Es gilt das gesprochene Wort
Sehr geehrte Ständerätinnen und Ständeräte
Sehr geschätzte Kolleginnen und Kollegen
Sehr verehrte Damen und Herren
Sie haben mich soeben zu ihrem Präsidenten unserer Kammer gewählt. Ich danke Ihnen herzlich für die ehrenvolle Wahl. Sie ist der Höhepunkt meiner politischen Laufbahn, und ich werte sie als Anerkennung für meine bisherige Arbeit als Parlamentarier und langjährigen Ratskollegen, aber auch als Ausdruck der Ehre gegenüber meiner Familie, dem eidgenössischen Stand Schwyz, meiner Wohngemeinde Freienbach und der Partei. Ihr Vertrauen, geschätzte Kolleginnen und Kollegen, betrachte ich als sehr grosse Verpflichtung, unseren Rat unaufgeregt, aber mit Umsicht und Effizienz sowie über die Partei-, Sprach- regionalen und ideologischen Grenzen hinweg sachlich und ausgewogen zu führen. Bitte behaften Sie mich darauf, sollte ich von diesem Weg abkommen.
Zeiten wie die heutige machen es uns nicht leicht, staatspolitische Verantwortung zu tragen. Der unsichtbare Störenfried hat unser wohl geordnetes Leben und unsere geliebten Gewohnheiten ganz ordentlich auf den Kopf und den Prüfstand gestellt. Wir bekunden Mühe, uns in einer Welt zurecht zu finden, in der wir nicht die erste Geige spielen. Das ist menschlich. Wir sollten davon ausgehen, dass die Welt in absehbarer Zukunft nicht mehr so sein wird wie vor dem März 2020. Jedenfalls ist damit zu rechnen, dass uns das Wirken des Virus oder zumindest dessen Nachwehen noch mindestens während der nächsten zwölf Monate begleiten wird Wirtschafts- und finanzpolitisch werden wir auf allen Staatsebenen noch länger damit zu tun haben und gefordert werden.
So wage ich es den auch aus aktuellen Geschehen einige Folgerungen für den Politbetrieb in diesem Haus und insbesondere für unsere Kammer zu ziehen. Ich möchte dazu drei Themen ansprechen, im Wissen, dass die kurze Zeit nicht für eine vertiefte Reflexion reichen wird.
Lassen Sie mich –
als ersten Punkt – die Frage stellen, wie weit der Föderalismus ein taugliches Instrument darstellt, um Krisen zu bewältigen. Sie kennen mich: Ich bin ein überzeugter Anhänger des Föderalismus und ordnungspolitischer Grundsätze. Staatliche Aufgaben sollten so nahe wie möglich bei den Bürgerinnen und Bürgern erbracht werden. Das
Prinzip der Subsidiarität macht vor allem dann Sinn, wenn Aufgaben von übergeordneter Bedeutung sind und sie in einem grösseren Verbund besser erbracht werden können.
Es mag sein, dass es bei der ordnungspolitischen Rückkehr der Pandemie in die besondere Lage sinnvoll war, regionale Besonderheiten und den Geist unseres Föderalismus zu berücksichtigen. Im Lichte der explosionsartigen Verschlechterung der Lage im Herbst und der damit verbundenen Fallzahlen – bei den Ansteckungen, den Spital-Einweisungen und den Belegungen auf den Intensivstationen muss man allerdings hinter den föderalen Ansatz ein Fragezeichen setzen. Krisen folgen ihren eigenen Gesetzen, und so verhält es sich auch mit den Antworten. Krisenmanagement braucht
nüchterne Analysen der Experten und rasches, aber entschiedenes Handeln durch die politischen Verantwortlichen. Basisdemokratisch-partizipative Prozesse, wie wir sie aus dem politischen
Courant normal mit Vernehmlassungen oder konsultativen Anfragen kennen, haben ihre Stärken. In der Bekämpfung von Seuchen stehen sie allerdings nicht im Vordergrund. Es mag sein, dass man nicht bereit ist, auf das bewährte föderalistische Vorgehen zu verzichten, und es mag auch sein, dass wir als Gesellschaft wenig davon angetan sind, unsere lieb gewordenen Freiheiten, teilweise unter Anwendung von Notrecht, massiv einzuschränken. Diesen ur-helvetischen Reflex kennen wir, insbesondere im Kanton Schwyz, bestens. Er hat uns schon vor manchen Torheiten bewahrt. Wir können diesen Weg wählen, ohne Zweifel. Es macht dann aber wenig Sinn zu versuchen, bewährte Rezepte des Krisenmanagements zurecht zu biegen und davon Wunder zu erwarten. Helfen würde in solchen Zeiten, wenn die verantwortlichen Organe und Expertengremien mit einer Stimme sprechen würden.
Was wir mit dem seit einigen Wochen eingeschlagenen Weg erreicht haben, können Sie selbst beurteilen. Eine Art Kakofonie, hervorgerufen durch die föderale Vielfalt, ist kaum von der Hand zu weisen. Sie hat die Glaubwürdigkeit der Massnahmen angekratzt und die Wirksamkeit in Frage gestellt. Mit dem Ergebnis, dass die Menschen sich in diesem Dschungel oft nicht mehr zurechtfanden und finden.
Andere, wirkungsvolle Strategien sind im Übrigen seit längerer Zeit bekannt, etwa aus dem asiatischen Raum. Es fragt sich allerding, ob wir als urdemokratisches Land von ihnen überhaupt lernen wollen. Auch hier setze ich ein Fragezeichen. Zu oft hört man den Einwand, dass das, was sie tun, in unserer freiheitlichen Gesellschaft nicht möglich sei. Wie auch immer: am Ende des Tages läuft es darauf hinaus, dass man nicht auf zwei Hochzeiten tanzen kann: auf derjenigen der Freiheit und derjenigen der Pandemiebekämpfung. Früher oder später verhallen die permanenten Solidaritätsbekundungen und die Aufrufe der Wahrnehmung der eingeforderten Eigenverantwortung durch die Behörden im Leeren.
Die letzten Monate haben gezeigt, dass die Politik ein langfristiges Verständnis aufbauen sollte, wie man in der Schweiz mit Pandemien umgehen soll. Hier sind vorab die eidgenössischen Räte gefordert. Denn nach der Pandemie ist vor der Pandemie. Zudem muss sich das Parlament in diesem Zusammenhang vertieft mit den Folgen von Epidemien für die Ökonomie, die Gesundheit und die Gesellschaft auseinandersetzen und daraus rechtzeitig intelligente Schlüsse ziehen sowie wirksame Vorbereitungen treffen. Das gilt auch für andere unser Land bedrohende Ereignisse.
Zum
zweiten Aspekt: Die aktuelle Krise bietet uns Anschauungsunterricht in Sachen Wahrnehmung dieser eingeforderten Eigenverantwortung und dem Respekt gegenüber dem Allgemeinwohl. Wir Schweizerinnen und Schweizer sind mit Recht stolz auf unsere liberal-freiheitliche Gesellschaftsordnung und auf den sprichwörtlichen Pragmatismus. Diese Tugenden haben uns im Lauf der Jahrhunderte zu einer starken und kraftvollen Nation gemacht. Eine Nation die Krisen bewältigte und auch diese Krise bewältigen wird. Der Wille, Krisen, Unglücke und Katastrophen zu bewältigen, hat die Menschen in unserem Land immer wieder zusammengeschweisst und zur Willensnation geformt.
Nun wissen wir alle – in der Theorie zumindest –, dass, wer Freiheit will, auch Verantwortung tragen muss. Sie gibt es leider nur im Doppelpack! Wirklich stark und selbstbewusst sind wir vor allem darin, auf unseren individuellen Freiheiten zu pochen und sie ins Zentrum unseres Handelns zu stellen. Schon schwieriger wird es, wenn es darum geht, Verantwortung für das Allgemeinwohl zu übernehmen. Es scheint fast so, als hätten wir diese Fähigkeit in den Jahrzehnten des materiellen Überflusses und des Wohlstands verlernt. Diesen Individualismus erleben wir in diesen Tagen öfters, und wir zahlen dafür einen recht hohen Preis. dieses persönlich angestrebten Wohlergehens.
Warum erwähne ich dies? National- und Ständerat produzieren durchs Jahr hindurch viele Gesetze. Wir leisten damit selbst einen Beitrag, dass unser Zusammenleben immer mehr durch Vorschriften definiert wird.
Möglicherweise schaffen wir da und dort sogar mehr Sicherheit und Klarheit. Allzu oft vergessen wir indessen die Kehrseite der Medaille, nämlich die schleichende Bevormundung der Bürgerinnen und Bürger durch den Staat. Wir nehmen ihnen also – oft in guter Absicht – die Eigenverantwortung ab und sorgen damit gleichzeitig dafür, dass die Menschen nicht mehr oder immer weniger damit klarkommen. Und weil die Eltern es verlernen, können sie diese Tugend nicht an die Kinder weitergeben. So dreht sich die Spirale leider weiter.
Ich möchte Sie demnach einladen, in unserer Kammer genau hinzuschauen, ob die zahlreichen Vorschriften, die wir beraten und erlassen, wirklich weiterhelfen, die individuelle Verantwortung unserer Bürgerinnen und Bürger zu stärken.
Mein
dritter und letzter Gedanke betrifft das Selbstverständnis unserer Kammer, gemeinhin als «Chambre de réflexion» bezeichnet. Bei der Gründung des Bundesstaates war sie ein Zückerchen der Liberalen an die unterlegenen Konservativen als Ersatz für die Tagsatzung, und Ivo Bischofberger, einer meiner sehr geschätzten Vorgänger, hat sie als Rumpelkammer der Nation bezeichnet. Heute darf ich feststellen, dass sich unser Haus, auch nach den Wahlen 2019, ganz gut präsentiert und weder als Dunkelkammer noch als Altherrenclub bezeichnet werden kann.
Ich mag das Attribut der «Chambre de réflexion», und ich möchte in meinem Präsidialjahr diese Qualität bewusst ins Zentrum unserer Tätigkeit stellen. Dank der Überschaubarkeit unserer Kammer können wir Lösungen im Gesamtinteresse des Landes anstreben, über die Partei-, Sprach-, regionalen und ideologischen Grenzen hinweg. Das liegt allein in unserer Hand. Ich betone dabei bewusst das Wort «Lösungen», und ich möchte Sie ermutigen, diese stets mit dem nötigen Pragmatismus anzustreben. Mir ist es wichtig, dass wir die besondere Kultur dieses Rates uns in den Diskussionen argumentativ und auf einer sachlich fundierten Ebene begegnen, um miteinander um die beste Lösung zu ringen. Tugenden wie das sorgfältige Abwägen der langfristigen Staatsinteressen und das Dienen im Sinne von mehr sein als scheinen, sollten wir weiterhin sorgsam pflegen und behüten. Damit setzen wir einen wertvollen Kontrapunkt zum eher parteipolitisch und sehr oft von persönlichen Interessen geprägten Betrieb im Nationalrat.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie sie sehen, liegt mir viel daran, dass wir
gemeinsam einen diesem Rat angemessenen und in der Vergangenheit positiven Arbeitsstil hochhalten, der die «Chambre de réflexion» fassbar und erlebbar macht. Es ist ein Stil der gegenseitigen Achtung, des Respekts und der Begegnung auf Augenhöhe. Unser Rat ist hell und voller Energie und alles andere als eine Dunkelkammer. Wir in diesem Saal sind privilegiert, wie es der leider allzu früh verstorbene ehemalige Kollege This Jenny immer wieder betonte. Privilegiert und im System des Majorz direkt durch die Bürgerinnen und Bürger unserer Stände gewählt, um die Geschicke unseres Landes und seiner Stände föderal ausge-wogen zu lenken. Eine Verantwortung, die es auch erlaubt, von der Haltung einer Partei zu Gunsten der Standesinte-ressen und des Ganzen abzuweichen. Das braucht oft Mut und Eigenständigkeit. Es verleiht diesem Rat jedoch seinen besonderen Charakter und seinem Namen den Sinn.
Liebe Kolleginnen und Kollegen
Ich lade ich Sie ein, mich in diesem Bestreben zu unterstützen und die Kultur unserer Kammer mitzugestalten. Ich werde mir gerne die Mühe nehmen, mich mit denjenigen Kolleginnen und Kollegen noch eingehender und persönlich auszutau-schen, die neu oder erst vor kurzem zu uns hinzugekommen sind.
Aus dem Gesagten folgere ich:
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Wir müssen den Föderalismus sinnvoll und pragmatisch anwenden und entwickeln. Es ist wohl nicht in jeder Situation angezeigt, alles mit dezentralen Ansätzen lösen zu wollen. Es braucht auch den Mut zu zentraler Führung, wo diese aufgrund besonderer Umstände und zum besseren Verständnis der Bevölkerung nötig ist, auch wenn dies als unbequem und Eingriff in unsere Freiheiten empfunden wird. Jenen, die im Interesse und zum Wohl des Landes Führungsverantwortung übernehmen – also vor allem den Mitgliedern der Exekutiven – müssen wir gemeinsam den Rücken stärken, sie aber auch konsequent in die Pflicht nehmen.
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Beim Legiferieren sollten wir immer sorgsam abwägen, ob neue Vorschriften wirklich zur Qualität des Zusammenlebens der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes beitragen. Dabei ist im Auge zu behalten, dass die Menschen genügend Raum für eine gelebte Eigenverantwortung haben.
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Arbeiten wir gemeinsam am Profil der Zukunft unseres Ständerats als allseits respektierte «Chambre de réflexion», in der Sachlichkeit, Augenmass, Weitblick und Kollegialität die prägenden Faktoren sind. Lassen Sie uns mehr reflektieren und weniger auf die flüchtigen medialen Befindlichkeiten und die Kapriolen der Sozialen Medien achten.
Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit Ihnen in den kommenden zwölf Monaten. Packen wir diese Herausforderung gemeinsam an!