Rückblick auf die 44. Legislaturperiode |
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4. Sicherheitspolitik
94.062 |
Für weniger Militärausgaben
und mehr Friedenspolitik. Volksinitiative |
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Pour moins de dépenses
militaires et davantage de politique de paix. Initiative populaire |
Botschaft: 22.06.1994 (BBl III, 1201 / FF III, 1181)
Ausgangslage
Die Initiative verlangt die Kürzung der Kredite für die
Landesverteidigung um jährlich 10 Prozent, bis sie gegenüber dem Ausgangsjahr halbiert
sind. Die so eingesparten Gelder sollen schwergewichtig zu Gunsten von zusätzlichen
Aufwendungen für internationale Friedenspolitik und soziale Sicherheit im Inland
verwendet werden.
Der in der Bundesverfassung verankerte Grundsatz der
Einheit der Materie verlangt einen sachlichen Zusammenhang zwischen den einzelnen Teilen
einer Volksinitiative. Sachlich nicht zusammenhängende Themen müssen Gegenstand von
separaten Initiativen sein. Laut Botschaft fehlt ein solcher Zusammenhang grundsätzlich
zwischen der Kürzung der Ausgaben für die Landesverteidigung und dem Transfer eines
Teils der eingesparten Gelder zur sozialen Sicherheit. In Weiterführung der bisherigen
grosszügigen Praxis und nach dem Grundsatz "Im Zweifelsfall zu Gunsten der
Volksrechte" wird die Gültigkeit der Initiative vom Bundesrat trotzdem bejaht.
Zuständig für die Gültig- oder Ungültigerklärung einer Volksinitiative ist die
Bundesversammlung.
Die beabsichtigte Halbierung der Ausgaben für die
Landesverteidigung trifft die Armee und den Zivilschutz zu einem Zeitpunkt, wo
weitreichende Reformen umgesetzt werden sollen. Zudem wurde in finanzieller Hinsicht der
Wachstumsbruch im Bereich der Landesverteidigung als einziger Staatsaufgabe längstens
vollzogen. Mit halbierten Militärausgaben ist insbesondere die Armeereform 95 nicht zu
verwirklichen, weil die damit verbundene Modernisierung der Bewaffnung und die
Bauinvestitionen nicht finanzierbar sind. Eine autonome Landesverteidigung im Rahmen
unseres traditionellen Neutralitätsverständnisses würde hinfällig und die Schweiz
müsste sich ihre Sicherheit durch den Beitritt in ein Bündnis erkaufen. Der Bundesrat
ist deshalb der Auffassung, dass den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern die Ablehnung der
Vorlage empfohlen werden sollte.
Verhandlungen
SR |
21.03.1995 |
AB 1995, 369 |
NR |
20.06.1995 |
AB 1995, 1396 |
Der Ständerat beschloss mit 37 gegen 7 Stimmen, die
Volksinitiative für ungültig zu erklären und Volk und Ständen nicht zur Abstimmung zu
unterbreiten. Die Sicherheitspolitische Kommission hatte dies mit 11 zu 2 Stimmen
beantragt, weil sie das Kriterium der Einheit der Materie als nicht erfüllt betrachtete.
Die Kommission hatte vorgängig bei der Staatspolitischen Kommission des Ständerates
einen Mitbericht eingeholt. Die Staatspolitische Kommission hatte mit 11 zu 1 Stimme
empfohlen, die Initiative ungültig zu erklären. Ziegler (C, UR), Berichterstatter der
Sicherheitspolitischen Kommission, stützte sich in seinem Votum weitgehend auf ein
Gutachten des Staats- und Verwaltungsrechtsprofessors Richli, das der Bundesrat in Auftrag
gegeben hatte. Richli verneinte den logischen Zusammenhang zwischen einer Ausgabensenkung
bei der Landesverteidigung und einer Ausgabensteigerung bei der sozialen Sicherheit, wie
es die Initiative forderte. Der Stimmberechtigte könne also seinen eigentlichen Willen
nicht mit einem Ja oder einem Nein bekunden. Zur Frage, ob hiermit eine Praxisänderung
vorgenommen werde, stellte der Kommissionspräsident fest, dass ein gleicher Fall
überhaupt noch nicht vorgekommen sei. Dem widersprach der Vertreter der Minderheit
Plattner (S, BS). Er zitierte das Beispiel einer Volksinitiative, die 1952 für gültig
erklärt wurde. Sie verlangte "zur möglichst raschen Deckung der Kosten der
militärischen Aufrüstung, zum Schutze der sozialen Errungenschaften und zur Vermeidung
eines Anwachsens der Bundesschuld" die Erhebung eines "Friedensopfers".
Plattner argumentierte im weiteren, der sachliche Zusammenhang beim Ausgabentransfer von
einem Bereich in den andern lasse sich anhand der historischen Parole "Butter statt
Kanonen" leicht als Einheit fassen. Wenn diese Initiative ungültig erklärt werde,
müsste man in Zukunft konsquent sein und z.B. die Initiative "zur Abschaffung der
direkten Bundessteuer" auch wegen mangelnder Einheitlichkeit für ungültig
erklären; denn dort sei eine Einkommensumlagerung von der direkten Bundessteuer zur
Mehrwertsteuer vorgesehen. Bundespräsident Villiger wies darauf hin, dass auch aus
juristischer Sicht verschiedene Gründe für und gegen eine Ungültigkeiterklärung
sprächen. Dies sei für den Bundesrat das Hauptmotiv gewesen, nach der alten Praxis im
Zweifelsfall zugunsten der Volksrechte zu entscheiden. Der Entscheid des Parlaments werde,
wie immer er auch ausfalle, die zukünftige Praxis beeinflussen.
Mit 100 gegen 77 Stimmen erklärte auch der Nationalrat
die Volksinitiative für ungültig. Dem Rat wurde zu Beginn der Debatte mitgeteilt, dass
eine Resolution des Grossen Rates des Kantons Genf eingegegangen sei, in welcher verlangt
wurde, die Initiative für gültig zu erklären. Auf eine materielle Behandlung wurde
sowohl in der vorberatenden Kommission wie auch im Plenum weitgehend verzichtet. Namens
der Mehrheit der Kommission erklärte Steinegger (R, UR), eine Ungültigerklärung bedeute
keine Praxisänderung. Weil die vorliegende Volksinitiative gegen den entsprechenden
Verfassungsartikel verstosse, sei das Parlament verpflichtet, diese für ungültig zu
erklären, wohlwissend, dass damit der Demokratie und dem Verfassungsgedanken ein Dienst
erwiesen, jedoch die Situation der Landesverteidigung eher erschwert werde. Es gebe ein
Präjudiz, wo Ausgabenkürzungen mit einem Ausgabentransfer für die Sozialpolitik
verbunden wurden: die sogenannte Chevallier-Initiative aus dem Jahre 1955. Auch damals
habe der Bundesrat bezweifelt, ob die Einheit der Materie gewahrt sei. Allerdings wurde
die Ungültigkeitserklärung in diesem Fall wegen praktischer Undurchführbarkeit
beantragt. In der parlamentarischen Beratung sind dann die beiden Begründungen
zusammengeflossen; die Frage der Einheit der Materie habe zur Ungültigerklärung
beigetragen. Minderheitssprecher Rechsteiner (S, SG) betonte, das Parlament stehe mit
seinem Entscheid an einem Wendepunkt des Initiativrechts. Es drohe eine Bevormundung des
Volkes. Bei einer so einschneidenden Praxisänderung, welche die Substanz der Volksrechte
berühre, düfte man doch erwarten, dass zuerst die gesetzliche Regelung selber geändert
würde. Rechsteiner stellte erfolglos einen Rückweisungsantrag. Die vorberatenden
Kommissionen (Sicherheitspolitische und Staatspolitische Kommission) hätten sich zuwenig
eingehend mit der Materie beschäftigt, argumentierte er.
Die grosse Mehrheit der CVP- und der FDP-Fraktion, die
Fraktionen der SVP, der Liberalen und der Freiheitspartei stimmten für die
Ungültigerklärung, SP, Grüne, LdU/EVP und SD/Lega dagegen.
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