Rückblick auf die 44. Legislaturperiode

6. Landwirtschaft

92.070 Landwirtschaft. Volksinitiativen
Agriculture. Initiatives populaires

Botschaft : 19.08.1992 (BBl VI, 292 / FF VI, 284)

Ausgangslage

Die Volksinitiative "für eine umweltgerechte und leistungsfähige bäuerliche Landwirtschaft", vom Schweizerischen Bauernverband (SBV) lanciert und am 26. Februar 1990 eingereicht, verlangt in einem neuen Artikel 31octies die Verankerung des Leistungsauftrages für die Landwirtschaft in der Verfassung. Ferner werden mehrere agrarpolitische Massnahmen und der Einsatz entsprechender finanzieller Mittel gefordert.

Eine zweite Volksinitiative "Bauern und Konsumenten - für eine naturnahe Landwirtschaft" wurde am 6. Dezember 1991 eingereicht. Sie verlangt eine Änderung von Artikel 31bis Absatz 3 Buchstabe b der Bundesverfassung und strebt insbesondere eine bodenbewirtschaftende Landwirtschaft an, welche die Umwelt schont und die Gebote des Tierschutzes respektiert.

Für den Bundesrat sind die in den Initiativen genannten Landwirtschaftsaufgaben im allgemeinen mit jenen vergleichbar, die im 7. Landwirtschaftsbericht aufgeführt sind und die Notwendigkeit einer multifunktionalen Landwirtschaft hervorstreichen. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die von den Initianten geforderten Massnahmen nicht auf Verfassungs-, sondern auf Gesetzes- und Verordnungsstufe zu regeln sind. Ferner ist er der Meinung, dass die Forderungen in bezug auf den Einkommensausgleich und die Grenzschutzmassnahmen vor dem Hintergrund der derzeit laufenden internationalen Verhandlungen (GATT, Europäische Integration) nicht in Betracht gezogen werden können.

Zur ersten Initiative unterbreitet der Bundesrat einen direkten Gegenvorschlag. Dieser ist in die Form eines revidierten Artikels 31bis Absatz 3 Buchstabe b gekleidet und ermöglicht eine Ergänzung der Landwirtschaftsaufgaben, bei denen der Bund befugt ist, nötigenfalls in Abweichung von der Handels- und Gewerbefreiheit Vorschriften zu erlassen. Dieser Artikel ermöglicht es, in der Verfassung das Prinzip der "Multifunktionalität in der Landwirtschaft" zu verankern.

Verhandlungen

Volksinitiative I: "für eine umweltgerechte und leistungsfähige bäuerliche Landwirtschaft"

SR 15.06.1993 AB 1993, 478
NR 01.12.1993 AB 1993, 2123 (Rückweisung an die Kommission)
SR 07.12.1993 AB 1993, 930 (Verlängerung der Frist)
NR 14.12.1993 AB 1993, 2360 (Verlängerung der Frist)
NR 19.09.1994 AB 1994, 1279
SR 26.09.1994 AB 1994, 880
SR / NR 07.10.1994 Schlussabstimmungen (38:0 / 118:56)

Ständerat Zimmerli (V, BE) erinnert unter Verweis auf das Geschäftsverkehrgesetz daran, dass zwei Initiativen zum gleichen Gegenstand von den Räten getrennt zu behandeln seien. Der Ständerat beschliesst, die Behandlung der Initiative der Konsumenten und der Umweltschutzorganisationen auszusetzen und die Volksabstimmung über die Initiative des SBV abzuwarten.

Der Gegenvorschlag des Bundesrates wird von der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerates als ungenügend beurteilt. Sie arbeitet einen neuen Verfassungsartikel 31octies für die Landwirtschaft aus, der die Aufgaben des Bundes auf diesem Gebiet genauer umschreibt. Nebst den allgemeinen Grundsätzen - sichere Versorgung der Bevölkerung, nachhaltige Nutzung der natürlichen Lebensgrundlagen, Pflege der Kulturlandschaft, dezentrale Besiedlung des Landes - umschreibt der Artikel auch die verschiedenen Massnahmen (u.a. die Ausrichtung von Direktzahlungen), die der Bund zur Förderung der bäuerlichen Betriebe treffen kann. Der Ständerat stimmt diesem Artikel einhellig zu. Angesichts dieser breiten Zustimmung schliesst sich der Bundesrat der Kleinen Kammer an.

Im Dezember 1993 folgt der Nationalrat den Anträgen Tschuppert (R, LU), Frey Walter (V, ZH) und Leu (C, LU) und weist die Vorlage an die Kommission zurück, u.a. mit dem Auftrag, die Direktzahlungen finanziell abzusichern. Diese Rückweisung hat auch zum Zweck, vor der Verabschiedung eines neuen Verfassungsartikels die Schlussergebnisse der GATT-Verhandlungen abzuwarten.

Im September 1994 setzt der Nationalrat seine Verhandlungen fort. Eine Kommissionsminderheit Philippona spricht sich für die Version des Ständerates aus, d.h. für die Ausrichtung von Direktzahlungen zur Erzielung eines angemessenen Entgelts für die erbrachten Leistungen, mit besonderer Förderung umweltfreundlicher Anbaumethoden. Die Mehrheit der Kommission geht einen Schritt weiter und will die Leistungen an einen ökologischen Leistungsnachweis binden. Nach fünfstündiger Debatte wird dem Antrag der Kommissionsminderheit Philippona zugestimmt, der Direktzahlungen für die Leistungen der Landwirtschaft und ergänzende Beiträge zur Förderung besonders naturnaher Produktionsformen vorsieht. In bezug auf die Finanzierung der Direktzahlungen stimmt der Nationalrat einem Postulat zu, das den Bundesrat auffordert, die Unterstützungsmassnahmen Gatt-konform auszugestalten.

Der Ständerat schliesst sich der Grossen Kammer ohne Gegenstimme an.

Da der SBV seine Initiative zurückgezogen hat, wird am 12. März 1995 nur der Gegenvorschlag des Parlamentes dem Volk zur Abstimmung vorgelegt. Er wird knapp abgelehnt (siehe Anhang G).

Volksinitiative II: "Bauern und Konsumenten - für eine naturnahe Landwirtschaft"

SR 15.06.1993 AB 1993, 478
NR 19.09.1994 AB 1994, 1300
SR 22.06.1995 AB 1995, 780

Der Ständerat verzichtete entgegen der Empfehlung seiner Kommission und des Bundesrates auf eine Denkpause nach dem dreifachen Nein vom März 1995 (vgl. Geschäfte 92.070 Teil I, 93.039 und 92.416) und schlug mit 18 gegen 14 Stimmen einen Gegenentwurf zur Bauern- und Konsumenteninitiative vor. Nach Schüle (R, SH) sind im von der Kommissionsminderheit als Gegenvorschlag beantragten Artikel die Lehren aus dem 12. März gezogen worden. Dieser Gegenvorschlag zielt auf eine multifunktionale und marktorientierte Landwirtschaft ab, die zur Versorgung der Bevölkerung beiträgt, die Pflege der Landschaft sicherstellt und für eine Besiedelung des Landes sorgt. Ebenfalls erwähnt werden Direktzahlungen zugunsten von umweltfreundlichen Bauern.

Die Kommission des Nationalrates wird auf die nächste Legislatur ebenfalls einen Gegenentwurf vorlegen, der auf jenem des Ständerates basiert.

Legislaturrückblick 1991-1995 - © Parlamentsdienste Bern

 

Hauptinhaltverzeichnis
Inhaltverzeichnis des aktuellen Kapitels Index Inhaltverzeichnis des folgenen Kapitels
Rückkehr zum SeitenbeginnRückkehr zum Seitenbeginn

HomeHome