Rückblick auf die 44. Legislaturperiode

1. Staatspolitik und Rechtsordnung

Documents du Ministère public de la Confédération. Consultation

Botschaft: 23.10.1991 (BBl IV, 1016 / FF IV, 991)

Ausgangslage

Primäre Anliegen des Bundesbeschlusses sind die effiziente Abwicklung des Einsichtsverfahrens sowie die rasche Aussonderung und Vernichtung der nicht mehr notwendigen Akten des Polizeidienstes der Bundesanwaltschaft, soweit sie sich in der Obhut des Sonderbeauftragten für die Staatsschutzakten des Bundes befinden. Die Sondermassnahmen, die im Gefolge des Berichts der parlamentarischen Untersuchungskommission über die Vorkommnisse im EJPD ergriffen werden mussten, sollen so schnell wie möglich abgebaut werden.

Um die Dauer des gesamten Einsichtsprozesses abkürzen zu können, hat der Bundesrat nach Varianten zum Einsichtsverfahren, wie es in der Verordnung vom 5. März 1990 über die Behandlung der Staatsschutzakten des Bundes (VBS) vorgesehen ist, gesucht. Die Einsicht soll nicht mehr voraussetzungslos gewährt, sondern von bestimmten sinnvollen Bedingungen abhängig gemacht werden. Dadurch soll die Zahl der Einsichtsgesuche verringert werden, ohne dabei jedoch die schützenswerte Rechte der Betroffenen zu schmälern. Der Bundesbeschluss macht die Einsichtsgewährung im Gegensatz zur erwähnten Verordnung neu davon abhängig, dass die Betroffenen einen Schaden glaubhaft machen müssen oder die Akten in einem Verfahren benötigt werden.

Die Dossiereinsicht wird nicht von einem bis zum 31. März 1990 gestellten Einsichtsgesuch abhängig gemacht. Alle Betroffenen sollen die Möglichkeit erhalten, unter den genannten Voraussetzungen ein Gesuch um Einsicht zu stellen. Die VBS wird nach Abschluss des Ficheneinsichtsverfahrens aufgehoben. Diejenigen Personen, die bereits vor dem 1. April 1990 ein Gesuch um Dossiereinsicht gestellt haben, brauchen keinen Schaden glaubhaft zu machen. Sie erhalten von Amtes wegen Einsicht in ihre Akten, soweit die Akten erheblich mehr Informationen enthalten als ihre Fiche.

Die Aussonderung sowie die Vernichtung oder die Archivierung der nicht mehr benötigten Akten innert nützlicher Frist sind weitere Anliegen des Bundesbeschlusses. Akten, die für die Arbeit der Bundesanwaltschaft nicht mehr notwendig sind, sollen nach Inkrafttreten des Bundesbeschlusses vernichtet werden. Historisch wertvolle Akten werden nicht vernichtet, sondern archiviert. - Das Einsichtsverfahren sowie die Aussonderung der Akten wird vom Sonderbeauftragten für die Staatsschutzakten des Bundes durchgeführt.

Verhandlungen

SR 04.03.1992 AB 1992, 84
NR 01.06.1992 AB 1992, 696
SR 11.06.1992 AB 1992, 439
NR 18.06.1992 AB 1992, 1141
SR 27.08.1992 AB 1992, 713
NR 21.09.1992 AB 1992, 1623
SR / NR 09.10.1992 Schlussabstimmungen (38:4, 128:19)

Ausgehend vom Grundsatz, dass ein früheres Versprechen nicht widerrufen werden soll, beschloss der Ständerat bei der Dossiereinsicht für diejenigen Personen, welche ihr Gesuch vor dem 1. April 1990 gestellt hatten, eine grosszügigere Lösung, als dies der Bundesrat vorgeschlagen hatte. Auch Gesuchsteller, deren Dossier nach Einschätzung des Sonderbeauftragten nicht mehr Informationen als die Fichenkarte enthält, sollen auf ihrer Einsichtforderung insistieren dürfen. Wer sein Gesuch erst nach dem 1. April gestellt hatte, soll wie vom Bundesrat vorgeschlagen, sein Dossier nur dann einsehen können, wenn er einen erlittenen Schaden glaubhaft machen kann.

Ebenfalls nicht anfreunden konnte sich der Ständerat mit dem Vorschlag, dass der Sonderbeauftragte die Vernichtung von Akten anordnen soll, welche für die zukünftige Staatsschutztätigkeit nicht mehr benötigt werden und von keinem besonderen Interesse für die Geschichtsforschung sind. Er ging hier auf die Einwände der Wissenschaft ein und beschloss, dass alle Akten, die vom Staatsschutz nicht mehr gebraucht werden, zu archivieren und mit einer Sperrfrist von 50 statt wie üblich 35 Jahren zu belegen seien. Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes räumte er jedoch den Fichierten das Recht ein, die Vernichtung der sie betreffenden Dokumente zu verlangen.

Die Kommissionsmehrheit des Nationalrats schloss sich diesen Entscheiden - mit der Ausnahme des individuellen Rechts auf Aktenvernichtung - weitgehend an.

Das Plenum beschloss dann aber auf Antrag der von Leuba (L, VD) angeführten bürgerlichen Kommissionsminderheit mit 75:71 Stimmen eine wesentlich restriktivere Lösung, welche noch hinter den Vorschlag des Bundesrates zurückging. Sie sah vor, dass nur diejenigen Einsicht in ihre Dossiers erhalten sollen, die glaubhaft machen können, dass ihnen wegen der Fichierung materieller oder ideeller Schaden entstanden ist. Als wichtigstes Argument gegen eine liberalere Einsichtgewährung wurden die hohen Kosten (60 - 80 Millionen Franken) ins Feld geführt. In der Frage der Aktenarchivierung schloss sich der Nationalrat dem Ständerat an, strich aber die Möglichkeit, Dokumente auf Antrag von Betroffenen zu vernichten.

In den Differenzbereinigung verzichtete der Ständerat auf das Recht für Einzelpersonen, die Vernichtung der sie betreffenden Akten zu verlangen. Bezüglich der Akteneinsicht verharrten jedoch beide Räte in einer ersten Runde auf ihren Positionen. Im Nationalrat sprach sich in einer Abstimmung unter Namensaufruf eine Mehrheit, gebildet aus den geschlossenen Fraktionen der SVP, der LP und der AP sowie einer sehr deutlichen Mehrheit der FDP und einer knappen der CVP und der SD/Lega, für das Festhalten an der restriktiven Lösung aus. In der Suche nach einem Kompromiss schlug der Ständerat dann vor, dass den 28 000 Fichierten, welche vor dem 1. April 1990 Einsicht sowohl in die Fiche als auch in allfällige Dossiers verlangt hatten, dieses Recht grundsätzlich gewährt werden soll. Auf die vom Bundesrat vorgeschlagene kostspielige Abklärung der Frage, ob ein Dossier erheblich mehr Informationen enthält als die Fiche, wurde damit verzichtet. Hingegen sollen die Gesuchsteller angefragt werden, ob und aus welchen Gründen sie überhaupt an ihrem Gesuch festhalten wollen, wobei der Sonderbeauftragte über die Stichhaltigkeit dieser Begründung entscheidet. Der Nationalrat schloss sich dieser Lösung an.

Legislaturrückblick 1991-1995 - © Parlamentsdienste Bern

 

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