Im Frühling hat der Nationalrat die Umsetzungsvorlage der im Februar 2022 von Volk und Ständen klar angenommenen Volksinitiative «Kinder und Jugendliche ohne Tabakwerbung» in der Gesamtabstimmung abgelehnt (Tabakproduktegesetz (TabPG). Teilrevision;23.049). Nun nahm die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates (SGK-S) einen neuen Anlauf auf Basis der Beschlüsse des Ständerates. Umstritten war im Nationalrat insbesondere, ob die beschlossenen Massnahmen verfassungskonform sind. Die Kommission hat deshalb zu Beginn ihrer Beratungen Anhörungen zur Frage der Verfassungsmässigkeit der verschiedenen Umsetzungsvarianten durchgeführt. Die angehörten Fachpersonen bewerten den Umsetzungsspielraum des Parlaments unterschiedlich. Die Kommissionsmehrheit sieht sich angesichts der Analysen in ihrer Einschätzung bestärkt, dass sie die Volksinitiative verfassungskonform umsetzt.
Mit 8 zu 2 Stimmen bei 2 Enthaltungen in der Gesamtabstimmung hat die Kommission ihre Anträge zuhanden des Rates verabschiedet und dabei ihre Unterstützung für die Variante des Ständerates aus der letztjährigen Herbstsession bekräftigt. Der Ständerat hatte die Umsetzungsvorlage des Bundesrates um Ausnahmen für mobiles Verkaufspersonal an öffentlich zugänglichen Orten und die direkte, persönlich ausgeführte Verkaufsförderung von Zigarren und Zigarillos ergänzt. Zudem sollen Tabakwerbung an öffentlich zugänglichen Orten und das Sponsoring von Veranstaltungen erlaubt bleiben, sofern die Werbung vor Ort für Minderjährige weder zugänglich noch sichtbar ist. Abweichend von den Beschlüssen des Ständerates übernahm die Kommission einzig zwei von der Schwesterkommission eingebrachte und im Nationalrat vor der Ablehnung in der Gesamtabstimmung angenommene Präzisierungen: Die Bestimmungen zur Tabakwerbung an öffentlich zugänglichen Orten (Art. 18 Abs. 1 Bst. e; mit 7 zu 5 Stimmen gegenüber der Version des Ständerates resp. 6 zu 4 Stimmen bei 2 Enthaltungen gegen den Entwurf des Bundesrates) sowie zum Sponsoring von Veranstaltungen, die von Minderjährigen besucht werden können (Art. 20 Abs. 1 Bst. b; mit 7 zu 6 Stimmen gegenüber der Version des Ständerates resp. 5 zu 4 Stimmen bei 4 Enthaltungen gegen den Entwurf des Bundesrates), sollen klarer formuliert werden. Minderheiten beantragen, auch diesbezüglich bei den Beschlüssen des Ständerates zu bleiben.
Weitergehende Änderungsanträge zur Version des Ständerates lehnte die Kommission ab: So sollen weder die Definition von Werbung präziser gefasst (Art. 18 Abs. 1 Einleitungssatz und Bst. b sowie Abs. 2; mit 8 zu 5 Stimmen abgelehnt), noch der Verkauf durch mobiles Verkaufspersonal eingeschränkt werden (Art. 19 Abs. 1 Bst. c; bei 6 zu 6 Stimmen und 1 Enthaltung mit Stichentscheid des Präsidenten abgelehnt). Ebenso will die Kommission darauf verzichten, die persönlich ausgeführte Verkaufsförderung für Zigarren und Zigarillos an Orten zu verbieten, die von Minderjährigen besucht werden können (Art. 19 Abs. 2 Bst. b; mit 7 zu 6 Stimmen abgelehnt). Verschiedene Minderheiten stellen diese Bestimmungen im Rat erneut zur Debatte.
Für die Lockerung des Vertragszwangs in der Grundversicherung
Mit 8 zu 4 Stimmen bei 1 Enthaltung beantragt die Kommission, die Motion Hegglin Peter «Lockerung des Vertragszwangs im KVG» (23.4088) anzunehmen. Diese fordert, unter bestimmten Bedingungen die Vertragsfreiheit in der Grundversicherung einzuführen. Die Kommission will damit das Kosten- und Mengenwachstum begrenzen und die Reflexionen vorantreiben, wie der Wettbewerb über die Qualität und die Leistungen in der Grundversicherung gestärkt werden kann. Sie sieht die Einführung der Wettbewerbsfreiheit als ergänzend zu den bestehenden Möglichkeiten an, welche die Kantone bei der Zulassung der Ärztinnen und Ärzte sowie bei der Spitalplanung haben.
Grünes Licht für die Anpassung der Invalidenrenten an die reale Arbeitsmarktlage
Die Kommission stimmt mit 10 Stimmen bei 3 Enthaltungen dem Entscheid ihrer Schwesterkommission zu, der parlamentarischen Initiative Kamerzin «Berücksichtigung der realen Beschäftigungsmöglichkeiten gesundheitlich beeinträchtigter Personen» (23.448) Folge zu geben. In ihren Augen muss dafür gesorgt werden, dass die IV-Stellen bei der Beurteilung des invaliditätsbedingten Erwerbsausfalls die aktuelle Arbeitsmarktlage und das Vorhandensein von geeigneten Arbeitsplätzen besser berücksichtigen. Die Schwesterkommission wird bei der Ausarbeitung des Entwurfs zur Umsetzung der Initiative insbesondere die Frage zu prüfen haben, wie die Gleichbehandlung der Bezügerinnen und Bezüger angesichts der grossen Unterschiede zwischen den verschiedenen Regionen bei den Beschäftigungsmöglichkeiten sichergestellt werden kann.
Weitere Geschäfte
Die Kommission beantragt mit 8 zu 3 Stimmen, die Motion der SVP-Fraktion «Kein WHO-Abkommen ohne parlamentarische Genehmigung» (22.3546) anzunehmen, die verlangt, dass jegliches WHO-Abkommen zwingend dem Parlament zur Genehmigung unterbreitet wird. Angesichts der potenziell verbindlichen Auswirkungen von Beschlüssen im Rahmen der WHO ist die Kommission der Ansicht, dass es sinnvoll ist, die Rolle der Bundesversammlung vorab zu klären. Zuvor hat sie sich über die Anpassungen der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) informieren lassen, die Anfang Juni an der Weltgesundheitsversammlung der WHO beschlossen wurden, und über die Verhandlungen zum WHO-Pandemievertrag, bei denen noch keine Einigung erzielt wurde.
Die Kommission beantragt mit 8 Stimmen bei 1 Enthaltung die Motion der FDP-Fraktion «Schluss mit teuren Doppelspurigkeiten bei Gesundheitsdaten. Mehrfachnutzung jetzt anpacken!» (23.3601) anzunehmen. Die Digitalisierungsprojekte sollen sich wenn möglich stets am Once-Only-Prinzip orientieren, so dass Daten nur einmal erhoben werden.
Mit 9 zu 4 Stimmen beantragt die Kommission, der Standesinitiative des Kantons Jura «KVG-Prämien in die Berechnung des Landesindexes für Konsumentenpreise aufnehmen, zweiter Versuch» (23.315) keine Folge zu geben. Die Kommission kann das Anliegen zwar nachvollziehen, sieht bei einer Aufnahme der Krankenkassenprämien in den Landesindex der Konsumentenpreise allerdings Probleme mit der Systematik und bei der internationalen Vergleichbarkeit.
Einstimmig beantragt die Kommission der Standesinitiative des Kantons Wallis «Ausnahmebewilligungen für ausländische Ärzte bei nachgewiesenem Bedarf» (24.300) keine Folge zu geben. Ebenso beantragt sie mit 8 zu 2 Stimmen bei 3 Enthaltungen, die Motion SGK-N «Qualitätssicherung ohne kantonalen Grenzschutz» (23.4325) abzulehnen. Die Kommission sieht bei der Zulassungssteuerung von Ärztinnen und Ärzten aktuell keinen weiteren Handlungsbedarf. Das Parlament hatte bereits im Frühling 2023 im Rahmen der parlamentarischen Initiative 22.431 gezielte Ausnahmen für die Grundversorgung beschlossen.
Die Kommission beantragt mit 9 zu 2 Stimmen bei 1 Enthaltung, die Motion Roth Franziska «Die Einführung des Versorgungsmonitorings zu Arzneimitteln darf die Versorgung mit Arzneimitteln nicht schwächen» (23.4452) abzulehnen. Sie sieht keinen generellen Handlungsbedarf, die Kosten über die Grundversicherung abzugelten, die entstehen, weil die Anforderungen an Arzneimittelverpackungen angepasst werden müssen.
Die Kommission hat Vertretungen der Versicherer, der Ärzteschaft, der Spitäler und der Laboratorien zur Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung betreffend die Tarife der Analyseliste (24.037) angehört. Diese Änderung geht auf eine Motion der Kommission zurück und sieht vor, dass neu die Leistungserbringer und die Versicherer die Tarife für Laboranalysen aushandeln. Welche Analysen vergütet werden, würde immer noch das eidgenössische Departement des Innern definieren, das heute auch die Tarife dieser Analysen festlegt. Die Kommission wird die Vorlage an der nächsten Sitzung beraten.
Zum Auftakt der Beratungen zur parlamentarischen Initiative SGK-N «13. Rente. Auch IV-Rentenbeziehende müssen Anspruch auf eine 13. Rente haben» (24.424) hat die Kommission das Bundesamt für Justiz beauftragt, die Frage des verfassungsmässigen Anspruchs auf Gleichbehandlung von Alters- und IV-Rentenbeziehenden insbesondere in Bezug auf die Ergänzungsleistungen zu prüfen. Sie wird auf der Grundlage dieser Abklärungen entscheiden, ob sie dem Beschluss der SGK-N zur Ausarbeitung dieser Initiative zustimmt.
Die Kommission hat die Beratungen der Motion SGK-N «Das IFEG modernisieren. Gleiche Wahlmöglichkeiten und entsprechende ambulante Unterstützung für Menschen mit Behinderungen im Bereich Wohnen» (24.3003) aufgenommen. Sie war sich einig, dass Menschen mit Behinderungen ihre Wohnform und ihren Wohnort möglichst selbst wählen können sollen und ambulante Lösungen stärker gefördert werden müssen. Es bestehen aber noch Unklarheiten zu den Zuständigkeiten von Bund und Kantonen in diesem Bereich. Die Kommission wird daher im vierten Quartal über die Motion befinden, wenn Resultate zu diesen Abklärungen vorliegen.
Die Kommission wird ihre Beratung der MotionGermann «Erleichterte Zulassung für patentabgelaufene Medikamente» (23.4535) im kommenden Quartal im Rahmen einer allgemeinen Prüfung der vom Bund bereits ergriffenen und geplanten Massnahmen gegen Medikamentenengpässe fortsetzen.
Die Kommission hat ferner die Beratung der Motion Dobler «Medikamentenpreise. Vergütung von im Ausland gekauften günstigen Medikamenten oder Hilfsmitteln durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung nach KVG, um die Preise und Kosten zu senken» (23.4177) aufgenommen. Sie hat die Bundesverwaltung beauftragt, gewisse offene Fragen zu klären, namentlich die möglichen Auswirkungen auf den Schweizer Medikamentenmarkt.
Die Kommission tagte am 27. und 28. Juni 2024 in Bern unter der Leitung von Ständerat Damian Müller (FDP, LU).