Rückblick auf die 44. Legislaturperiode |
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1. Staatspolitik und Rechtsordnung
94.061 |
Asylpolitik. Volksinitiativen
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Politique d'asile. Initiatives
populaires |
Botschaft: 22.06.1994 (BBl III, 1486 / FF III, 1471)
Ausgangslage
Die von der Schweizer Demokraten (SD) lancierte
Volksinitiative "für eine vernünftige Asylpolitik" will den
Flüchtlingsbegriff in Abweichung zum geltenden Völkerrecht und zum Asylgesetz
einschränken und die Asylgewährung zu einem freiwilligen staatlichen Akt erklären. Das
Hauptanliegen der Initianten bildet jedoch die Bekämpfung der illegalen Einwanderung:
Illegal eingereiste Asylbewerber sollen umgehend ausgeschafft werden, ohne dass vorgängig
geprüft wird, ob sie dadurch einer Verfolgung oder Folter ausgesetzt werden. Jedes
Asylverfahren soll künftig innert sechs Monaten rechtskräftig abgeschlossen und die
Zuständigkeit für den Vollzug von Wegweisungen dem Bund übertragen werden. Die
Gemeinden sollen nicht mehr zur Aufnahme von Asylsuchenden verpflichtet werden können.
Weil die Bestimmungen über die Einschränkung des Flüchtlingsbegriffs und die umgehende
Ausschaffung illegal eingereister Asylbewerber nicht mit den von der Schweiz ratifizierten
völkerrechtlichen Verträgen vereinbar sind, sollen diese laut Initiative umgehend
gekündigt werden und für die Schweiz ein Jahr nach der Annahme der Initiative ihre
Verbindlichkeit verlieren. Als Ausgleichsmassnahme zur restriktiven Regelung des
Asylverfahrens sieht die Initiative vor, dass die Schweiz bedrohten Menschen in
Zusammenarbeit mit andern Staaten in ihren Heimatregionen Hilfe leistet und Bestrebungen
unterstützt, die auf die Schaffung verfolgungsfreier Zonen in den Herkunftsstaaten der
Asylbewerber abzielen.
Die von der Schweizerischen Volkspartei (SVP) eingereichte
Volksinitiative "gegen die illegale Einwanderung" will den im Asylgesetz
enthaltenen Flüchtlingsbegriff in unveränderter Form in der Verfassung verankern, sieht
aber verschiedene Massnahmen zur Verhinderung illegaler Einreisen und den Missbrauchs des
Asylrechts vor. Die Ziele sollen erreicht werden, indem Asylbewerbern während der Dauer
des Asylverfahrens kein Recht auf Einreise gewährt wird und auf Gesuche illegal
Eingereister nicht eingetreten wird. Nichteintretensentscheide und negative Asylentscheide
sollen eine Ausweisung aus der Schweiz zur Folge haben. Weiter sieht die Initiative eine
Einschränkung der Beschwerdemöglichkeit gegen erstinstanzliche Asylentscheide vor. Die
Frage, ob dem Vollzug der Wegweisung eines Asylsuchenden das Non-refoulement-Prinzip,
d. h. die Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung oder der Folter entgegensteht, soll
im Rahmen des Rechtsmittelverfahrens umfassend geprüft werden. Die Einhaltung dieses
Rückschiebeverbotes wird bei allen genannten Massnahmen vorbehalten, womit der
Initiativtext ausdrücklich die Einhaltung der völkerrechtlichen Verpflichtungen unseres
Landes vorsieht. Weitere Bestimmungen der Volksinitiative "gegen die illegale
Einwanderung" halten fest, dass Asylbewerber keinen Anspruch auf freie Niederlassung
in der Schweiz und grundsätzlich auch kein Recht auf Ausübung einer Erwerbstätigkeit
haben. Soweit ihnen diese gestattet wird, soll das erzielte Einkommen vom Bund verwaltet
und zur Deckung der Lebenskosten des Asylbewerbers verwendet werden. Ein allfälliger
Überschuss würde erst bei einer Asylgewährung oder beim Verlassen der Schweiz
ausbezahlt.
Die beiden Initiativen sind sich in ihren Zielsetzungen
sehr ähnlich und werden deshalb im Rahmen einer Botschaft behandelt. Die Volksbegehren
sind vor dem Hintergrund der Lageentwicklung im Asylbereich zu sehen. Sie wurden zu
Zeitpunkten lanciert, in welchen in der Schweiz Höchstzahlen von neuen Asylgesuchen zu
verzeichnen waren. Inzwischen hat sich die Situation auf deutlich tieferem Niveau
stabilisiert. Mit dem dringlichen Bundesbeschluss vom 22. Juni 1990 über das
Asylverfahren (AVB) schuf der Gesetzgeber die Voraussetzungen für eine drastische
Beschleunigung der Asylverfahren. Zusammen mit Massnahmen, die im Hinblick auf eine
Reduktion des Fürsorgestandards für Asylbewerber und eine Verminderung der
Attraktivität des Asylverfahrens für Arbeitssuchende getroffen wurden, hatten die neue
Gesetzgebung und eine Personalaufstockung im Asylbereich einen deutlichen Rückgang der
Zahl neu eingereichter Asylgesuche zur Folge. Zudem verabschiedete das Parlament in der
Frühjahrssession 1994 mit dem Bundesgesetz über Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht ein
wirksames Instrument zur Sicherstellung des Vollzugs asyl- und ausländerrechtlicher
Wegweisungen und gegen Missbräuche im Asylverfahren.
Mit einer Annahme des Volksbegehrens "für eine
vernünftige Asylpolitik" würden die Kerngehalte der bedeutendsten multilateralen
Verträge auf den Gebieten des Flüchtlingsrechts und der Menschenrechte verletzt, indem
illegal eingereiste Gesuchsteller umgehend und ohne Beschwerdemöglichkeit aus der Schweiz
weggewiesen würden, ohne dass in den betreffenden Fällen Non-refoulement-Prüfungen
stattfinden könnten. Durch eine Kündigung der Genfer Flüchtlingskonvention, der
Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und der Uno-Folterkonvention könnte zwar
ein formeller Widerspruch zu diesen völkerrechtlichen Verträgen verhindert werden, nicht
aber die Verletzung von zwingendem Völkerrecht und die damit verbundene Gefährdung
elementarster Grundrechte wie das Recht auf Leben. Der Bundesrat teilt die Überzeugung
der Staatengemeinschaft und der neueren Lehre, dass solche Normen in einem Rechtsstaat als
materielle Schranken der Verfassungsrevision angesehen werden müssen. Er ist deshalb der
Auffassung, dass die Initiative "für ein vernünftige Asylpolitik" ungültig zu
erklären sei.
Im Gegensatz dazu ist die Volksinitiative "gegen die
illegale Einwanderung" zwar völkerrechtskonfom auslegbar, verfehlt aber ihre Ziele.
Zudem führt die Auslegung der einzelnen Initiativbestimmungen zu einander
widersprechenden Ergebnissen. Der explizite Vorbehalt des Non-refoulement-Gebots ist
einerseits dafür verantwortlich, dass eine völkerrechtskonforme Auslegung möglich ist,
dass die Absichten der Initianten aber andererseits nicht zum Tragen kommen und gegenüber
dem geltenden Recht letztlich kaum eine Verfahrensbeschleunigung oder eine
Schlechterstellung illegal Eingereister erzielt würde. Die vorgesehene Zwangsverwaltung
des Erwerbseinkommens von Asylbewerbern durch den Bund liesse sich nur so verwirklichen,
dass die Arbeitsaufnahme entweder unattraktiv würde - was entsprechende Auswirkungen auf
die vom Bund zu tragenden Fürsorgekosten hätte - oder sich gegenüber dem heutigen
Lohnabzug von 7 Prozent keine substantiellen Veränderungen ergeben würden. Die
übrigen Forderungen der Initiative entsprechen dem heute auf Gesetzesstufe verankerten
Recht. Gesamthaft ist die Initiative aus inhaltlichen Gründen abzulehnen.
Der Bundesrat beantragt, die Volksinitiative "für
eine vernünftige Asylpolitik" sei ungültig zu erklären und die Volksinitiative
"gegen die illegale Einwanderung" sei Volk und Ständen ohne Gegenvorschlag mit
Antrag auf Verwerfung zu unterbreiten.
Verhandlungen
SR |
16.03.1995 |
AB 1995, 334 |
Die Vorlage führte im Ständerat zu einer
dreistündigen, grundsätzlichen Debatte, in welcher die Frage der materiellen Schranken
der Verfassungsrevision im Zentrum stand. Im Falle der Volksinitiative "für eine
vernünftige Asylpolitik" stellte eine aus Schmid Carlo (C, AI) bestehende Minderheit
den Antrag, die Initiative Volk und Ständen vorzulegen. Schmid begründete seinen Antrag
mit seinem Respekt vor der Demokratie. Auch wenn er die Initiative in ihrem materiellen
Gehalt für unannehmbar halte, müssten Volk und Stände das letzte Wort haben; es dürfe
keine ungeschriebenen materiellen Schranken der Verfassungsrevision geben. Eine
Ungültigkeitserklärung könnte nur aufgrund formeller, in der Verfassung verankerter
Schranken wie beispielsweise dem Gebot der Einheit der Materie, erfolgen. Der Ständerat
folgte jedoch den Argumenten, die für eine Respektierung der Normen des zwingenden
Völkerrechts sprachen, und lehnte den Antrag Schmid mit 32 zu 2 Stimmen ab.
Bei der von der Schweizerischen Volkspartei eingereichten
Volksinitiative, die sich völkerrechtskonform auslegen und vollziehen lässt, folgte der
Rat den Anträgen des Bundesrates. Ein Antrag Uhlmann (V, TG), Volk und Ständen die
Annahme zu empfehlen, wurde mit 28 zu 6 Stimmen abgelehnt.
Nur wenige Tage darauf hatte sich der Ständerat erneut mit
der Frage der Gültigkeit einer Volksinitiative zu befassen (vgl. Geschäft 94.062,
Volksinitiative "Für weniger Militärausgaben und mehr Friedenspolitik",
Kapitel Sicherheitspolitik).
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