Vom 13. bis zum 17. Oktober 2024 fand in Genf die 149. IPU-Versammlung statt. Zu dieser zweiten Versammlung des Jahres kamen 630 Parlamentarierinnen und Parlamentarier zusammen, darunter 54 Parlamentspräsidentinnen und -präsidenten.

Generaldebatte

Diese Versammlung bot den Delegierten Gelegenheit, um über die neuen Technologien und die parlamentarische Diplomatie zu diskutieren sowie die parlamentarische Arbeit in diesen Bereichen zu stärken. Im Mittelpunkt der Generaldebatte stand der Einsatz von Wissenschaft, Technologie und Innovation für eine friedliche und nachhaltige Zukunft. Nationalrat Laurent Wehrli betonte in seiner Rede das Engagement der Schweiz im Bereich der verantwortungsvollen Innovation für eine nachhaltige Zukunft. Er verwies auf das Schweizer Know-how in den Bereichen Forschung und Innovation, für das namentlich Einrichtungen wie die eidgenössischen technischen Hochschulen und das Swiss National AI Institute stehen, deren Aktivitäten sich auf ethische Grundsätze und Transparenzregeln stützten. Laurent Wehrli unterstrich, dass die künstliche Intelligenz (KI) einer Reglementierung bedarf, welche die Menschenrechte schützt, ohne die technologische Entwicklung zu behindern, und hob hervor, wie wichtig es ist, mit Umschulungen sicherzustellen, dass der Mensch im Zentrum des technischen Fortschritts steht. Er begrüsste das internationale Engagement für eine verantwortungsvolle Nutzung der Technologie und nannte die IPU-Ethikcharta für Wissenschaft und Technik 1 als Beispiel. Alle Wortmeldungen wurden zusammengefasst in die Erklärung von Genf [F / E] aufgenommen, welche die Versammlung am Ende ihrer Arbeiten verabschiedete.

Ständige Kommission für Demokratie und Menschenrechte

Die Versammlung nahm eine Resolution der ständigen Kommission für Demokratie und Menschenrechte über die Auswirkungen der KI auf die Demokratie, die Menschenrechte und den Rechtsstaat an, welche die Parlamente zu gesetzgeberischen Massnahmen und zur internationalen Zusammenarbeit in diesem Bereich auffordert [F / E]. Die Resolution ruft dazu auf, ethische Grundregeln und eine inklusive Gouvernanz für die KI festzulegen und so dafür zu sorgen, dass diese allen zugutekommt. Der Fokus wird dabei auf die Vermeidung von Missbrauch, den Schutz vulnerabler Gruppen (namentlich Frauen) sowie die Bedeutung von Transparenz und Verantwortung gelegt. Im Weiteren bezeichnet die Resolution es als wichtig, die digitale Kluft zu verringern, die Gleichstellung der Geschlechter im KI-Bereich zu fördern und den Schutz vor KI-bedingter Diskriminierung und Tendenziösität zu stärken. Bei der Erreichung dieser Ziele wird den Parlamenten eine wichtige Rolle beigemessen. Die Schweizer Delegation wurde in diesem Ausschuss von Nationalrat Christian Lohr vertreten.

Ständige Kommission für Frieden und internationale Sicherheit

Schwerpunkt der Arbeiten des Ausschusses für Frieden und internationale Sicherheit war die Förderung einer Zweistaatenlösung in Palästina. Die Sitzungsleitung lag bei Nationalrat Laurent Wehrli, der Mitglied des Kommissionsbüros ist, da die eigentliche Kommissionsvorsitzende aus Aserbaidschan fehlte. Vor dem Hintergrund der eskalierenden Gewalt zwischen Israel und Palästina wurden Fachleute angehört, um herauszufinden, welche Rolle die Parlamente bei der Förderung einer Zweistaatenlösung spielen können. Es wurde betont, wie entscheidend die gute Gouvernanz, die Sicherheit sowie der Schutz der Rechte und der Würde der betroffenen Bevölkerung sind. Im Hinblick auf die 150. IPU-Versammlung, die vom 5. bis zum 9. April 2025 in Taschkent stattfindet und an der eine Resolution zu diesem Thema beraten werden soll, diente diese Anhörung dazu, mögliche Ansätze für eine Verhandlungslösung zu eruieren. Angesichts der Brisanz des Themas hatte der Ausschuss im März 2024 entschieden, nicht zwei, sondern sechs Berichterstatterinnen und Berichterstatter – eine Person pro geopolitischer Gruppe der IPU – einzusetzen. Diese wurden beauftragt, einen Resolutionsentwurf auszuarbeiten, der den nationalen Delegationen im Januar 2025 unterbreitet werden sollte.

Dringlichkeitsdebatte

Angesichts der Entwicklungen in Gaza und im Libanon waren vor der Versammlung mehrere Anträge auf eine Dringlichkeitsdebatte zu diesem Thema eingereicht worden. Aufgrund der Uneinigkeit der IPU-Mitglieder bestand allerdings die grosse Gefahr, dass diese Versammlung (nach jener in Luanda im Oktober 2023 und jener in Genf im März 2024) die dritte in Folge ohne Dringlichkeitsdebatte sein würde. Die Zwölf-Plus-Gruppe war sich bewusst, dass jeder zu einseitige Antrag ohne Chance auf die erforderliche Zweidrittelmehrheit sein würde. Sie legte deshalb einen möglichst konsensfähigen Antrag auf eine Dringlichkeitsdebatte vor, in dem sie den Fokus auf die Stärkung des Multilateralismus zur Bewältigung der globalen Herausforderungen, auf die institutionellen Reformen wie die Reform des UNO-Sicherheitsrates und auf die Modernisierung der Dispositive für den Friedenserhalt legte [F / E]. Als weiteres Anliegen wurde zudem die Förderung von Recht und Gerechtigkeit, namentlich in den Bereichen Nahrungssicherheit, Bekämpfung des Klimawandels und Menschenrechtsschutz, genannt. Ebenfalls Teil des Antrags war der Aufruf zu einem inklusiven Dialog und zur Bekämpfung der Desinformation. Diese Strategie zahlte sich aus, denn der Antrag der Zwölf-Plus-Gruppe erhielt die erforderliche Zweidrittelmehrheit. Die arabische Gruppe reichte ebenfalls einen Antrag ein, in dem sie die Einsetzung einer IPU-Arbeitsgruppe zur Kontrolle der Umsetzung der UN-Resolutionen durch das israelische Parlament (Knesset) verlangte [F / E]. Die Zwölf-Plus-Gruppe sprach sich gegen diese Kontrolle aus, in der sie eine Einmischung der IPU in die inneren Angelegenheiten der Mitglieder sah. Ausserdem befürchtete sie budgetäre Auswirkungen, die nicht zuvor vom zuständigen Organ, dem IPU-Rat, beraten worden wären. 2 Seit mehreren Jahren unterliegt die IPU Sparzwängen, weshalb die Annahme solcher Initiativen erhebliche Folgen für das Tätigkeitsprogramm der Organisation hätte.

Im Zentrum der dringlichen Resolution der 149. IPU-Versammlung steht die Notwendigkeit eines verstärkten Multilateralismus zur Bewältigung der globalen Herausforderungen, namentlich der geopolitischen Krisen, der Klimakrise und der zunehmenden Ungleichheiten [F / E]. Die Resolution betont die zentrale Rolle der UNO und der internationalen Organisationen bei der Sicherstellung einer globalen Gouvernanz, welche die Menschenrechte achtet sowie Recht und Gerechtigkeit fördert. Sie ruft zudem auf, mit einer Reform des UNO-Sicherheitsrates für eine bessere Repräsentation und für eine Modernisierung der Dispositive für den Friedenserhalt zu sorgen und so eine demokratischere und wirksame globale Gouvernanz zu fördern.

Neuer Vorsitz in der geopolitischen Gruppe «Zwölf Plus»

Nationalrat Laurent Wehrli wurde an dieser 149. IPU-Versammlung zum Präsidenten der Zwölf-Plus-Gruppe gewählt (Amtszeit: Oktober 2024 – Oktober 2026). Er war von der Schweizer Delegation unterstützt worden und der einzige Kandidat gewesen. Durch seine Wahl wird die Schweizer Delegation nicht nur ihren Einfluss in dieser geopolitischen Gruppe, sondern in der gesamten IPU stärken können. Es handelt sich um eine interessante Gelegenheit, insbesondere im Hinblick auf die Präsenz aller anderen europäischen Länder in dieser Gruppe. Zudem feiert mit der Wahl von Laurent Wehrli die französische Sprache ein Comeback an der Spitze der Gruppe. In Schweizer Händen war dieses Präsidium letztmals 1991 (Josi Meier).

Die 181 Mitglieder der IPU sind in verschiedenen geopolitischen Gruppen organisiert. Das Schweizer Parlament ist Mitglied der Gruppe «Zwölf Plus», die 47 Mitglieder umfasst und damit nach der afrikanischen Gruppe (52 Mitglieder) die zweitgrösste geopolitische Gruppe ist. Allerdings leistet die Zwölf-Plus-Gruppe den grössten Beitrag zum IPU-Budget und zählen zu ihren Mitgliedern die sechs grössten Beitragszahler (Deutschland, Kanada, Vereinigtes Königreich, Frankreich, Italien und Spanien). Ziel der Gruppe ist es, gemeinsame Positionen zu den IPU-Themen zu finden und so die Aktionen und Massnahmen ihrer Mitglieder in diesen Bereichen zu koordinieren. Die Gruppe umfasst die Delegationen von IPU-Mitgliedsparlamenten, die sich auf ein demokratisches Mehrparteiensystem und andere demokratische Werte aus der Europäischen Menschenrechtskonvention stützen.

Der Schweizer Delegation an der IPU-Versammlung gehörten Ständerat Daniel Jositsch (SP, ZH), die Nationalräte Christian Lohr (Die Mitte, TG), Franz Grüter (SVP, LU) und Laurent Wehrli (FDP, VD) sowie Nationalrätin Laurence Fehlmann Rielle (SP, GE) an.

 

1 Im Zentrum dieser an der 149. IPU-Versammlung verabschiedeten Charta steht die Verantwortung der Parlamentarierinnen und Parlamentarier, bei ihrer gesetzgeberischen Arbeit die ethischen Normen im Bereich der Wissenschaft und Technologie zu achten.

2 Die Zwölf-Plus-Gruppe, zu der auch die Knesset gehört, leistet den grössten Beitrag zum IPU-Budget.


Sitzung des Leitungsgremiums (Governing Council) der IPU. Von links nach rechts: NR Lohr, NR Grüter, NR Fehlmann Rielle.


NR Lohr während der Sitzung der Kommission für Demokratie und Menschenrechte.


NR Fehlmann Rielle während der Sitzung des Komitees für die Menschenrechte von Parlamentariern.


NR Wehrli während der Generaldebatte.


Sitzung der Gruppe der Vermittler für Zypern unter der Leitung von NR Wehrli und in Anwesenheit beider Parteien.


NR Wehrli wurde zum neuen Präsidenten der geopolitischen Gruppe "Zwölf Plus" (47 Mitglieder) bis Oktober 2026 gewählt. Rechts: Der scheidende Präsident, der belgische Senator Gryffroy.​