Rückblick auf die 44. Legislaturperiode

1. Staatspolitik und Rechtsordnung

Vereinigte Bundesversammlung
Assemblée fédérale (Chambres réunies)

Die Vereinigte Bundesversammlung trat zu 18 Sitzungen zusammen. Aus den behandelten Geschäften erwähnen wir die folgenden Schwerpunkte:

Sitzung vom 4. Dezember 1991

Die bisherigen Mitglieder des Bundesrates sowie der Bundeskanzler wurden in ihren Funktionen bestätigt. Bundesrat René Felber wurde zum Bundespräsidenten gewählt.

Sitzung vom 9. Dezember 1992

Nach den ordentlichen Wahlgeschäften gab Bundespräsident René Felber eine Erklärung zur Lage in Ex-Jugoslawien ab. Sie schloss mit einem feierlichen Appell an die am Konflikt beteiligten Parteien, die Kämpfe unverzüglich einzustellen, die Gefangenen freizulassen und die Regeln des Völkerrechts zu respektieren.

Sitzungen vom 3. und 10. März 1993

Ungewöhnliche und einmalige Vorgänge kennzeichneten die Ersatzwahl in den Bundesrat, die nach dem am 13. Januar 1993 erklärten Rücktritt von Bundesrat René Felber erforderlich wurde. Nachdem in den Wochen vor der Wahl das Verfahren der Nomination und Artikel in der Boulevardpresse für grosse Aufregung gesorgt hatten, schritt die Bundesversammlung am 3. März zur Wahl. Im ersten Wahlgang entfielen bei einem Mehr von 120 Stimmen deren 117 auf Françis Matthey (NE) und 101 auf Christiane Brunner (GE), die offizielle Kandidatin der SP. Im zweiten Wahlgang wurde Matthey mit 130 Stimmen gewählt. Der Gewählte erklärte darauf, dass er wie angekündigt erst nach Rücksprache mit seiner Fraktion über die Annahme dieser Wahl entscheiden wolle. In dieser Aussprache votierten die Fraktionsmitglieder für eine Nichtannahme und für eine Konsultation der Parteibasis. Nachdem Matthey die Bundesversammlung um eine längere Bedenkzeit gebeten hatte, beschloss diese, in einer Woche wieder zusammenzutreten, um den Entscheid Mattheys entgegenzunehmen.

Nach heftigen Reaktionen und weiteren, unter grossem Zeitdruck stehenden Abklärungen beschloss die SP-Fraktion, neben Christiane Brunner auch Ruth Dreifuss, die in Genf aufgewachsene, aber in Bern wohnhafte 53jährige Sekretärin des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, zur Wahl vorzuschlagen. Der gewählte Matthey erklärte, dass er diesen Vorschlag akzeptiere, um eine Regierungskrise zu verhindern.

Am 10. März trat die Bundesversammlung erneut zusammen. Vor dem Bundeshaus demonstrierten rund 10 000 Frauen und Männer für die Wahl Brunners. Matthey erklärte, dass er die vor einer Woche erfolgte Wahl nicht annehme, da er von der SP-Fraktion nicht unterstützt werde. Für diesen Fall der Nichtannahme der Wahl hatte die SVP-Fraktion eine Verschiebung der Wahl um eine Woche vorgeschlagen. Sie begründete diesen Antrag damit, dass die zwei Tage zuvor nominierte Kandidatin Dreifuss noch zuwenig bekannt sei. Der Ordnungsantrag wurde nach heftigen Wortwechseln mit 117 zu 62 Stimmen abgelehnt. Im ersten Wahlgang erhielten nun Brunner 90 und Dreifuss 92 Stimmen. Deren 54 entfielen auf die freisinnige Nationalrätin Spoerry (ZH), welche daraufhin erklärte, dass sie nicht kandidiere und die Stimmen einer welschen Frau gegeben werden sollten. Auch im zweiten Wahlgang erreichte keine der Kandidatinnen das absolute Mehr. Brunner, auf die 86 Stimmen entfallen waren, forderte darauf diejenigen, welche ihr die Stimme gegeben hatten, zur Unterstützung von Dreifuss auf. Im dritten Wahlgang wurde sodann Ruth Dreifuss mit 144 Stimmen gewählt.

Die Ersatzwahl löste auch eine Reihe von parlamentarischen Initiativen aus, die das Prozedere der Bundesratswahl betrafen. Vgl. dazu unten, Sitzung vom 5. Oktober 1994, sowie Geschäft 93.452, Änderung der Wählbarkeitsvoraussetzungen für den Bundesrat.

Sitzung vom 5. Oktober 1994

Die Vereinigte Bundesversammlung lehnte es ohne Diskussion ab, zwei parlamentarischen Initiativen Folge zu geben. Eine erste Initiative (93.411, Robert) verlangte, dass Wahlen auf Antrag offen hätten durchgeführt werden können. Ein zweiter Vorstoss (93.414, Guinand) wollte das Wahlverfahren als Ganzes verbessern und transparenter machen.

Ausserordentliche Sitzung zum Gedenken an den 50. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges

Die Bundesversammlung trat am Sonntag, den 7. Mai 1995 zu einer ausserordentlichen Sitzung zusammen. Von musikalischen Darbietungen umrahmt, hielten Nationalratspräsident Claude Frey, Bundespräsident Kaspar Villiger, der Historiker André Lasserre, Frau Ständerätin Josi Meier sowie Ständeratspräsident Niklaus Küchler mit grossem Interesse erwartete Ansprachen, in welchen insbesondere auch die Haltung der Schweiz gegenüber dem Dritten Reich und den Juden zur Sprache kam.

Sitzung vom 27. September 1995

Die Ersatzwahl in den Bundesrat, die nach dem im Vorfeld der Nationalratswahlen erfolgten Rücktritt von Bundesrat Otto Stich in der letzten Session der Legislaturperiode nötig geworden war, führte zu einer Bestätigung des Konkordanzsystems. Die von einzelnen Exponenten des Zürcher Freisinns angeführte Attacke auf die "Zauberformel" richtete sich schliesslich gegen die Initianten selber, indem die Bundesversammlung mit Nationalrat Moritz Leuenberger (S, ZH) einen Zürcher wählte und damit dem Zürcher Freisinn die Rückkehr in den Bundesrat auf Jahre hinaus verbaute. Der neue Bundesrat wurde im 5. Wahlgang mit 124 Stimmen gewählt. Auf den letzten in der Wahl verbliebenen Konkurrenten, Ständerat Otto Piller (S, FR), der gemeinsam mit Leuenberger offizieller Kandidat der Sozialdemokraten gewesen war, entfielen 86 Stimmen.

Legislaturrückblick 1991-1995 - © Parlamentsdienste Bern

 

Hauptinhaltverzeichnis
Inhaltverzeichnis des aktuellen Kapitels Index Inhaltverzeichnis des folgenen Kapitels
Rückkehr zum SeitenbeginnRückkehr zum Seitenbeginn

HomeHome