Verfassungsgerichtsbarkeit
Die Kommission für Rechtsfragen des Ständerates spricht sich mit knapper Mehrheit  für die Ausdehnung der Verfassungsgerichtsbarkeit auf Bundesgesetze aus. Sie beschliesst mit Stichentscheid der Präsidentin, dem Nationalrat zu folgen und die Aufhebung von Artikel 190 der Bundesverfassung gutzuheissen.

​Die im Dezember 2011 vom Nationalrat angenommene Verfassungsänderung war in der Kommission sehr umstritten. Mit 7 zu 6 Stimmen ist die Kommission auf die Vorlage eingetreten. In der Detailberatung sprach sie sich mit 6 zu 6 Stimmen bei 1 Enthaltung und Stichentscheid der Präsidentin für die Aufhebung von Artikel 190 BV aus. Eine Kommissionsminderheit beantragt, nicht auf die Vorlage einzutreten und am geltenden Recht festzuhalten. Nach Meinung der Befürworter der Vorlage lässt sich namentlich kaum rechtfertigen, dass die in der Europäischen Menschenrechtskonvention vorgesehenen Grundrechte die Anwendung von Bundesgesetzen in Einzelfällen untersagen können, die Grundrechte der Verfassung jedoch nicht. Mit der Einführung der Überprüfung der Verfassungsmässigkeit von Gesetzen werde der Rechtsstaat gestärkt. Die Mehrheit betont, dass das Gericht lediglich die Kompetenz hätte, die Verfassungsmässigkeit eines Gesetzes zu überprüfen und dieses bei Verfassungswidrigkeit im konkreten Fall nicht anzuwenden, der Gesetzgeber aber für die Änderung oder die Aufhebung eines Gesetzes zuständig bliebe. Zudem sei das Bundesgericht bei der Kontrolle der Verfassungsmässigkeit von kantonalen Erlassen und Bundesverordnungen äusserst zurückhaltend. In den Augen der Minderheit sollten die Gesetze nicht bloss nach rechtlichen Aspekten, sondern auch unter dem Gesichtspunkt der Demokratie und des politischen Willens überprüft werden. Sie befürchtet, dass zahlreiche Gesetze nicht mehr angewendet werden könnten, wenn sie zum Beispiel auf den Grundsatz der Gleichbehandlung hin geprüft würden.
Die Vorlage wurde von der nationalrätlichen Schwesterkommission im Rahmen zweier parlamentarischer Initiativen (05.445; 07.476) ausgearbeitet.

Direkter Gegenentwurf zur Volksinitiative „gegen die Abzockerei"

Die Kommission beantragt dem Ständerat mit 9 zu 4 Stimmen, dem vom Nationalrat in der Frühjahrssession 2012 beschlossenen direkten Gegenentwurf zuzustimmen (08.080). Eine Minderheit beantragt, diesen abzulehnen. Der direkte Gegenentwurf sieht vor, dass Gesellschaften jenen Anteil sämtlicher Vergütungen an eine Person, welcher 3 Millionen Franken pro Geschäftsjahr übersteigt, nicht mehr zum geschäftsmässig begründeten Aufwand zählen können und folglich entsprechend versteuern müssen. Was die Volksinitiative selbst betrifft, spricht sich die Kommission mit 9 zu 1 Stimme bei 2 Enthaltungen weiterhin für deren Ablehnung aus. Eine Minderheit beantragt die Empfehlung auf Annahme der Volksinitiative.

Unverjährbarkeit sexueller Straftaten an Kindern

Die Kommission hat die Vorlage einstimmig angenommen, mit der die Volksinitiative über die Unverjährbarkeit (11.039) umgesetzt werden soll. Sie folgte in allen Punkten den Beschlüssen des Nationalrates.

Wirtschaftsspionage

Die Kommission kommt nach erneuter Prüfung zum Schluss, dass in Bezug auf die Wirtschaftsspionage keine Gesetzeslücke besteht. Deshalb spricht sie sich gegen eine neue Strafbestimmung aus, wonach Personen, die ihnen zugängliche Daten zu Bereicherungszwecken unrechtmässig verwenden, zu bestrafen sind. Mit 8 zu 2 Stimmen bei 2 Enthaltungen beantragt sie ihrem Rat, die Initiative 10.456 abzuschreiben; der gleichlautenden Initiative 10.451 hat sie keine Folge gegeben.

Privatbestechung

Mit 7 zu 5 Stimmen folgte die Kommission dem Beschluss ihrer Schwesterkommission, der Initiative 10.516 «FIFA. Bestechung von Privatpersonen als Offizialdelikt» Folge zu geben. Sie pflichtet der entsprechenden Empfehlung der Staatengruppe des Europarates gegen die Korruption (GRECO) bei. Dennoch ersucht sie ihre Schwesterkommission, detailliert und umsichtig zu prüfen, welche Auswirkungen die geplante Änderung auf das Bestechungsrecht der Schweiz hätte; dabei soll namentlich der Kreis der betroffenen Organisationen sorgfältig festgelegt werden.

Eindämmung von Gewalt und Drohung gegen die Polizeibehörden

Die Kommission sistiert die Vorprüfung der Initiative 11.312 des Kantons Waadt, welche verlangt, dass die Bundesversammlung die Rechtsetzung so ändert, dass Gewalt gegen Beamte und Behörden strenger bestraft werden kann. Sie ist der Auffassung, dass die Ergebnisse der laufenden Arbeiten des Bundesrates zur Revision des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches und zur Harmonisierung der Strafrahmen abgewartet werden sollen.

Schwere Körperverletzung

Mit 6 zu 2 Stimmen bei 1 Enthaltung sprach sich die Kommission gegen den Beschluss der nationalrätlichen Schwesterkommission aus, der parlamentarischen Initiative 10.520 Folge zu geben. In ihren Augen sollte in dieser Sache eher eine Kommissionsmotion eingereicht werden.

Pokerturniere

Die Kommission nimmt die Motion 12.3001 grundsätzlich an, beantragt ihrem Rat allerdings, den Wortlaut insofern leicht abzuändern, als explizit festgehalten werden soll, dass bei Pokerturnieren sämtliche für die anderen Glücksspiele geltenden Regelungen einzuhalten sind. Vor allem seien die Spielerinnen und Spieler angemessen vor der beim Poker besonders verbreiteten Spielsucht zu schützen.

Die Kommission hat am 16. und 17. April 2012 unter dem Vorsitz von Ständerätin Anne Seydoux-Christe (CVP, JU) in Bern getagt.

Bern, 17. April 2012 Parlamentsdienste