Die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates hat die beiden Entwürfen des Massnahmenpakets Sanktionenvollzug 22.071 («Strafgesetzbuch und Jugendstrafgesetz. Änderung») beraten. Sie hat sich mit 15 zu 8 Stimmen für den Entwurf 2 des Massnahmenpakets ausgesprochen, mit welchem der Bundesrat die Möglichkeit schaffen will, im Anschluss an eine jugendstrafrechtliche Sanktion eine Verwahrung anzuordnen.

Die Kommission ist sich bewusst, dass die Einführung der Verwahrung im Jugendstrafrecht eine heikle Thematik darstellt. Sie weist aber darauf hin, dass das geltende Jugendstrafrecht mit der vom Bundesrat vorgeschlagenen Regelung nicht grundsätzlich geändert werden soll. Aufgrund der in der Vernehmlassung von Fachkreisen geäusserten Bedenken sei die Regelung sehr restriktiv gefasst und soll nur bei Personen zur Anwendung kommen, die nach Vollendung des 16. Altersjahr einen Mord begangen haben und bei denen am Ende der jugendstrafrechtlichen Strafe oder Massnahme eine ernsthafte Gefahr besteht, dass sie wieder einen Mord begehen werden. Die Kommission erachtet es als gerechtfertigt, in dieser speziellen und sehr seltenen Konstellation mit der Einführung der Verwahrung im Jugendstrafgesetz eine bestehende Lücke zu schliessen. Zudem beantragt sie, die Höchststrafe für einen nach dem 16. Altersjahr begangenen Mord im Jugendstrafgesetz von vier auf sechs Jahre zu erhöhen. Eine Minderheit beantragt, die Möglichkeit der Verwahrung auf weitere Delikte wie vorsätzliche Tötung, schwere Körperverletzung oder Vergewaltigung auszuweiten. Den Entwurf 1 des Massnahmenpakets Sanktionenvollzug hat die Kommission mit 16 zu 7 Stimmen bei 1 Enthaltung verabschiedet. Der Entwurf 1 sieht vor, dass Straftäter und Straftäterinnen, die sich im geschlossenen Vollzug der Verwahrung oder der vorangehenden Freiheitsstrafe befinden, nicht unbegleitet in Urlaube entlassen werden. Eine Minderheit beantragt ihrem Rat, auf die beiden Entwürfe nicht einzutreten. Die Vorlage wird voraussichtlich in der Wintersession im Nationalrat beraten.

Doppelnamen für Ehe​gatten und Kinder

Die Kommission hat den erläuternden Bericht zu der von ihr an der letzten Sitzung beschlossenen Vorlage (17.523) verabschiedet, mit welcher der Doppelname für die Ehegatten wiedereingeführt wird und neu auch für die Kinder möglich sein soll. Die Kommission spricht sich für eine Lösung aus, welche die bestehenden Optionen der Namensführung erhält, diese aber durch die Möglichkeit des Doppelnamens für die Ehegatten und Kinder massgeblich erweitert. Die Kommission ist überzeugt, dass sie mit ihrer Vorlage dem in der Bevölkerung weitverbreiteten Wunsch nachkommt, die Verbindung zwischen den Ehegatten und beider Elternteile mit den gemeinsamen Kindern zum Ausdruck zu bringen, ohne dass jemand auf seinen oder ihren bisherigen Namen verzichten muss. Die Kommission wird den verabschiedeten Entwurf und Bericht nun dem Bundesrat zur Stellungnahme unterbreiten. Der Nationalrat wird die Vorlage voraussichtlich in der Frühjahrssession 2024 zum ersten Mal beraten.

Stalking-Tatbestand stösst ​​​in der Vernehmlassung auf grosse Zustimmung

Die Kommission hat erfreut zur Kenntnis genommen, dass die Einführung einer Strafnorm zum Stalking von fast allen Teilnehmenden der Vernehmlassung im Grundsatz begrüsst wird (19.433). Sie hat festgestellt, dass in der Vernehmlassung zum Teil wichtige Fragen zum Erlasstext aufgeworfen wurden, wie etwa die genaue Formulierung der Tathandlung oder die Ausgestaltung des Delikts als sogenanntes Erfolgsdelikt (vgl. den Bericht über das Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens vom 25. Oktober 2023). Sie wird im nächsten Quartal ihre Arbeiten weiterführen und hofft, dem Nationalrat für die Sommersession 2024 einen Entwurf unterbreiten zu können.

Beginn der Arbeiten zu einem Straftat​​bestand der Folter

Die Kommission hat ihre Arbeiten begonnen zur Umsetzung der parlamentarischen Initiative 20.504, mit der ein neuer Tatbestand der Folter im Schweizer Strafrecht verankert werden soll. Sie hat es mit 16 zu 6 Stimmen abgelehnt, ihrem Rat die Abschreibung des Geschäfts zu beantragen und sich mit 22 zu 1 Stimmen dafür entschieden, ihre Arbeiten auf zwei mögliche Varianten zu konzentrieren, welche den Kreis der möglichen Täterschaft entweder weit zieht oder ihn im Gegenteil auf staatliche Akteure begrenzt. Die Kommission führt ihre Arbeiten mit Hilfe des Bundesamts für Justiz nun weiter und hofft, dass sie spätestens gegen Ende 2024 zu einem Vorentwurf eine Vernehmlassung durchführen kann.

Weitere Bes​chlüsse

  • Die Kommission beantragt ihrem Rat mit 16 zu 9 Stimmen, der parlamentarischen Initiative Marti 23.435 «Rückkehrrecht für Mieterinnen und Mieter nach Sanierung und Umbau» keine Folge zu geben. Eine Minderheit beantragt, der Initiative Folge zu geben.
  • Die Kommission beantragt ihrem Rat mit 16 zu 9 Stimmen, der parlamentarischen Initiative Marra 22.488 «Einführung einer Winterpause. Niemand soll im Winter ausser Haus schlafen müssen» keine Folge zu geben. Eine Minderheit beantragt, der Initiative Folge zu geben.
  • Die Kommission beantragt ihrem Rat mit 12 zu 11 Stimmen, den beiden Standesinitiativen der Kantone Luzern 22.310 und Basel-Stadt 22.311, die ein Verbot von Konversionsmassnahmen fordern, Folge zu geben. Eine Minderheit beantragt, den Initiativen keine Folge zu geben.
  • Die Kommission hat Kenntnis genommen vom Bericht in Erfüllung des Postulats 18.3248 Marchand-Balet «Geplante Obsoleszenz. Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten schützen» und hat die parlamentarische Initiative Michaud Gigon 468 «Gewährleistung wegen Mängeln der Kaufsache. Einführung des Rechts auf Wahl der Reparatur» vorberaten. Mit dem Ziel, das Gewährleistungsrecht auf der Grundlage der Schlussfolgerungen des Postulatsberichts rasch zu modernisieren, hat die Kommission mit 19 zu 1 Stimmen bei 2 Enthaltungen eine gleichlautende Kommissionsmotion (23.4345) verabschiedet wie ihre ständerätliche Schwesterkommission (23.4316). Da sich das Motionsziel mit dem Initiativanliegen deckt, hat Nationalrätin Michaud Gigon ihre Initiative zurückgezogen.
  • Die Kommission hat einen Vorentwurf zur Umsetzung der parlamentarischen Initiativen Egloff 16.451 «Für Treu und Glauben im Mietrecht. Anfechtung des Anfangsmietzinses nur bei Notlage des Mieters» und 17.493 «Beweisbare Kriterien für die Orts- und Quartierüblichkeit der Mieten schaffen» verabschiedet und wird während der Wintersession 2023 die Vernehmlassung dazu eröffnen.
  • Die Kommission schliesst sich bei den verbleibenden Differenzen im Geschäft zur Revision des Internationalen Privatrechts (20.034) weitgehend dem Ständerat an. Sie kommt ihm mit einem Kompromissantrag auch in der noch offenen Frage der Rechtswahl von Doppelbürgerinnen und Doppelbürgern entgegen (Art. 91 IPRG). Das Geschäft soll in der Wintersession zwischen den Räten bereinigt werden.

Die Kommission tagte am 16./17. November 2023 unter dem Vorsitz von Nationalrätin Christa Markwalder (FDP, BE) in Bern.