Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrter Herr Erlich
Sehr geehrter Herr Rabinowicz
Sehr geehrter Herr Varshavsky
Geschätzte Botschafterinnen und Botschafter
Werte Damen und Herren


«Wenn ich zu Bett gehe und das Licht ausmache, dann denke ich an meine Eltern und meinen kleinen Bruder, die alle ermordet wurden. Ich habe schlaflose Nächte».
Diese Albträume suchen Bronislaw Erlich, der nachher noch das Wort an Sie richten wird, in der Nacht heim – mehr als 70 Jahre nach dem gewaltsamen Tod seiner Familie.
Die Nacht wird eng mit dem Holocaust und ganz besonders mit Auschwitz assoziiert. «Niemals werde ich diese Nacht vergessen, die erste Nacht im Lager, die mein Leben in eine lange und siebenmal verfluchte und siebenmal verriegelte Nacht verwandelt hat.»

Diese Worte hielt Elie Wiesel in seiner autobiografischen Schrift fest, die den Titel «Die Nacht» trägt.
Die Finsternis dieser «Nacht» verfolgt uns alle bis heute.


Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat 2005 unter anderem mit der Unterstützung der Schweiz eine Resolution zur Einführung eines Internationalen Holocaust-Gedenktages verabschiedet. Dieser Gedenktag wurde auf den 27. Januar festgesetzt, jenen Tag, an dem das Konzentrationslager Auschwitz–Birkenau befreit worden war. Auschwitz als Symbol für den Holocaust, Auschwitz, der Ort, an dem über eine Million Juden, aber auch Sinti und Roma sowie andere Opfer des Nationalsozialismus, getötet wurden – darunter auch Schweizerinnen und Schweizer. Der Holocaust darf allerdings nicht auf Auschwitz – ja nicht einmal auf die Konzentrationslager – reduziert werden: Hunderttausende wurden in Osteuropa mit der Kugel hingerichtet.
Es ist mir als höchste Schweizerin ein Anliegen, heute allen Holocaust-Opfern und ihren Familien mein tiefes Mitgefühl auszudrücken und den Holocaust-Überlebenden und ihren Familien meine Hochachtung zu zollen.
Gleich mehrere Überlebende erweisen uns heute Abend die Ehre: Bronislaw Erlich wird uns in Kürze seine Geschichte erzählen und Mark Varshavsy wird uns musikalisch begleiten. Zum Abschluss der Gedenkfeier haben wir dann Gelegenheit, eine Ausstellung mit Kunstwerken des Auschwitz-Überlebenden Fishel Rabinowicz zu besuchen.

Sehr geehrter Herr Erlich, sehr geehrter Herr Rabinowicz, Sie sind in Polen geboren und nach dem Krieg in die Schweiz gekommen. Hier haben Sie sich niedergelassen, hier sind Sie und Ihre Frauen und Kinder integriert.
Dass wir Sie hier und heute neben den Schweizerinnen und Schweizern, die von den Nazis und ihren Kollaborateuren verfolgt wurden, würdigen, hat einen ganz bestimmten Grund: Das Gedenken an den Holocaust geht über nationale Grenzen hinaus. Es ist weltumspannend und hat vor allem universelle Bedeutung.
Jamais nous ne pourrons faire disparaître la nuit de l’Holocauste, retrouver les millions de vie perdues, effacer de la mémoire des survivants les images des horreurs subies. Dans ces ténèbres, nous pouvons toutefois allumer quelques lumières. Des lumières fragiles bien sûr, mais des lumières quand même :

  • Une lumière : témoigner, comme Monsieur Erlich aujourd’hui, raconter les horreurs vécues
  • Une lumière : donner des noms et des visages aux victimes, comme signe contre la politique des nazis qui leur volaient jusqu’à leur nom en les réduisant à des numéros.
  • Une lumière : étudier et chercher à comprendre comment la tragédie a été rendue possible, comment des êtres humains ordinaires se sont transformés en bourreaux de leurs semblables
  • Une lumière : sensibiliser les jeunes générations pour former des citoyens responsables, afin qu’ils restent conscients qu’une discrimination est susceptible de constituer un premier pas vers une annihilation.


Mesdames et Messieurs,
D’autres exemples de lumières, je pourrais en citer et vous en avez certainement aussi. Je me contenterai d’un seul autre, cher Monsieur Rabinowicz.
Par votre création artistique, vous voulez sauver de l’oubli le monde de votre jeunesse, celui de l’entre-deux-guerres en Pologne où fleurissaient une culture et une vie juives. Vos œuvres sont comme des lumières. Elles nous rappellent aussi que ce qui est menacé de disparition ou d’annihilation, ce n’est jamais un groupe majoritaire ou une culture dominante, mais les Juifs, les Roms, Sintés et Yéniches dans la partie de l’Europe dominée par les nazis, les Tutsis au Rwanda dans les années 1990. Dès lors la protection des minorités, le respect sans concession de leurs droits constituent des engagements indispensables, hier comme aujourd’hui. J’en ai fait personnellement une des priorités de mon année présidentielle.
Signor Rabinowicz, sono molto felice di poterla qui salutare: lei, che si è installato dal 1955 a Locarno, una città che mi sta molto a cuore. Per la prima volta una cerimonia ufficiale in memoria delle vittime dell’olocausto riunisce a Berna due oratori ticinesi.

Sehr geehrte Damen und Herren
Unabhängig von unserer Herkunft, Sprache oder Religion, unabhängig von dem, was uns trennen kann, sind wir hier und heute im Willen vereint, ein paar Lichter anzuzünden und uns gemeinsam dafür einzusetzen, dass nie mehr eine neue Nacht über uns und unsere Kinder hereinbricht.