Andreas Wortmann ist diplomierter Informatikingenieur ETH und leitet seit 2012 den Bereich Infrastruktur der Parlamentsdienste (PD), zu welchem die Informatik, die Sicherheit und die Logistik gehören. Er begann seine berufliche Laufbahn in der Privatwirtschaft, bevor er Leiter Zentrale Dienste der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht FINMA wurde. Er war es, der für die ausserordentliche Session im Mai 2020 den Umzug der Ratsmitglieder in die Bernexpo geleitet hat.
In der ausserordentlichen Session in der Bernexpo im Mai wurde auf Papier verzichtet, um das Risiko einer Ansteckung mit dem Coronavirus zu verringern. War dies ein grosser Schritt in Richtung Digitalisierung des Parlamentsbetriebs?
Wenn man von Digitalisierung spricht, denkt man normalerweise immer zuerst an die Dematerialisierung der Dokumente. Doch der Verzicht auf Papier reicht nicht aus. Das zeigen unsere Erfahrungen in der Bernexpo. Die Online-Informationen müssen strukturiert und zentralisiert werden, damit die Ratsmitglieder – auch wenn die Informationen aus verschiedenen Quellen und Datenbanken stammen – zum richtigen Zeitpunkt das finden, was sie suchen.
Derzeit haben wir mehrere Kanäle: die Website des Schweizer Parlaments «Parlament.ch», die für die breite Öffentlichkeit zugänglich ist, das Extranet, in dem die Sitzungsunterlagen der Parlamentsorgane zu finden sind, das Intranet, welches die Informationen für die Mitarbeitenden der PD enthält, und die Datenbank «Dokumentenverwaltung», in der die Arbeitsdokumente der Mitarbeitenden der PD abgespeichert sind. Wir möchten, dass die Nutzenden auf sämtliche Informationen in diesen Datenbanken über eine einzige Plattform zugreifen können. Diese Plattform heisst Parlnet und steht seit Anfang Januar zur Verfügung. Sie wird voraussichtlich bis Ende Jahr fertiggestellt sein.
Das Motto in Corona-Zeiten: «Von überall aus arbeiten können.» Das Bild zeigt den Nationalrat, der in der ausserordentlichen Session im Mai 2020 in der Bernexpo tagte.
Dank Parlnet werden die Informationen also zentralisiert. Gibt es Projekte zur besseren Strukturierung dieser Informationen?
Curia Vista, die Geschäftsdatenbank des Parlaments, wird im Rahmen des Projekts Curiaplus verbessert. Derzeit muss man die Abstimmungsergebnisse der Räte in den Protokollen des Amtlichen Bulletins, die Argumente der Mehr- und Minderheiten der Sachbereichskommissionen in den Medienmitteilungen und die von den Räten vorgenommenen Änderungen in den Fahnen suchen. Die Informationen zu den Parlamentsgeschäften sind auf mehrere Quellen verteilt. Und zur Einreichung eines Vorstosses beispielsweise bitten die Ratsmitglieder ihre Kolleginnen und Kollegen, ein Papierformular zu unterzeichnen, welches sie dann scannen müssen, um daraus ein PDF-Dokument zu machen.
Mit Curiaplus werden die Ratsmitglieder ihre Anträge direkt online bearbeiten können. Die Geschäfte werden dort von der Einreichung über die Beratung in den Kommissionen bis hin zur Annahme bzw. Ablehnung durch die Räte zugänglich sein. Man wird sie in der Fassung der jeweiligen Phase der Beratungen anzeigen können. Das System erkennt, welche Etappe die Nutzerin bzw. den Nutzer interessiert, und stellt ihr bzw. ihm das Geschäft in der Fassung der entsprechenden Phase der Ratsdebatten bereit.
In der Frühjahrssession 2018 erhielten die Mitglieder des Ständerates anstelle von Papierunterlagen ein iPad. Welche Schlüsse haben Sie aus diesem Pilotprojekt gezogen?
Als der Ständerat versuchsweise mit dem papierlosen Betrieb startete, empfanden dies nicht wenige Ständeratsmitglieder als regelrechten Paradigmenwechsel. Einige lassen sich die Geschäfte, die in der Session behandelt werden, auch weiterhin zusammen mit der ganzen Dokumentation im PDF-Format zuschicken. Sie befürchten, nicht immer Internetzugang zu haben, und wollen offline arbeiten. Andere wiederum haben das Potenzial des Online-Arbeitens von Anfang an erkannt und beispielsweise verlangt, dass das aktualisierte Sessionsprogramm in ihren Outlook-Kalender integriert wird. Diese Erfahrung hat gezeigt, dass die Informationen strukturiert sein müssen, damit die Ratsmitglieder in der Digitalisierung einen Nutzen erkennen.
Weitere Informationen zum Pilotprojekt im Ständerat finden Sie hier:
Schritt für Schritt zum papierlosen Parlament
Diese digitale Revolution hat aber vermutlich ihren Preis?
Für den Zeitraum 2020–2022 belaufen sich die Kosten für die Dienstleistungen der externen Mitarbeitenden für die Entwicklung und das Projektmanagement, für das Material und für die Softwarelizenzen auf 5,8 Millionen Franken. Die Betriebskosten liegen bei 6,2 Millionen Franken. Eine Million ist für die Ausstattung der Ratsmitglieder und Fraktionen vorgesehen. Die Digitalisierung hat im Übrigen noch weitere Nachteile: Die vollständige Ausrüstung (Stromkabel, Maus usw.) ist sperrig und die Akkus der Laptops haben ohne Anschluss an die Stromversorgung nur eine kurze Laufzeit.
Mit der Digitalisierung werden sich einige Tätigkeiten in den Parlamentsdiensten zwingend ändern. Wie sehen Sie das?
Die Digitalisierung hat oft zur Folge, dass die Kundin bzw. der Kunde die ganze Arbeit macht. Die Ratsmitglieder stärker zu belasten, um die Parlamentsdienste zu entlasten, ist für uns einer der Fallstricke der Digitalisierung. Unser Ziel ist ganz im Gegenteil, die Ratsmitglieder möglichst zu entlasten, damit sie sich auf ihre Arbeit konzentrieren können. Es ist durchaus vorstellbar, dass die Weibelinnen und Weibel künftig für die Ratsmitglieder Recherchen durchführen oder Formulare ausfüllen, wenn einige ihrer jetzigen Aufgaben wie die Verteilung der Unterlagen in den Kommissionszimmern und Ratssälen oder das Drucken der Unterlagen für die Ratsmitglieder wegfallen. Denkbar wäre auch, einen Schalter einzurichten, an dem die Ratsmitglieder ihre Fragen stellen können.
Unsere Reprozentrale, die aktuell die Unterlagen für die Ratsmitglieder druckt, hätte vielleicht weniger Kopiergeräte, könnte dafür aber ihr Dienstleistungsangebot ausbauen.
Andreas Wortmann (links) vor den Medienschaffenden in der Bernexpo