Bern (sda) Die vom Bundesrat angeordnete Aktenvernichtung im Fall Tinner war unverhältnismässig. Dies stellt die für den Geheimbereich zuständige Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) fest. Kritik übt sie am damaligen Justizminister Christoph Blocher.

Gegen den Willen des Bundesrates haben die Geschäftsprüfungskommissionen (GPK) am Donnerstag den Bericht der GPDel über die Rechtmässigkeit der Schredderaktion veröffentlicht. Der Bundesrat hatte am 14. November 2007 auf Antrag Blochers beschlossen, die bei der Familie Tinner gefundenen Beweisstücke und
Atomwaffen-Baupläne zu vernichten.
 
Überstürzt Notrecht angewandt 
 
Diese Aktion stützte der Bundesrat direkt auf die Notrechtsparagrafen in der Bundesverfassung ab und griff damit direkt in das gegen die Tinners laufende Strafverfahren ein. In einem Rechtsstaat müssten Akten bis nach Abschluss des Verfahrens aufbewahrt werden, sagte GPDel-Präsident Ständerat Claude Janiak (SP/BL) vor den Medien. 
 
Der Beschluss des Bundesrates sei nicht verhältnismässig gewesen, weil keine unmittelbar drohenden schweren Störungen der inneren und äusseren Sicherheit vorgelegen hätten, sagte Janiak. Die Schweiz wäre durchaus in der Lage gewesen, die Akten sicher zu verwahren. 
 
Der Bundesrat habe die Notrechtsartikel ohne klares Konzept und «überstürzt» angewandt, sagte Nationalrat Pierre-François Veillon (SVP/VD). Deshalb habe auch das Kollegium als Ganzes versagt. Es neige dazu, Probleme einfach auf die Departemente abzuschieben. Wichtige Geschäfte müssten interdepartemental vorbereitet werden. 
 
USA-Kapitel gestrichen 
 
Dass die GPDel den Bericht veröffentlicht habe, gründe auf dem Willen, Transparenz des öffentlichen Handels herzustellen, sagte Janiak. Der Bundesrat und Blocher hätten zum Berichtsentwurf Stellung nehmen können. Ein Kapitel über die Kontakte Blochers in den USA sei auf dessen Antrag hin gestrichen worden. 
 
Der Bundesrat habe seine Geheimhaltungsstrategie nicht durchhalten können, sagte Janiak. Die amerikanischen Nachrichtendienste und die Internationale Atomenergie-Organisation (IEAO) seien im Bild gewesen. Der Bundesrat habe nicht nachweisen können, welchen Schaden die Publikation des Berichtes anrichten würde.
 
Angebot ausgeschlagen 
 
Ob die Aktenvernichtung auf Druck der USA angeordnet wurde, wollte Janiak trotz vielen Journalistenfragen nicht beantworten. Dass Druck ausgeübt worden sei, sei indessen klar. Die USA hätten angeboten, das sensitive Material zu übernehmen. Blocher habe dies aber als «nicht opportun» abgelehnt. 
 
Der Bundesrat hat es laut GPDel vorgezogen, den Forderungen der USA zu entsprechen, indem er sich mit der Aktenvernichtung des gesamten Beweismaterials auch der Kernwaffenpläne entledigte. Die GPDel rügt, dass sie über den Beschluss nicht umgehend informiert wurde. 
 
Die Untersuchung der GPDel zeigt, dass die Nachrichtendienste der Schweiz eine untergeordnete Rolle bei der Bewältigung des Falles Tinner spielten. Der Strategische Nachrichtendienst (SND) habe zwar schon 2004 gewarnt, sagte Janiak. Die Nachrichtendienste seien aber in der Folge vom Bundesrat nicht beigezogen worden.

22. Januar 2009

Fall Tinner: Rechtmässigkeit der Beschlüsse des Bundesrats und Zweckmässigkeit seiner Führung. Bericht der Geschäftsprüfungsdelegation der Eidgenössischen Räte vom 19. Januar 2009 pdf