Es ist mir eine besondere Ehre, aber auch eine grosse Verantwortung, heute die Festansprache im Rahmen der Verleihung des Nanny und Erich Fischhof Preises an Herrn Bundesrat Flavio Cotti zu halten.

Die Würdigung des verdienten Magistraten darf ich zwar hier nicht vornehmen - doch hatte ich Gelegenheit, bereits anlässlich der Verabschiedung im Parlament seine hervorragenden Leistungen zu verdanken.

Das letzte Jahr mit der Vorzahl 1 ist, wenn wir die Entwicklung in den ersten Monaten betrachten, geprägt von Krieg, von krasser Verletzung von Menschenrechten, von Vertreibung und Grausamkeit.

Die Hoffnung, dass sich in Europa diese Ereignisse nicht wiederholen, war wohl illusionär. Machtlos stehen wir vor der Gewalt, vor menschlichen Dramen unvorstellbarer Ausmasse. Wir müssen zuschauen, wie sich Greueltaten wiederholen und fragen uns, wie hoch der Preis ist - oder sein darf - für den Versuch, eine menschenverachtende Tyrannei zu unterwerfen. Ueber weite Strecken ist die Geschichte eine Geschichte der Intoleranz, von Sklaverei, Kreuzzügen, Glaubenkriegen, Völkermorden, von Inquisition, Pogromen, von Fundamentalismus und totalitären Diktaturen. Ob im Namen der liberalen Werte der Aufklärung, im Namen Christi oder anderer Religionen geköpft, getötet oder gefoltert wurde und wird - Leidtragende sind in besonderem Masse ältere Menschen, Frauen und Kinder.

Wir feierten im Parlament vor kurzem das 50-jährige Jubiläum der Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen. In deren Folge wurde eine ganze Fülle von internationalen Vereinbarungen zur Sicherstellung und Förderung von Menschenrechten und Minderheitsrechten verabschiedet.

Vor kurzer Zeit unterbreitete uns der Bundesrat die Botschaft zur Ratifizierung der Genozid-Konvention. Nicht zuletzt durch den Einsatz von Bundesrat Cotti wurde die Förderung der Menschenrechte zu einem Hauptziel der Schweizerischen Aussenpolitik gemacht (November 93). Auch die entwicklungspolitischen Prioritäten stehen unter diesem Motto, denn nur wo rechtlich garantierte staatliche Strukturen, demokratische Willensbildung, garantierte Toleranz im Zusammenleben sichergestellt sind, kann eine zivile Gesellschaft aufgebaut werden. Wir müssen aber auch realisieren, dass Gesetze, Vorschriften oder Verbote nicht alles Uebel verhindern können.

Wir haben oder hätten in der Schweiz die besten Voraussetzungen, die hohen Ziele von Toleranz, Respekt vor Minderheiten - nationalen und anderen, wie Randgruppen, Fremden, Asylsuchenden - zu leben, im Alltag umzusetzen.

Wir leben in gesicherten staatlichen Strukturen, die uns demokratische Willensbildungen ermöglichen. Wir leben in gesicherten finanziellen Verhältnissen, in einem Land, in dem ein Netz von gut ausgebauten Sozial-versicherungen existiert, in dem individuellen Notfällen in Gemeinde, Stiftungen oder vielfältigen anderen Mög-lichkeiten Rechnung getragen werden kann. Sicher sind die Masstäbe relativ und unsere Ansprüche hoch. Zu realisieren, dass die praktisch ungebrochene wirtschaftliche Entwicklung der letzten 30 Jahre nicht weitergehen kann, dass wir auch in unserem Land Abstriche machen müssen, fällt vielen schwer. Die Aufarbeitung der jüngsten Schweizer Geschichte machte die Situation nicht einfacher. Wir realisieren, dass die Schweiz isoliert ist, dass sich niemand für sie einsetzt, wir sind verletzbar und verunsichert. Wenn traditionelle Werte in Frage gestellt werden, fühlen wir uns angegriffen. Wie empfindlich viele unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger in dieser Situation reagieren, wurde mir in der Negativkampagne gegen die neue Verfassung bewusst. Da wurden sprachliche Anpassungen als Untergang der Eidgenossenschaft heraufbeschworen, Mythen zelebriert, die Aufgabe unseres Landes, der Familie, des Wehrmannes befürchtet.

Die grossen Probleme der Gegenwart gehen auch an der Schweiz nicht vorbei. Umwelt, Drogen, Aids, Migration, Fremdenhass, Egoismus - sie alle beschäftigen uns, prägen den Alltag und die Politik mit. Wie leicht ist es da, mit einer Schwarz-Weiss Politik, mit Gut und Böse Clichées, mit Schemata wie Linken und Netten zu polarisieren, sich auf das "Eigene" zurückzuziehen und eine strikte Wahrung des Bestehenden/Bewährten zu fordern. Hier haben Intoleranz, Unterstellungen und unterschwellige Schuldzuweisung einen gefährlichen Nährboden. Populistische Versuche mit Freund / Feind Schemen versprechen einfache Lösungen für komplexe Probleme. Einsatz für Menschenwürde, differenzierte Beurteilung von Situationen, Offenheit für Neues, die Bereitschaft zuzuhören sind anspruchsvoll. Man holt sich auch nicht unbedingt Lorbeeren mit diesem Weg. Er ist wenig spektakulär - und schon gar nicht interessant für die Medien.

Lassen sie mich einen kurzen "Einschub" machen. Die Verantwortung der Medien im Kampf gegen Rassismus und Intoleranz ist speziell hoch. Unabhängige Information ist als Grundlage zur Meinungsbildung unerlässlich und unentbehrlich. Wissen ist Macht, verantwortungsvoll damit umzugehen, ist Pflicht. Schlagzeilenjournalismus wirkt höchstens auflagefördernd. Dasselbe gilt für "Schlagzeilen"politik - für die in Wahljahren Parteien und Politiker eher anfällig sind. Dies hat uns auch die kürzliche Diskussion im Parlament zur Revision der Rassismusstrafnorm gezeigt, dies beweist uns die Diskussion um die Aufhebung der Parlamentarischen Immunität eines Nationalrates. Dass dabei die Grenzen zwischen rassistischen Aeusserungen und beleidigenden Ausdrücken fliessend sind, dass der sogenannte "Volksmund" oft wenig feinfühlend ist, muss uns bewusst sein. Dass aber klare Grenzen bestehen, dass diskriminierende, rassistische Aeusserungen nicht als Geschmacklosigkeit abgetan und entsprechende Inserate nicht als "Ausrutscher" bagatellisiert werden dürfen, dafür haben wir uns unermüdlich einzusetzen. Und damit zurück zum Anfang meiner Rede. Die Schweiz hat gelernt aus ihrer Vergangenheit. Sie ist bereit, ihr ganzes Gewicht einzusetzen, finanzielle, personelle und materielle Unterstützung zu leisten, um den von Krieg und Grausamkeit gezeichneten Flüchtlingen in Albanien, Montenegro, Mazedonien und in der Schweiz ihre unerträgliche Lage zu erleichtern. Angesichts der grauenhaften, täglich von den Medien vorgeführten Bildern, ist dies "nicht schwer" - unsere Aufgabe ist es aber, auch mittel- und längerfristig für sie zu sorgen, unsere Dienste zur Verfügung zu stellen - im Rahmen der internationalen Organisationen, mit unseren logistischen, politischen, humanitären Möglichkeiten beizutragen, dass sich die Lage stabilisieren kann. Herr Bundesrat Cotti hat sich nicht nur im Rahmen des OSZE-Präsidiums, sondern in seiner gesamten Amtszeit als Aussenminister dafür eingesetzt und sich damit international hohes Ansehen geschaffen. Ohne der Laudatio vorgreifen zu wollen, möchte ich feststellen, dass er den Weg aufgezeigt hat, wie die Schweiz für Toleranz und Verständigung für Minder-heiten, für ein friedliches Zusammenleben der Völker Europas sich einsetzen kann und muss im Rahmen einer gewandelten Neutralität, aus der Notwendigkeit aber auch unser Staatswesen für die gewandelten Anforderungen des nächsten Jahrtausends bereit zu halten. Dafür braucht es auch in Zukunft Persönlichkeiten und Gruppierungen, die sich für die Werte von Toleranz, Verständnis für Minderheiten, Spielregeln der Demokratie und des internationalen Zusammenlebens engagieren und mutig exponieren. Viele unter den heute Anwesenden haben dies seit Jahren vorgelebt, allen voran Sigi Feigel, der mit Zivilcourage, Unerschrockenheit und der notwendigen Hartnäckigkeit diesen Kampf führt. Dafür möchte ich ihm persönlich und im Namen des Parlaments herzlich danken. Noch nie wurde so viel über Menschenrechte gesprochen. Erstmals wird ein Krieg geführt, der sich nur mit der Verteidigung der Menschenrechte erklären lässt.

Ich wünsche mir, dass im nächsten Jahrtausend der Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus und zur Verteidigung der Menschenrechte ohne Waffengewalt gewonnen werden kann - dass aber nach wie vor die Bereitschaft besteht, notfalls auch dafür zu kämpfen.