Rückblick auf die 44. Legislaturperiode |
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15. Kultur
91.019 |
Bundesverfassung.
Sprachenartikel |
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Constitution fédérale.
Article sur les langues |
Botschaft: 04.03.1991 (BBl II, 309 / FF II, 301)
Ausgangslage
Mit einer von beiden Kammern überwiesenen Motion forderten
die eidgenössischen Räte eine Revision des Sprachenartikels der BV (Art. 116). Ziele des
Vorstosses waren einerseits eine Stärkung der sprachlichen Minderheiten, insbesondere des
Rätoromanischen, anderseits eine Verbesserung der Verständigung und des Verständnisses
zwischen den verschiedenen Sprach- und Kulturgruppen in unserem Land. Um die
Viersprachigkeit unseres Landes auch in Zukunft erhalten zu können, braucht die Schweiz
eine neue Sprachpolitik. Diese wird zunächst von allen Bürgern und Bürgerinnen - als
Träger und Trägerinnen der Sprachen -, dann aber auch von den Kantonen und Gemeinden und
schliesslich vom Bund getragen werden müssen. Der vorgeschlagene neue Sprachenartikel
beauftragt Bund und Kantone, gemeinsam Massnahmen zugunsten der Erhaltung der
Viersprachigkeit, sowie der Verbesserung der zwischensprachlichen Verständigung zu
treffen.
Verhandlungen
SR |
08.10.1992 |
AB 1992, 1044 |
NR |
22.09.1993 |
AB 1993, 1541 |
SR |
15.06.1994 |
AB 1994, 695 |
NR |
01.02.1995 |
AB 1995, 212 |
SR |
14.03.1995 |
AB 1995, 289 |
SR |
19.06.1995 |
AB 1995, 666 |
NR |
26.09.1995 |
AB 1995, 2292 |
Der Ständerat, welcher den revidierten
Sprachenartikel als Erstrat behandelte, trug den Befürchtungen der Romands - vor allem
auf Druck von Cavadini (L, NE) - weitgehend Rechnung. Der Passus, der gemäss
bundesrätlichem Vorschlag die individuelle Sprachenfreiheit garantiert hätte, wurde,
entgegen einem Minderheitsantrag Onken (S, TG), ersatzlos gestrichen, das strikte
Territorialitätsprinzip für Amts- und Schulsprachen gestärkt. Die Kompetenz zur
Erhaltung und Förderung der Landessprachen wurde ganz den Kantonen übertragen und nicht
mehr gleichberechtigt dem Bund und den Kantonen, wie dies der Bundesrat vorgeschlagen
hatte. Der Bund soll hier lediglich subsidiär wirken sowie die Verständigung zwischen
den Sprachgemeinschaften unterstützen. Unbestritten war, das Romanische zur halbamtlichen
Sprache zu erheben.
Im Nationalrat brach die Kontroverse zwischen jenen,
welche die Sprachenfreiheit - und damit eine lebendige Weiterentwicklung der
Sprachensituation - in der Verfassung festschreiben wollen, und jenen, die ohne
verfassungsrechtliche Verankerung des Territorialitätsprinzips das sprachliche
Gleichgewicht unter den Landessprachen und damit den Sprachenfrieden gefährdet sehen,
erneut und recht heftig aus. Die grosse Kammer stimmte schließlich im Einverständnis mit
dem Bundesrat einer von einer Arbeitsgruppe der Kommission ausgearbeiteten
Kompromissvariante zu, welche weder die Sprachenfreiheit noch das Territorialitätsprinzip
erwähnt, dem Bund aber - entgegen der restriktiven Haltung des Ständerates - wieder die
Kompetenzen erteilt, zusammen mit den Kantonen die Verständigung zwischen den
Sprachgemeinschaften zu fördern und besondere Massnahmen zum Schutze bedrohter
Landessprachen zu treffen. Unbestritten war - wie schon im Ständerat -, dass das
Rätoromanische in den Rang einer Teilamtssprache erhoben werden soll.
Auch die Kommission des Ständerates legte für die
Differenzbereinigung einen Kompromiss vor, der beabsichtigte, das Territorialitätsprinzip
im Sprachenartikel und die Sprachenfreiheit in einem gesonderten Artikel der
Bundesverfassung zu verankern. Verschiedene Deutschschweizer Ratsmitglieder plädierten
für eine Beibehaltung des Sprachenartikels in seiner heutigen Form. Die Westschweizer
Ständeräte wehrten sich mit Erfolg gegen die ausdrückliche Verankerung der
Sprachenfreiheit in der Verfassung. Das Territorialitätsprinzip müsse aber als
fundamentales Prinzip festgelegt werden. Cavadini (L, NE) und Petitpierre (R, GE) setzten
sich mit ihrem Antrag durch, das Prinzip ohne die Sprachenfreiheit festzuschreiben.
Um Konflikte unter den Sprachgruppen zu vermeiden, hielt
der Nationalrat am abgespeckten Sprachenartikel fest, für den er sich 1993
entschieden hatte: Weder die Sprachenfreiheit noch das Territorialitätsprinzip, das jeder
Sprache ein Gebiet zuweist, werden ausdrücklich in der Verfassung verankert. Die beiden
umstrittenen Punkte, die der Bundesrat in seinem Entwurf für den revidierten
Sprachenartikel festgeschrieben hatte, sind die Ursache des Pingpongspiels zwischen
National- und Ständerat. Im Sinn der 1985 eingereichten Motion Bundi wird die Aufwertung
und der Schutz der bedrohten Rätoromanischen Sprache verankert. Der Nationalrat blieb in
zwei weiteren Punkten seiner Haltung treu: Der Bund wird in die Pflicht genommen, wenn es
um den Schutz bedrohter Sprachen geht, und er soll, zusammen mit den Kantonen, das
Verständnis zwischen den Sprachgemeinschaften fördern. Eine Kommissionsminderheit wollte
die Revision des Sprachenartikels bis zur Totalrevision der Bundesverfassung aufschieben.
Sie fand einzig bei den Grünen, einem Teil der SVP sowie der Freiheitspartei Gehör. Die
Mehrheit des Rates war der Meinung, eine Verschiebung komme einer Kapitulation gleich.
Bundesrätin Dreifuss erklärte, der Kommissionsvorschlag sei ein enormer Fortschritt
gegenüber dem bestehenden Artikel: Er biete die Basis für künftige Schutzmassnahmen und
löse, dank seiner Ausgewogenheit, keinen Sprachenkrieg aus. Mit 127 zu 21 Stimmen wurde
der Verschiebungsantrag abgelehnt. Ein Antrag Maspoli (D, TI) wollte die Version des
Ständerates übernehmen, die das Territorialitätsprinzip in der Verfassung festschreibt,
nicht aber die Sprachenfreiheit. Mit 115 zu 15 Stimmen lehnte der Nationalrat diesen
Antrag ab.
In einer weiteren Differenzbereinigung im Ständerat wollte
eine Mehrheit der Kommission den Sprachenartikel streichen und allenfalls erst im Rahmen
der Totalrevision der Bundesverfassung wieder behandeln. Onken (S, TG) beharrte jedoch
darauf, dass in der Kommission nochmals nach einer Lösung gesucht werden müsse.
Ansonsten mache sich der Ständerat mitschuldig, ein Wesenmerkmal der Schweiz, die
Vielsprachigkeit, herabzuwürdigen. Ein Kompromissvorschlag von Iten (R, ZG) sah vor, dass
der Bund nicht mehr allgemein dafür sorgen müsse, dass "bedrohte Sprachen"
geschützt werden sollen. Der Schutz soll explizit nur noch für das Rätoromanische
gelten. Der Rat stimmte auf Grund dieses Vorschlages der Rückweisung an die Kommission
zu.
In der Sommersession folgte der Ständerat dem
Antrag der Kommission, weitgehend die Version des Nationalrates zu übernehmen. Deutsch,
Französisch, Italienisch und Rätoromanisch werden als die Landessprachen bezeichnet. Neu
ist der Absatz, nach dem Bund und Kantone die Förderung und den Austausch unter den
Sprachgemeinschaften fördern. Leicht abweichend von der Version des Nationalrates
verlangt der Ständerat, dass der Bund weiterhin Massnahmen der Kantone Graubünden und
Tessin zur Erhaltung und Förderung der rätoromanischen und der italienischen Sprache
unterstützt. Der Ständerat verzichtete wie der Nationalrat das Territorialitätsprinzip
in der Verfassung festzuschreiben.
Stillschweigend nahm der Nationalrat in der
Herbstsession die Differenzbereinigung vor. Die Volksabstimmung findet im Frühling 1996
statt.
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