Vom 23. bis zum 27. Januar fand in Strassburg die erste Teilsession 2023 der Parlamentari-schen Versammlung des Europarates (PVER) statt. Im Folgenden finden sich die Schwerpunkte aus Sicht der Schweizer Delegation (ERD).

1. Schwerpunkt der Session
2. Berichte von Mitgliedern der ERD
3. Besonderheiten aus Sicht der ERD
4. Weitere Wortmeldungen von Mitgliedern der ERD

1. Schwerpunkt der Session

Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen: gemeinsame Debatte
Konfliktbasierte sexuelle Gewalt wird vom Römer Statut als Verbrechen gegen die Menschlichkeit[1] und als Kriegsverbrechen[2] gewertet, welches systematisch als Kriegstaktik eingesetzt wird. In der Resolution «Sexuelle Gewalt im Zusammenhang mit einem Konflikt» verurteilt die PVER solche sexuelle Gewalt aufs Schärfste.

©Council of Europe

Damit konfliktbezogene sexuelle Gewalt effektiv bekämpft werden kann, braucht es kohärente internationale Massnahmen, nationale Schutzpolitiken, eine konsequente Täterbestrafung sowie an die Opfer sexueller Gewalt gerichtete Reparations- und Rehabilitationsprogramme. Um die Prävention von sexueller Gewalt zu fördern, ruft die Versammlung ihre Mitglieder ausserdem dazu auf, die Istanbul Konvention zu ratifizieren. Die Wortmeldung dazu von Jean-Pierre Grin (SVP, VD) finden Sie auf der PVER-Website.

Geschlechterspezifische Gewalt ist in allen Mitgliedsstaaten des Europarates wie auch in der Schweiz ein weitverbreitetes und vielschichtiges Problem. Vor diesem Hintergrund fand in der Wintersession eine gemeinsame Debatte zum Thema der Bekämpfung von geschlechterspezifischer Gewalt und Ungleichheiten statt, an welcher drei Resolutionen diskutiert wurden. Dabei handelte es sich namentlich um die Resolution «Fortschritte und Herausforderungen in Bezug auf die Istanbul-Konvention», die Resolution «Die Herbeiführung von Lösungen für eheliche Gefangenschaft» und die Resolution «Die Rolle und Verantwortung von Männern und Jungen bei der Beendigung geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen und Mädchen».

Die Wortmeldungen von Jean-Pierre Grin (SVP, VD) und Sibel Arslan (Grüne, BS) zu den drei gemeinsam behandelten Resolutionen finden Sie auf der PVER-Website.

Viertes Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefinnen und Regierungschefs in Reykjavik
Am 16. und 17. Mai 2023 kommen die Staats- und Regierungschefinnen und -chefs der 46 Mitgliedstaaten des Europarates unter isländischem Vorsitz zum Reykjavik-Gipfel zusammen. Ein solches Gipfeltreffen fand erst dreimal statt, zum letzten Mal 2005. Ziel ist die strategische Neuausrichtung der Organisation nach dem Ausschluss Russlands im März 2022. Zudem zielt der Gipfel darauf ab, die gemeinsamen demokratischen Werte in Europa zu erhalten und zu stärken.

Die PVER fordert in ihrer Resolution die Staats- und Regierungschefinnen und -chefs am Reykjavik-Gipfel dazu auf, den Schwerpunkt auf folgende Punkte zu legen:

  1. Der Europarat erhält mehr politischen Einfluss. Das Gipfeltreffen setzt ein klares politisches Signal zur Modernisierung der Arbeitsmethoden des Europarates.
  2. Die Mitgliedsstaaten bekräftigen ihr Bekenntnis zum regelbasierten Multilateralismus als Kernstück der internationalen Ordnung.
  3. Die Mitgliedstaaten verurteilen die Aggression der Russischen Föderation gegen die Ukraine als schwere Verletzung des Völkerrechts und eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit.
  4. In diesem Zusammenhang unterstützen die Mitgliedstaaten die Initiative zur Einsetzung eines internationalen Ad-hoc-Strafgerichtshofs, um die Verbrechen des russischen Angriffskrieges zu untersuchen und strafrechtlich zu verfolgen.

Die Empfehlungen der PVER für die Schwerpunkte des Gipfels finden sich im Dokument «Der Reykjavik-Gipfel des Europarates: in Werten geeint angesichts außergewöhnlicher Herausforderungen». Ausserdem finden Sie die Wortmeldung von Damien Cottier (FDP, NE) auf der PVER-Website.

Dringlichkeitsdebatte zu rechtlichen und menschenrechtlichen Aspekten im Ukrainekrieg
In der Resolution über «Die rechtlichen und menschenrechtlichen Aspekte des russischen Aggressionskrieges gegen die Ukraine» forderte die PVER einstimmig die Einrichtung eines internationalen Sonderstrafgerichtshofs in Den Haag. Damit sollen die politischen und militärischen Machthaber Russlands und Weißrusslands, die den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine «geplant, vorbereitet, eingeleitet oder ausgeführt» haben, zur Rechenschaft gezogen werden. Die Rede der Ukrainerin Oleksandra Matwijtschuk, Leiterin der ukrainischen Menschenrechtsorganisation «Center for Civil Liberties», welche 2022 Friedensnobelpreis gewann, sprach in diesem Zusammenhang vor der Parlamentarischen Versammlung.

Damien Cottier bei der Rede zur Eröffnung der Dringlichkeitsdebatte mit der Genfer Konvention von 1864 in der Hand. ©Council of Europe

Die Rede von Damien Cottier (FDP, NE) dazu finden Sie auf der PVER-Website.

2. Berichte von Mitgliedern der ERD

Monitoring-Kommission: Bericht zur Republik Moldau
Die Kommission für die Einhaltung der von den Mitgliedstaaten des Europarates eingegangenen Verpflichtungen («Monitoring-Kommission») hilft den Mitgliedstaaten des Europarates, ihre Verpflichtungen zur Einhaltung der höchsten demokratischen und menschenrechtlichen Standards zu erfüllen. Momentan laufen Monitoring-Prozesse für zehn Staaten (Albanien, Armenien, Aserbaidschan, Bosnien und Herzegowina, Georgien, die Republik Moldau, Polen, Serbien, Türkei und Ukraine). Im Rahmen des Monitorings finden regelmässige Besuche von Berichterstattenden der PVER statt, die einen ständigen Dialog mit den Behörden führen und Plenardebatten besuchen, um sicherzustellen, dass die Fortschritte und Probleme eines Staates ehrlich bewertet werden.

Pierre-Alain Fridez bei seiner Eröffnungsrede zum Monitoring-Bericht über die Republik Moldau. ©Council of Europe

Am Donnerstagnachmittag diskutierte die PVER den Bericht «Die Einhaltung der Pflichten und Verpflichtungen durch die Republik Moldau», welcher Pierre-Alain Fridez (SP, JU) als Mitberichterstatter mitverfasst hatte. Die PVER begrüsste die weitreichenden Reformen der Republik Moldau – insbesondere im Bereich der Justiz und der Korruptionsbekämpfung. Die PVER hielt zudem fest, dass sich Moldau mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert sieht, wie beispielsweise der humanitären Krise infolge des Ausbruchs des Krieges in der Ukraine, der Energiekrise und der hohen Inflationsraten.

Die Rede von Pierre-Alain Fridez finden Sie auf der PVER-Website.

Bericht zu «tödlichen autonomen Waffensystemen» (LAWS)
Am Freitagmorgen diskutierte die PVER Möglichkeiten, die Entwicklung und den Einsatz von tödlichen autonomen Waffensystemen (LAWS) international zu regeln und die Einhaltung des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte zu gewährleisten. Die Resolution basiert auf einem Bericht von Delegationspräsident Damien Cottier (FDP, NE).

Damien Cottier bei seiner Eröffnungsrede zum Bericht über eine mögliche Regulierung von «LAWS». ©Council of Europe

Diesem Vorschlag zufolge sollen LAWS, die vollständig ausserhalb menschlicher Kontrolle operieren, wie bisher völkerrechtlich verboten bleiben. Für andere tödliche Waffensysteme, die über ein gewisses Mass an Autonomie verfügen, befürwortet die PVER eine internationale Regelung, die eine angemessene menschliche Kontrolle, die Beibehaltung der menschlichen Verantwortung und der Rechenschaftspflicht sowie eine Reihe von Massnahmen zur Risikominderung gewährleisten soll.

Die Rede von Damien Cottier (FDP, NE) dazu finden Sie auf der PVER-Website.

3. Besonderheiten aus Sicht der ERD

Vizepräsidium der PVER
Bei der Eröffnung der Januarsession wählte die Versammlung ihre 19 Vizepräsidentinnen und Vizepräsidenten. Der Schweiz steht in der Regel alle fünf Jahre während zwei Jahren ein Vizepräsidium zu. Somit hat die Schweizer Delegation in den Jahren 2023 und 2024 Anspruch auf einen der Vizevorsitze der Parlamentarischen Versammlung.

Für das Jahr 2023 wurde Sibel Arslan (Grüne, BS) ins Vizepräsidium gewählt.

Sibel Arslan bei ihrem ersten PVER-Vorsitz während der Aktualitätsdebatte «Die jüngsten Spannungen zwischen Pristina und Belgrad» am 25. Januar 2023. ©Council of Europe

Besuch beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechten (EGMR)
Im Rahmen der Wintersession besuchten einige Mitglieder der Schweizer Delegation in der PVER den EGMR. Der Besuch bot die Gelegenheit, einen vertieften Einblick in die Funktionsweise des Gerichtshofs zu gewinnen. Ausserdem konnten sich die Delegationsmitglieder mit dem Schweizer Richter am EGMR, Andreas Zünd, austauschen.

v.l. Marija Stosic (Delegationssekretärin), Roland Büchel (SVP, SG), Sibel Arslan (Grüne, BS), Andreas Zünd (Richter EGMR), Anna Lea Gnägi (Delegationssekreta-riat), Damien Cottier (FDP, NE), Daniel Rietiker, (Schweizer Jurist, EGMR), Nick Gugger (EVP, ZH), Alfred Heer (SVP, ZH)

4. Weitere Wortmeldungen von Mitgliedern der ERD

Rückkehr von IS-Kämpfern nach Europa
Seit dem Ausbruch des bewaffneten Konflikts in Syrien 2011 schlossen sich Tausende von ausländischen Kämpfern, zum Teil mit ihren Familien, dem Islamischen Staat (IS) in Syrien und im Irak an. Unter ihnen befand sich eine beträchtliche Anzahl Bürgerinnen und Bürger europäischer Staaten. Wie mit solchen Kämpfern bei ihrer Rückkehr nach Europa umgegangen werden soll, diskutierte die PVER anhand des Berichts «Befassung mit der Frage der ausländischen IS-Kämpfern und ihrer Familien, die aus Syrien und anderen Ländern in die Mitgliedstaaten des Europarates zurückkehren».

Die Versammlung ist überzeugt, dass in Anbetracht des internationalen Charakters der verübten Verbrechen, darunter Völkermord, die «beste Lösung» die strafrechtliche Verfolgung ausländischer IS-Kämpfer vor einem internationalen Gerichtshof wäre.

Die Wortmeldungen dazu von Pierre-Alain Fridez (SP, JU) und Damien Cottier (FDP, NE) finden Sie auf der PVER-Website.

Umweltschäden durch bewaffnete Konflikte
Umweltschäden, welche durch bewaffnete Konflikte herbeigeführt wurden, sind schwerwiegend, langanhaltend und oft auch irreversibel. Kriege beeinträchtigen somit nicht nur natürliche Lebensräume und Ökosysteme, sondern haben auch – weit über das Konfliktgebiet hinaus – gravierende Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit. Die Menschenrechte auf Leben und auf eine gesunde Umwelt werden somit untergraben. Die Resolution «Die ökologischen Folgen von bewaffneten Konflikten» besagt, dass der sogenannte «Ökozid», die gezielte Zerstörung oder Beeinträchtigung der Natur, sowohl im nationalen als auch im internationalen Recht verankert werden soll. Die PVER unterstützt nachdrücklich die Bemühungen, den Ökozid als neues Verbrechen im Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) zu erfassen.

Die Wortmeldungen dazu von Sibel Arslan (Grüne, BS) und Jean-Pierre Grin (SVP, VD) finden Sie auf der PVER-Website.

Aktualitätsdebatte: Latschin-Korridor
Der Latchin-Korridor ist ein etwa 5 km breiter Landstreifen, der auf einer Länge von 65 km die armenische Grenze mit dem Gebiet verbindet, das von Armenien als Nagorno-Karabach oder Artsach und von Aserbaidschan als Karabach bezeichnet wird. Es handelt sich um einen strategisch wichtigen Ort in der Region. Am 12. Dezember 2022 begannen aserbaidschanische Kräfte, diesen Korridor zu blockieren. Die Blockade befindet sich in einem Gebiet, das unter der Verantwortung der friedenserhaltenden Mission der russischen Streitkräfte steht.

Pierre-Alain Fridez (SP, JU) eröffnete die Aktualitätsdebatte zu den humanitären Folgen dieser Blockade (PVER-Website). Auf dieser Website finden Sie auch die Medienmitteilung dazu.

Open Council of Europe Academic Networks (OCEAN)
Die PVER rief in einer Resolution zum Aufbau offener akademischer Netzwerke des Europarates (Open Council of Europe Academic Networks - OCEAN) auf. Darin wird betont, wie wichtig die Rolle der Universitäten und Forschungseinrichtungen bei der Aufrechterhaltung der Werte des Europarates und ihrer Verankerung in der Gesellschaft sind. Das Ziel der OCEAN-Initiative ist die Stärkung der Zusammenarbeit zwischen der PVER und den Universitäten und Forschungseinrichtungen. Die PVER lobte insbesondere die Arbeit des 2019 gegründeten Akademischen Netzwerks zur Europäischen Sozialcharta und zu den sozialen Rechten (ANESC) sowie jene des italienischen Hochschulnetzwerks gegen geschlechtsspezifische Gewalt (UNIRE), das 2021 gegründet wurde und von der italienischen Regierung finanziert wird. Die PVER fordert mit ihrer Resolution die Mitgliedsstaaten auf, die Initiative national umzusetzen und eigene thematische Netzwerke zu schaffen.

Den Redebeitrag dazu von Sibel Arslan (Grüne, BS) finden Sie auf der PVER-Website.

[1] Unter Artikel 7 des Römer Statuts: Rome Statute of the International Criminal Court, 1998 (un.org)

[2] Unter Artikel 8 des Römer Status: Rome Statute of the International Criminal Court, 1998 (un.org)