Heute verliert eine Parlamentarierin ihre Mutterschaftsentschädigung für ihre hauptberufliche Tätigkeit, sobald sie an Sitzungen des Parlaments teilnimmt. Das Bundesgericht bestätigte dies vor einem Jahr in einem Leiturteil.
Neu soll die Teilnahme von im Mutterschaftsurlaub stehenden Müttern an Sitzungen von Parlamenten nicht mehr als Aufnahme der Erwerbstätigkeit gelten. Die Frau verliert also ihre Mutterschaftsentschädigung nicht, wenn sie in einem Parlament mitarbeitet. Dieser Änderung des Erwerbsersatzgesetzes stimmte der Nationalrat am Donnerstag mit 155 zu 22 Stimmen bei fünf Enthaltungen zu.
Der Ständerat hatte schon im Juni zugestimmt. Die geplante Gesetzesänderung geht auf Standesinitiativen mehrerer Kantone zurück. Die neue Regelung wird auf Gemeinde-, Kantons- und Bundesebene gelten. Wegen einer kleinen Differenz geht die Vorlage aber nochmals zurück in den Ständerat.
"Faktisch ein Politikverbot"
Im Nationalrat lautete am Donnerstag der Tenor, eine vom Volk gewählte Parlamentarierin solle nicht aufgrund von Mutterschaft an der Erfüllung ihres politischen Mandats gehindert werden. Andernfalls könnten sich nämlich die von den Wählerinnen und Wählern gewollten politischen Kräfteverhältnisse ändern, argumentierte die vorberatende Kommission.
Es gelte, den Mutterschutz an das System des Milizparlaments anzupassen. Wenn eine Frau wegen der geltenden Regeln des Mutterschaftsschutzes nicht in einem Parlament mittun könne, sei das "faktisch ein Politikverbot", sagte Corina Gredig (ZH) namens der GLP-Fraktion. Jede Parlamentarierin solle selber entscheiden können, ob sie an einer Abstimmung teilnehme oder nicht.
Eine Mehrheit der SVP-Fraktion sagte Nein zur neuen Regelung. Laut Fraktionssprecherin Barbara Steinemann (ZH) findet diese Mehrheit, mit der Vorlage würde eine einseitige Besserstellung von Parlamentarierinnen geschaffen. Diese würde vom Volk nicht verstanden. Es sei auch zu befürchten, ein Ja zur Vorlage könnte weitere Ausnahmeregelungen im Mutterschutz nach sich ziehen.
Differenz bei Stellvertreterlösungen
Noch zu bestimmen ist vom Parlament, ob die neue Regelung unabhängig davon gelten soll, ob in einem Parlament eine Vertreterlösung gilt oder nicht. Der Nationalrat entschied sich auf Antrag seiner vorberatenden Kommission für eine Lösung unabhängig von Stellvertretungen. Der Ständerat verabschiedete einen Text, in dem von Stellvertretungen die Rede ist.
Deshalb geht die Vorlage nochmals zurück in die kleine Kammer. Einig sind sich die beiden Räte, dass Parlamentarierinnen im Mutterschaftsurlaub nicht nur an Rats-, sondern auch an Kommissionssitzungen sollen teilnehmen können. Sie sollen also nicht nur abstimmen können.
Die Vorlage wurde von der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerats (SGK-S) ausgearbeitet. Dies mit Unterstützung ihrer Schwesterkommission aus dem Nationalrat.
Bundesgerichtsurteil betraf Nationalrätin
Das Leiturteil des Bundesgerichts vom vergangenen Jahr betraf die Berner Nationalrätin Katrin Bertschy (GLP). Sie bezog nach der Geburt ihres Kindes Ende 2018 Mutterschaftsentschädigung. Im Februar 2019 nahm die sonst selbständig Erwerbende an einer Kommissionssitzung und ab dem 3. März fast täglich an weiteren Sitzungen teil.
Die Ausgleichskasse sprach der Berner Nationalrätin wegen der Teilnahme am Ratsbetrieb den Anspruch auf Entschädigung ab dem 4. März ab und forderte die zu viel ausbezahlten Beiträge zurück. Die Kasse argumentierte, dass die 14 Wochen umfassende Mutterschaftsentschädigung vorzeitig ende, wenn eine Mutter ihre Erwerbstätigkeit wieder aufnehme.
Die Tätigkeit als Nationalrätin taxierte die Kasse als Erwerbstätigkeit, weil sie vom Bund entschädigt werde und bei der Berechnung der Taggelder mitberücksichtigt worden sei. Dieser Sicht folgte zuerst das Berner Verwaltungsgericht und dann auch das Bundesgericht.