewährt. Das NFB brachte unter anderem Globalbudgets für die Ämter. Allerdings brauche es bei den Leistungsvereinbarungen mehr Flexibilität, zudem solle die Finanzberichterstattung gestrafft werden. Auch die Finanzkommission des Nationalrats (FK-N) zog ein insgesamt positives Fazit, ortete aber punktuell Optimierungspotenzial.

Die Traktanden des Nationalrats für Mittwoch, 8. Juni (08:00 bis 13:00 und 15:00 bis 19:00):

Bern Motion "Keine Namensänderung für Personen mit Landesverweis" (21.4183)
Motion für Datengrundlage zu Unterhaltsentscheiden im Familienrecht (21.4191)
Motion zu harmonisierter Festsetzung von Fristen im Zivilrecht (22.3381)
Motion zur Stiefkind-Adoption (22.3382)
Motion zu Kenntnis der Abstammung von fortpflanzungsmedizinisch gezeugten Kindern (22.3383)
Postulat zu Strafverfolgung und Kryptowährungen (22.3017)
Postulat für ein Familiengericht (22.3380)
Motion zur Berufsausbildung für Papierlose und abgewiesene Asylsuchende (22.3392)
Differenzen zur revidierten Strafprozessordnung (19.048)
Parlamentarische Vorstösse aus dem EJPD (gebündelte Abstimmungen)
Parlamentarische Initiativen erste Phase (gebündelte Abstimmungen circa 12:45)
ab 15:00:
eventuell Nachtrag zum Budget 2022 (22.007)
Sichere Stromversorgung für Polycom-Sendeanlagen (21.072)
Weiterführung der Internationalen Währungshilfe (21.078)
Abbau der während der Pandemie entstandenen Verschuldung - Änderung des Finanzhaushaltgesetzes (22.020)
Parlamentarische Vorstösse aus dem EFD (gebündelte Abstimmungen)
Parlamentarische Initiativen erste Phase (gebündelte Abstimmungen circa 18:45)