Die Staatsanwaltschaft des Kantons Bern hat mit ihrem Gesuch um die Aufhebung der Immunität von Ständerat Marco Chiesa und alt Nationalrat Peter Keller und die Ermächtigung zur Durchführung eines Strafverfahrens wegen Verdacht auf Diskriminierung und Aufruf zu Hass (Art. 261bis des Strafgesetzbuches, StGB)) ersucht. Es geht konkret um Aussagen, die im Rahmen zweier (Wahl-)Kampagnen der SVP im Jahre 2023 getätigt wurden. Die Kampagnen trugen die Titel «Neue Normalität?» und «10 Millionen-Schweiz stoppen!» und hatten unter anderem die Migrationspolitik der Schweiz im Fokus. Ständerat Chiesa war damals Präsident der Partei und Peter Keller, damals Nationalrat, dessen Generalsekretär.
Die Kommission hat die beiden Betroffenen angehört. Sie machen geltend, dass der Inhalt der Kampagnen ihre politische Arbeit im Parlament widerspiegelt und dass sich dieser nicht gegen bestimmte Personengruppen, sondern gegen die Politik der Schweiz im Bereich der Migration richtet.
Die Kommission ist der Ansicht, dass die Organisation der genannten Wahlkampagnen in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem parlamentarischen Mandat von Ständerat Chiesa, damals Parteipräsident, steht und deshalb von der relativen Immunität geschützt ist. Dabei verweist die Kommission auf ihre bisherige Praxis, bei Parteipräsidenten grundsätzlich einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Partei- und Parlamentsmandat zu sehen. Zwischen der Öffentlichkeitsarbeit der Politiker im Rahmen ihrer Rolle als Parteipräsidenten und ihrer parlamentarischen Mandate bestehe nämlich eine so enge Verbindung, dass die Trennung der beiden Rollen nicht möglich sei. Die Kommission ist deshalb in Bezug auf Ständerat Chiesa mit 7 zu 2 Stimmen eingetreten. Eine ähnliche Argumentation könne auch für den Generalsekretär einer Partei angeführt werden. Deshalb ist die Kommission auch auf das Gesuch bezüglich alt Nationalrat Peter Keller mit 6 zu 3 Stimmen eingetreten.
Anschliessend hat die Kommission in einem zweiten Schritt mit 6 zu 3 Stimmen bzw. 6 zu 2 Stimmen bei einer Enthaltung beschlossen, die Immunität von Ständerat Marco Chiesa und alt Nationalrat Peter Keller nicht aufzuheben. Wie auch die ständerätliche Kommission ist sie der Auffassung, dass die getätigten Aussagen der freien Meinungsäusserung und -bildung im Rahmen des demokratischen Wahlkampfes zuzuordnen und deshalb auch zu tolerieren sind. Sie verweist hierbei auch die etablierte Praxis der Kommissionen in ähnlich gelagerten Fällen (13.190; 12.191). Deshalb überwiegen nach Ansicht der Kommission im Rahmen der Interessenabwägung die institutionellen Interessen (öffentliches Interesse an der Funktionsfähigkeit des Parlaments) gegenüber den Interessen im Zusammenhang mit einer Strafverfolgung.
Im Fall von Ständerat Chiesa deckt sich dieser Entscheid mit jenem der RK-S, so dass die Ablehnung der Aufhebung der Immunität definitiv ist. Im Fall von Nationalrat Keller hat sich die IK-N als erste mit dem Fall befasst, da immer die Kommission, deren Rat das betroffene Mitglied angehört oder angehört hat, den Fall als erste behandelt, so dass im Fall von Nationalrat Keller die Kommission des Nationalrates als erste zuständig war. Nun muss auch die RK-S in seinem Fall entscheiden.
Die Kommission tagte am 18. November 2024 unter dem Vorsitz von Nationalrat Pierre-André Page (V/FR) in Bern.