Die Kommissionsmehrheit ist der Auffassung, dass die Schweiz die Ukraine stärker unterstützen und auf diese Weise ihren Beitrag zur europäischen Sicherheit leisten muss. Ihrer Auffassung nach stehen die beantragten Änderungen im Einklang mit dem Neutralitätsrecht, da sie die direkte Ausfuhr von Kriegsmaterial in Konfliktgebiete nicht erlauben, sondern lediglich die Nichtwiederausfuhr-Erklärungen der Länder betreffen, die Schweizer Kriegsmaterial kaufen. Sie ist sich bewusst, dass die parlamentarische Initiative Fragen zur Neutralität aufwirft, in ihren Augen können diese jedoch in der zweiten Phase behandelt werden.
Die Kommissionsminderheit erachtet die Wiederausfuhr von Schweizer Kriegsmaterial in die Ukraine im Hinblick auf die Neutralität, namentlich in Bezug auf das vom Neutralitätsrecht vorgesehene Gleichbehandlungsprinzip, als problematisch. Ausserdem ist sie der Ansicht, dass sich eine solche Wiederausfuhr angesichts der geringen Waffen- und Munitionsmengen nur marginal auf den Verlauf des Konflikts auswirken würde. Darüber hinaus verfüge die Schweiz über wirksamere Instrumente, um die ukrainische Bevölkerung zu unterstützen, beispielsweise die humanitäre Hilfe.
Als nächstes kommt die Initiative in den Nationalrat, der sie in der Sonder- oder in der Sommersession 2023 behandeln wird.
Nein zur Initiative der SiK-S
Im Weiteren hat die Kommission mit 16 zu 7 Stimmen bei 2 Enthaltungen beschlossen, der am 3. Februar 2023 von der SiK-S eingereichten parlamentarischen Initiative 23.402 abzulehnen. Ziel dieser Initiative ist es, die Nichtwiederausfuhr-Erklärung für Länder wie Frankreich, Deutschland, Italien oder auch die USA und Japan auf fünf Jahre zu befristen. Die Wiederausfuhr wäre möglich, sofern das Bestimmungsland nicht in einen Krieg verwickelt ist und kein Risiko besteht, dass das Kriegsmaterial gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt wird. Die Wiederausfuhr von Kriegsmaterial in ein Kriegsland wäre ebenfalls möglich, jedoch nur, wenn dieses von seinem völkerrechtlichen Selbstverteidigungsrecht Gebrauch macht. Nichtwiederausfuhr-Erklärungen, deren Unterzeichnung zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Änderung mehr als fünf Jahre zurückliegt, wären ebenfalls hinfällig.
Für eine Lockerung «light» der Wiederausfuhrbedingungen
Die Kommission hat hingegen mit 12 zu 10 Stimmen bei 3 Enthaltungen eine neue parlamentarische Initiative (23.403) angenommen, die im Wesentlichen die parlamentarische Initiative 23.402 der SiK-S aufgreift. Laut der neuen Initiative soll der Bundesrat im Einzelfall eine Nichtwiederausfuhr-Erklärung ausnahmsweise auf fünf Jahre befristen können. Die Befristung der Nichtwiederausfuhr-Erklärungen soll nur dann möglich sein, wenn das Bestimmungsland die Menschenrechte nicht schwerwiegend verletzt, keine Gefahr besteht, dass das Kriegsmaterial gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt wird, und wenn das Bestimmungsland nicht in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt ist.
Die Wiederausfuhr von Kriegsmaterial in ein Kriegsland wäre jedoch möglich, wenn dieses Land von seinem völkerrechtlichen Selbstverteidigungsrecht Gebrauch macht. Voraussetzung dafür wäre, dass der Verstoss gegen das Gewaltverbot in einer Resolution des UNO-Sicherheitsrates oder durch eine Zweidrittelmehrheit der UNO-Generalversammlung festgestellt worden ist. Eine Wiederausfuhr wäre auch dann möglich, wenn der Sicherheitsrat beschliesst, Massnahmen im Sinne von Artikel 42 der UNO-Charta zu ergreifen, die Luft-, See- oder Landstreitkräfte der Mitgliedstaaten einschliessen. Um zu vermeiden, dass diese Bestimmungen umgangen werden, sollen die gleichen Bedingungen für alle Staaten gelten, an welche das Schweizer Kriegsmaterial später weitergegeben wird.
Die Kommissionsmehrheit ist der Ansicht, dass eine Lockerung der Wiederausfuhrbedingungen in der aktuellen Situation notwendig ist. Die geltende Gesetzgebung hindert nämlich die Abnehmerländer von Schweizer Kriegsmaterial – in der Mehrzahl europäische Länder – daran, die Ukraine durch die Weitergabe von Waffen oder Munition aus der Schweiz zu unterstützen. Mit dieser Regelung stösst die Schweiz bei ihren engen Partnern auf grosses Unverständnis. In den Augen der Mehrheit ist es die Pflicht der Schweiz, sich an den Anstrengungen im Falle einer offensichtlichen Verletzung des Völkerrechts zu beteiligen. Für die Minderheit ist diese Änderung problematisch, da ein Beschluss der UNO-Generalversammlung rechtlich nicht bindend ist. Die Minderheit ist zudem der Ansicht, dass mit dem vorgeschlagenen Ansatz die Probleme mit den Nichtwiederausfuhr-Erklärungen nicht gelöst werden, da der Bundesrat immer noch von Fall zu Fall entscheiden müsste, ob er die Gesuche der Länder, die Schweizer Kriegsmaterial gekauft haben, bewilligt.
Die Kommission hat am 20. und 21. Februar 2023 unter dem Vorsitz von Nationalrat Mauro Tuena (SVP, ZH) in Bern getagt.