Zu allererst möchte ich Frau Thérèse Meyer zu Ihrer gestrigen Wahl zur Präsidentin des Nationalrates ganz herzlich gratulieren. Das Amt bringt sehr viel Freude und bedingt gleichzeitig ein grosses Engagement. Und um diesen Einsatz zu bewältigen, braucht es ab und zu etwas Stärkung. In diesem Zusammenhang schrieb Monika Rosenberg am 22. Januar 2005 in der NZZ: „Selbstverständlich lebt der Homo politicus so wenig wie der übrige Teil der Menschheit vom Brot allein. Aber ganz ohne geht es eben auch nicht. Deshalb wird selbst im Bundeshaus für das leibliche Wohl der Insassen gesorgt, wenn auch auf helvetisch bescheidenstem Niveau. Wenn an-derswo die Parlamentarier in gestylten Kantinen und Restaurants ihren menschlichen Bedürfnissen Genüge tun und auftanken für den stetigen Einsatz im Dienst des Landes, rotten sich heute im Bundeshaus die hungrigen und durstigen Seelen in einem engen Raum zusammen, dem das Restaurant weder von aussen noch von innen anzusehen ist und der erst noch mit Zeitungszimmer angeschrieben ist. Fast kommt es einem vor wie in strengen arabischen Ländern, wo man im Hotel unter Vorlage des christlichen Taufscheins eine Trinkerlizenz lösen darf, um dann in einem abgeschlossenen Raum diskret sein Bier zu trinken.”

Wie Sie wissen, wird im nächsten Jahr das Parlamentsgebäude saniert. Die Verwaltungsdelegation hat dem Umbaukonzept am vergangenen Donnerstag zugestimmt. Mit diesem Entscheid hält nach 103 Jahren, das Parlamentsgebäude wurde am1. April 1902 eingeweiht, auch in der Gastronomie das Zweikammersystem Einzug. Das Konzept sieht nämlich die Umnutzung der Galerie des Alpes in ein so genanntes „Grand Café” vor. Auch der Wunsch vieler Ratsmitglieder, eine Verpflegungsmöglichkeit in der unmittelbaren Nähe der Ratssäle beizubehalten, wurde in die Überlegungen miteinbezogen. Deshalb wird das heutige Café Vallotton zu einer „Café-Bar“ mit Stehtischen umgestaltet. Henry Vallotton war 1938/39 Präsident des Nationalrates und kehrte mit der Idee aus London und Paris zurück, auch hier in Bern eine Caféteria einzurichten. Wenn schon Churchill in Westminster mit Chamberlain einen Whisky oder Paul Reynaud im Palais-Bourbon mit Léon Blum im Parlamentsgebäude einen Apéritif trinken können, dann sollten doch auch Jean Studer und Yvan Perrin die Gelegenheit haben, mit einem Absinthe anzustossen.

Zwischen dem Zweikammersystem für die Gastronomie und dem parlamentarischen Zweikammersystem gibt es beträchtliche Unterschiede. Statt Gleichberechtigung hat das „Grand Café“ als grosse Kammer das umfassendere Angebot und den ausge-bauteren Service als die „Café-Bar“. Als ausgleichende Gerechtigkeit liegt die „Café-Bar“ dafür wenigstens einen Stock höher, ganz im Sinne von Ober- und Unterhaus. Im „Grand Café“ gibt es Sitzplätze, in der „Café-Bar“ vor allem Stehplätze. In der politischen Realität erachte ich es jedoch als mindestens gleich komfortabel, in der kleinen Kammer politisieren zu dürfen. Dann gibt es aber auch Gemeinsamkeiten zur Politik. Die „Café-Bar“ mit den Stehplätzen funktioniert insofern wie der Ständerat, als dass die Debatte an den Stehtischen freier und unkomplizierter ist und praktisch keiner Reglementierung bedarf. Ausserdem ist die „Café-Bar“ klein und schnell. Die Geschäfte – oder eben die Konsumation – werden effizient und ohne Zeitverlust getätigt, genau so wie es im Ständerat die Regel ist. Und wenn in der Hektik einmal eine Tasse Kaffee ausgeschüttet wird, dann kann das nur im Sinne von Thomas Jefferson sein, der gesagt hat: „Der Senat ist die Untertasse, in welcher der Kaffee aus der Tasse des Repräsentantenhauses abkühlt“. Dieses Zitat findet sich in der Antwort des Kantons Appenzell Innerrhoden auf eine Umfrage aus den Jahren 1969 / 1970 bei den Kantonen zur Vorbereitung der Totalrevision der Bundesverfassung.

Hier und jetzt, sehr geehrte Damen und Herren, besteht allerdings weder Zeitdruck noch ist Hektik gefragt. Geniessen Sie Essen und Trinken sowie die Gespräche ohne jede Reglementierung. In diesem Sinne wünsche ich allen ein gemütliches Mittagessen und möchte Ihnen ganz herzlich für die Teilnahme am heutigen Treffen danken.