Die Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (StPO) ist seit dem 1. Januar 2011 in Kraft. Sie ersetzte damals die 26 kantonalen Strafprozessordnungen. Die eidgenössischen Räte haben sich mit der Annahme der Motion
14.3383 der Kommission für Rechtsfragen des Ständerates (Anpassung der Strafprozessordnung) dafür ausgesprochen, die allfälligen Revisionen der StPO im Rahmen einer Gesamtschau anzugehen. Mit der vorliegenden Revision (siehe
Botschaft des Bundesrats vom 28. August 2019) werden nun verschiedene Anliegen aus der Praxis aufgegriffen, dazu gehören u.a. die Einschränkung der Teilnahmerechte, die konsequente Umsetzung des Prinzips der «double instance», die Einvernahme der beschuldigten Person im Strafbefehlsverfahren bei zu vollziehenden Freiheitsstrafen und die Erstellung und Speicherung von DNA-Profilen zur Aufklärung früherer oder künftiger Straftaten.
Die Kommission hat im Rahmen der Eintretensdebatte die Notwendigkeit der Revision bejaht. Sie erachtet es als sinnvoll, die bundesgerichtliche Rechtsprechung in strittigen Fragen in das Gesetz zu überführen und die Aspekte, welche in der Praxis zu Problemen geführt haben, im Rahmen dieser Revision einer vertieften Prüfung zu unterziehen.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat mit Urteil vom 3. Dezember 2019 eine Verletzung der EMRK durch die Schweiz festgestellt, weil bei der Sicherheitshaft im Nachverfahren eine Gesetzeslücke besteht. Diese Lücke soll durch die Artikel 364a und 364b des Entwurfs geschlossen werden. Die Kommission hat mit 13 zu 12 Stimmen beschlossen, diese Bestimmungen in einen separaten Entwurf zu überführen, damit sie schneller behandelt und in Kraft gesetzt werden können. Die Kommission möchte damit verhindern, dass gefährliche Täter mangels Rechtsgrundlage in Freiheit entlassen oder belassen werden müssen. Eine Minderheit spricht sich gegen die Teilung der Vorlage aus. Die Kommission wird die Detailberatung an einer ihrer nächsten Sitzungen aufnehmen.
Gesuche für Solidaritätsbeitrag sollen auch künftig eingereicht werden können
Die Kommission befürwortet den Erlassentwurf ihrer Schwesterkommission, nach dem die Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen vor 1981 auch weiterhin ein Gesuch um Ausrichtung eines Solidaritätsbeitrags ausrichten können (19.471). Die Möglichkeit zur Einreichung von Gesuchen war ursprünglich auf Ende März 2018 befristet. Eine Minderheit möchte die Frist nicht ganz aufheben, sondern lediglich bis Ende 2022 verlängern. Das Gesetz wird von beiden Räten in der Frühjahrssession behandelt werden.
Weitere Geschäfte:
- Die Kommission möchte keine Lockerung der Voraussetzungen, unter denen die Behörden die Öffentlichkeit über hängige Strafverfahren informieren können. Mit 18 zu 4 Stimmen bei 1 Enthaltung beantragt sie die Ablehnung einer Motion des Ständerats (19.3739), mit der eine entsprechende Änderung von Art. 74 der Strafprozessordnung erreicht werden sollte. Eine Minderheit beantragt die Annahme der Motion.
- Mit 14 zu 9 Stimmen bei 1 Enthaltung beantragt die Kommission, der parlamentarischen Initiative Rickli
16.483 keine Folge zu geben, die eine Erhöhung der Strafandrohung bei Vergewaltigung vorsieht. Sie schliesst sich vielmehr ihrer Schwesterkommission des Ständerats an, die beabsichtigt, allfällige Änderungen des Sexualstrafrechts im Rahmen einer Gesamtschau zu prüfen (Entwurf 3 der Vorlage zur Strafrahmenharmonisierung
18.043; vgl. auch
Medienmitteilung der RK-S vom 17. Januar 2020). Eine Minderheit beantragt dem Rat, der Initiative Folge zu geben.
- Die Kommission hat Kenntnis genommen von der Stellungnahme des Bundesrates zur Vorlage «Ehe für alle» (13.468), die sie ihm am 30. August 2019 übermittelt hatte. Der Bundesrat beantragt, die Vorlage der Kommission anzunehmen. Diese wird in der Frühjahrssession vom Nationalrat behandelt.
- Ausserdem hat die Kommission Kenntnis genommen von der Stellungnahme des Bundesrates zur Vorlage
13.426, mit welcher der Konsumentenschutz bei der stillschweigenden Verlängerung von Dienstleistungsverträgen gestärkt werden soll. Dieses Geschäft kommt in der Frühjahrssession unverändert in den Rat.
- Die Kommission möchte die Redlichkeitskultur ("just culture"), wie sie u.a. aus dem Bereich der Luftfahrt bekannt ist, gesetzlich verankern. Sie hat der parlamentarischen Initiative von Gregor Rutz
19.478 mit 22 zu 0 Stimmen bei 1 Enthaltung Folge gegeben.
- Die Kommission möchte den Schutz von Minderjährigen vor Zwangsehen stärken. Sie hat der parlamentarischen Initiative Rickli
18.467 einstimmig Folge gegeben, welche vorsieht, das Zivilgesetzbuch (ZGB) dahingehend zu ändern, dass Ehen, bei denen einer der Ehegatten minderjährig ist, ohne Ausnahme als ungültig erklärt werden. Zudem hat sie sich einstimmig für eine Kommissionmotion (20.3011) ausgesprochen, die den Bundesrat beauftragt, die entsprechende Regelung bereits bei den laufenden Arbeiten zur Revision des Zivilgesetzbuches zu berücksichtigen.
- Die Kommission hat einstimmig beschlossen, sich dem Ständerat anzuschliessen und nicht auf die Vorlage zur Änderung des Bundesgerichtsgesetzes (18.051) einzutreten. Auch nach Ansicht des Bundesgerichtes verfehlt die Vorlage ihr Ziel, die Situation der Rechtsuchenden weiter zu verbessern und das Gericht zu entlasten. Die Kommission sieht deshalb keinen Grund, an der Vorlage festzuhalten.
Die Kommission tagte am 20./21. Februar 2020 unter dem Vorsitz von Nationalrätin Laurence Fehlmann Rielle (SP, GE) in Bern.