„Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder  aus.“ Das ist das erste Lied aus Schubert’s Winterreise. Und dieses Thema bildet den Rahmen zu dem Film, der Sie auf eine Winterfahrt durch die Stationen im Leben von Elisabeth Kopp führen wird.

Am 2. Oktober 1984, dreizehn Jahre nach der Einführung des Frauenstimmrechts, wurde Elisabeth Kopp zur ersten Bundesrätin der Schweiz gewählt. Sie schaffte es bereits im ersten Wahlgang mit 124 Stimmen. In ihrer Antrittsrede sah sie in ihrer Wahl eine Anerkennung der Leistung aller Frauen auf politischem Gebiet, auf den verschiedenen Stufen unseres Staatswesens, und sie versprach, dass sie zwar nicht ihren Mann im Bundesrat stellen könne, aber dass sie als Frau und Mensch alle Kräfte in ihr aufbieten werde……

Und das tat sie: Sie kämpfte für das neuen Ehe- und Erbrecht, den Geldwäschereiartikel, das Datenschutzgesetz, initiierte das neue Scheidungsrecht, man könnte vieles weitere benennen. Tatsächlich bot sie alle ihre Kräfte auf, wurde fast vier Jahre lang von der Presse in alle Himmel gelobt, stand an erster Stelle aller Beliebtheitsskalen,  – und trotzdem scheiterte sie letztlich grausam.

Als Politikerin der nachfolgenden Generation, für die Elisabeth Kopp und ihre Kolleginnen mit Mut und Einsatz vorgespurt haben, wage ich den Versuch einer Deutung dieser fatalen Entwicklung:

Wer hoch springt, dem wird die Latte noch höher gelegt.
Die Erwartungen an die erste Frau in diesem Amt waren gross von allen Seiten her. Elisabeth Kopp war angetreten um diese zu erfüllen. Der Film zeigt es auf: Sie wollte 150% pflichtbewusste Bundesrätin und gleichzeitig 150% umsorgende Ehefrau sein. Das waren mindestens 150% zuviel.
Im früheren Eherecht stand nur einer der Ehepartner im Vordergrund: der – nein, effektiv die andere stellte sich diskret dahinter. Das Ehepaar Kopp durchbrach diese Gewohnheit gerade zweifach. Beide standen prominent in der Öffentlichkeit; und erst noch die Frau an vorderster Stelle. In manchen Bereichen berührten sich die Interessen, überlappten sich sogar. Die offizielle Stellung dieser Frau war ungewohnt, ebenso die ihres Ehemannes, der sich nicht etwa zurücknahm in seinen Aktivitäten. So hiess es gar, er sei wahrscheinlich der achte Bundesrat.
Das Ehepaar Kopp stand mit allem, was sie und er taten regelrecht im Schaufenster der Öffentlichkeit. Sie wurden bewundert, beneidet, gelobt, kritisiert, beobachtet, verglichen – und in die Einsamkeit abgedrängt. Und dies mit Enthusiasmus, Gier und Unbarmherzigkeit. Ja, wer hoch springt, dem wird die Latte höher gelegt. Wer sie – auch nur ein bisschen - verfehlt, fällt tief.
Übrigens, erst das neue Eherecht, das ausgerechnet diese erste Bundesrätin durchgesetzt hat, macht langsam die gelebte Partnerschaft in der Ehe zur Normalität. So sollte es heute möglich sein, dass beide Partner verschiedene erfolgreiche Wege gehen können.

Hier könnte das 12. Lied aus der Winterreise eingefügt werden: „Einsamkeit“
Als erste Bundesrätin wollte sie zwar nicht ihren Mann stellen, wie sie in der Antrittsrede betont hatte, aber sie tat alles, um sich keine Blösse zu geben. Sie tat alles, um ja keine weiblichen Emotionen zu zeigen. Das wären Beweise der Schwäche, Zeichen des schwachen Geschlechtes.
In den Filmdokumentationen, in denen sie im Parlament ihre Dossiers vertreten hat, wird das krass offengelegt: ihre Aussagen - etwa zur Asylpolitik - sind völlig emotionslos, sachlich, sehr kühl, absolut korrekt, wie es der Bundesrat beschlossen hatte. So wurde sie für manche Menschen unnahbar. In dieser Rolle hatten menschliche Fehler, auch kleine, keinen Platz.
Elisabeth Kopp ist nicht so. Sie ist eine sehr warmherzige Frau. Hätte sie dies damals auch spüren lassen, wären ihr viele in ihren schwierigen Tagen verständnisvoller begegnet.

Auch heute braucht es in der Politik immer noch eine harte Schale, damit der Kern weich bleiben kann, aber dennoch ist es anders geworden: Wir Politikerinnen aber auch Politiker können es uns leisten Gefühle zu zeigen. Wir sind eher Volksvertreterinnen und Vertreter geworden, die sich weniger hinter Formalitäten und Ritualen verstecken. Vielleicht haben wir dadurch an Würde eingebüsst, aber an Lebensqualität sicher dazu gewonnen.

Die Nebensonnen (das zweitletzte Lied der „Winterreise“)
Elisabeth Kopp wurde 1984 im ersten Wahlgang von der vereinigten Bundesversammlung zur Bundesrätin gewählt. Es fällt auf, dass sie aber nicht vom Parlament zum Rücktritt gezwungen wurde. Im Gegenteil: am 7. Dezember 88 wurde sie glanzvoll mit 165 Stimmen zur Vizepräsidentin des Bundesrates gewählt. (Die heutige Bundespräsidentin erreichte 149 Stimmen, der Vizepräsident 166). Damit hat das Parlament ganz klar zum Ausdruck gebracht, dass die erste Bundesrätin ihre Arbeit im Bundesrat als Justizministerin gut und kompetent gemacht hat.  Deshalb ist es wirklich an der Zeit, dass man dieser Tatsache auch Rechnung trägt.
Zurückgetreten ist Elisabeth Kopp nicht auf Druck derjenigen, die auf Grund unserer Verfassung die Macht dazu gehabt hätten. Zum Rücktritt gezwungen wurde sie durch Medienberichte, Vorverurteilungen, auf die sie nicht offen reagiert hat, oder nicht offen reagieren konnte, weil sie keine oder zuwenig Unterstützung in ihrem politischen Umfeld spürte. Wahrscheinlich geholfen hätte ihr, wenn sie zum richtigen Zeitpunkt gesagt hätte: „Ja, ich habe meinen Mann angerufen, weil…..
Noch ein halbes Jahr vor dem Rücktritt war sie die beste beim medialen Bundesratsrating. Dies namentlich dank ihrer Medienpräsenz, ihrer Durchsetzungsfähigkeit, ihrem Auftreten, dem Erfolg im Parlament und der allgemeinen Anerkennung ihrer Arbeit. Bei ihrem Abtreten wurde sie dann als Hampelfrauchen dargestellt, das an der Strippe ihres Mannes hängt.
Was meinten dazu ihre Kollegen? Was meinte dazu ihre Partei? -  Alle hatten Angst in den Strudel miteinbezogen zu werden, keiner wollte sich die Finger irgendwie verbrennen.  Zivilcourage fehlte. Einer ihrer damaligen Parteikollegen zitierte nur als Kommentar aus Schiller’s „Wilhelm Tell“: „Es rast der See, er will sein Opfer haben“. Das hat man ihm gegeben.
Tatsache ist aber, dass unsere erste Bundesrätin vom Bundesgericht nachher freigesprochen wurde.

Es ist ein spannender, historisch wichtiger Film.
Gestern hat mir eine Kollegin gesagt, sie begreife nicht, dass Elisabeth Kopp diesen Film machen liess. Ich habe ihr geantwortet, ich sei froh, dass Andres Brütsch sie dazu bewegen konnte, diesen Film zu machen. Es ist keine Lobhudelei auf die erste Bundesrätin. Er zeigt mit Fakten auf, wer sie ist, wie sie in dieses Amt gewählt wurde, und wie sie es schliesslich aufgeben musste. Es ist das aussergewöhnliche Schicksal einer aussergewöhnlichen Frau, die hoch aufgestiegen und tief gefallen ist, und die dabei für uns Politikerinnen ganz wichtige Spuren gelegt hat. Es ist ein Film über eine Frau, die kein Mitleid von uns will wegen ihrem traurigen Abgang, aber die die Gerechtigkeit verdient hat, dass wir ihre ganze Arbeit für unser Land  überblicken und werten: Ja, sie war eine gute Bundesrätin.
Ich möchte Andres Brütsch für diese Arbeit danken. Der Film ist sehr eindrücklich gestaltet. Mit wenigen Hilfsmitteln. Klar und überzeugend.

Nachtrag
Die stärkste Szene kommt für mich fast am Ende des Films:  Elisabeth Kopp entschuldigt sich, verliert kurz die Fassung, weint - und wendet sich aber sofort zum Regisseur mit den Worten: „das nehmen wir dann noch einmal auf“.
Diese Frau hat schon als Kind gelernt, dass man sich nicht gehen lassen darf. Bereits als Mädchen war ihr klar, dass man nach einem Sturz beim Schlittschuhlaufen sofort aufsteht und weiterläuft, als ob nichts geschehen wäre, auch wenn es noch so weh tut. Mit zunehmendem Alter wird das aber schwieriger…..

Wir aber, wir dürfen Gefühle zeigen beim Ansehen dieses Film, denn Emotionen tun unserer Gesellschaft so gut.