Rückblick auf die 44. Legislaturperiode |
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1. Staatspolitik und Rechtsordnung
Immunität von Parlamentariern und Magistratspersonen
Immunité des parlementaires et des magistrats
Allgemeines
Die parlamentarische Immunität soll die Ratsmitglieder bei
der Ausübung ihrer politischen Tätigkeit schützen und das Funktionieren des Parlamentes
sichern.
Die für die Mitglieder der Bundesversammlung geltenden Immunitätsbestimmungen sind in
zwei Bundesgesetzen enthalten, im Bundesgesetz über die politischen und polizeilichen
Garantien zugunsten der Eidgenossenschaft (Garantiegesetz, GarG; SR 170.21) vom 26. März
1934 einerseits (die Sessionsteilnahmegarantie) und im Bundesgesetz über die
Verantwortlichkeit des Bundes sowie seiner Behördemitglieder und Beamten
(Verantwortlichkeitsgesetz, VG; SR 170.32) vom 14. März 1958 andererseits (die absolute
und die relative Immunität).
Gemäss den Bestimmungen über die absolute Immunität
(Art. 2 VG) können die Ratsmitglieder für Voten, die sie in der Bundesversammlung
(Plenum und Kommissionen) abgeben, nicht verantwortlich gemacht werden.
In der Praxis von Bedeutung ist praktisch nur die relative
Immunität (Art. 14 VG).
Artikel 14 des Verantwortlichkeitsgesetzes regelt die
Strafverfolgung von Mitgliedern der eidgenössischen Räte wegen strafbarer Handlungen,
die sich auf ihre amtliche Tätigkeit und Stellung beziehen, also die relative Immunität,
welche den Parlamentarier während der ganzen Dauer des Mandats schützt, es sei denn, der
Rat hebe diese Immunität selber auf. Dieses Privileg der Immunität nimmt darauf
Rücksicht, dass der Parlamentarier nicht nur während der Session eng mit der unbedingten
Pflicht verbunden ist, sein Mandat verantwortungsbewusst, ohne Druck und frei - gemäss
Verfassung - ausüben zu können.
Die Strafverfolgung von Mitgliedern des National- und des
Ständerates bedarf deshalb einer Ermächtigung der eidgenössischen Räte. Die
Bundesversammlung hat im Ermächtigungsverfahren zu prüfen, ob der Zusammenhang mit der
amtlichen Stellung oder Tätigkeit gegeben ist, und nur zu entscheiden, ob eine
Strafuntersuchung angezeigt ist.
90.034 |
Immunität der
Nationalrätinnen und Nationalräte Danuser, Fankhauser, Hubacher, Jaeger, Leutenegger
Oberholzer, Rechsteiner, Stocker, Zbinden Hans |
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Immunité des conseillers
nationaux Danuser, Fankhauser, Hubacher, Jaeger, Leutenegger Oberholzer, Rechsteiner,
Stocker, Zbinden Hans |
NR |
04.10.1991 |
AB 1991, 1940 |
SR |
12.12.1991 |
AB 1991, 1078 (Aufhebung abgelehnt) |
90.035 |
Immunität von Nationalrätin Jeanprêtre
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Immunité de la conseillère nationale
Jeanprêtre |
NR |
04.10.1991 |
AB 1991, 1946 |
SR |
12.12.1991 |
AB 1991, 1072 (Aufhebung abgelehnt) |
90.072 |
Immunität von Nationalrat Ziegler Jean
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Immunité du conseiller national Ziegler
Jean |
NR |
04.10.1991 |
AB 1991, 1950 |
SR |
12.12.1991 |
AB 1991, 1091
(Aufhebung abgelehnt: absolute Immunität) |
90.073 |
Immunität von Nationalrat Spielmann |
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Immunité du conseiller national Spielmann
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NR |
04.10.1991 |
AB 1991, 1954 |
SR |
12.12.1991 |
AB 1991, 1089 (Aufhebung abgelehnt) |
94.038 |
Immunität von Nationalrat Blocher |
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Immunité du conseiller national Blocher
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NR |
14.06.1994 |
AB 1994, 1012 |
SR |
16.06.1994 |
AB 1994, 712 |
Auch in diesem Fall, der eine Strafverfolgung betraf, die
sich aus einer missbräuchlichen und reglementswidrigen Bedienung der Abstimmungsanlage
ergeben hatte, sprachen sich die beiden Kammern gegen eine Aufhebung der Immunität aus.
Im Nationalrat beantragte eine Minderheit die Aufhebung der Immunität, um den Weg
für eine grundsätzliche rechtliche Beurteilung dieser Frage freizugeben. Der Rat folgte
aber mit 108 zu 54 Stimmen der Mehrheit, die zwar das Verhalten von Nationalrat Blocher
als inakzeptabel bezeichnete, im übrigen aber der Auffassung war, dass es dem Parlament
selber obliege, seinem Reglement Nachachtung zu verschaffen.
94.084 |
Immunität von Nationalrat Ziegler Jean
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Immunité du conseiller national Ziegler
Jean |
NR |
23.06.1995 |
AB 1995, 1572 (Aufhebung abgelehnt) |
SR |
03.10.1995 |
AB 1995, 983 (Aufhebung abgelehnt) |
91.424 |
Parlamentarische Initiative (Rüesch).
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Revision der Gesetzesbestimmungen über
die parlamentarische Immunität |
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Initiative parlementaire (Rüesch). |
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Révision des dispositions légales sur
l'immunité parlementaire |
Bericht und Gesetzentwurf der Rechtskommission des
Ständerates: 20.01.1994 (BBl II, 848 / FF II, 832)
Stellungnahme des Bundesrates: 29.06.1994 (BBl III, 1429 / FF III, 1415)
Ausgangslage
Der Ständerat hatte am 15. Dezember 1992 der Initiative
Folge gegeben. Sie verlangte in Form einer allgemeinen Anregung eine Revision der
einschlägigen Bestimmungen des Verantwortlichkeitsgesetzes über die parlamentarische
Immunität. Dabei sei die relative Immunität so einzuschränken, dass Missbräuche
verhindert werden können.
Die Rechtskommission des Ständerates kam in ihrem Bericht
zum Schluss, dass im Bereich der relativen Immunität eine restriktivere Praxis angezeigt
sei. Sie legte einen Entwurf vor, wonach ein Immunitätsentscheid nur dann zulässig ist,
wenn sich die behaupteten strafbaren Handlungen "zur Hauptsache" auf die
"amtliche Tätigkeit oder Stellung" beziehen. Ein zwingender Zusammenhang
zwischen Handlung und Funktion müsse gegeben sein; politisches Interesse oder Engagement
würden nicht ausreichen.
SR |
05.10.1994 |
AB 1994, 1030 |
NR |
12.06.1995 |
AB 1994, 1237 |
SR |
03.10.1995 |
AB 1995, 982 |
Der Ständerat stimmte der vorgeschlagenen Lösung
zu. - Der Nationalrat hingegen lehnte auf Antrag seiner Kommission ohne Diskussion
Eintreten ab. Eine restriktivere Handhabung ist auch bei der bestehenden gesetzlichen
Grundlage möglich. - Der Ständerat schloss sich darauf auf Antrag seiner
Rechtskommission dem Entscheid der grossen Kammer an, wobei der Präsident der Kommission
betonte, dass es der einstimmige Wunsch der Kommission sei, dass in Zukunft eine
restriktivere Praxis angewendet werde.
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