Die Freundschaftsgruppe Frankreich–Schweiz der französischen Nationalversammlung – die sich aus Abgeordneten aller Fraktionen zusammensetzt – weilte vom 18. bis 19. Juni 2018 für einen Arbeitsbesuch zum Thema Berufsbildung in der Schweiz. Die Freundschaftsgruppe wurde angeführt von ihrer Präsidentin, der Abgeordneten Marion Lenne («La République en Marche», Haute-Savoie), und einer ihrer Vizepräsidentinnen, der Abgeordneten Olga Givernet («La République en Marche», Ain). Ausserdem gehörten ihr die Abgeordneten Brahim Hammouche («Mouvement Démocrate et apparentés», Moselle) und Pierre-Alain Raphan («La République en Marche», Essonne) an.
Die Schweizer Delegation setzte sich zusammen aus ihrer Präsidentin, Ständerätin Liliane Maury Pasquier (SP, GE), ihrer Vizepräsidentin, Nationalrätin Céline Amaudruz (SVP, GE), Nationalrätin Alice Glauser-Zufferey (SVP, VD), den Nationalräten Yves Nidegger (SVP, GE) und Manuel Tornare (SP, GE) sowie Ständerat Olivier Français (FDP, VD).
Am 18. Juni trafen sich die Delegationen zu Gesprächen mit Botschafter Morruzzi vom Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) sowie mit Sozialpartnern und Berufsverbänden, d. h. mit Bruno Weber von Travail.Suisse und Séverine Favre, der Verantwortlichen für Berufsbildung beim Arbeitgeberverband der Schweizer Uhrenindustrie. Die französische Delegation war sehr überrascht von der Effizienz des Schweizer Systems, das namentlich bei der Jugendarbeitslosigkeit Garant ist für die grosse Stabilität in unserem Land. Ihr wurde ausserdem erläutert, dass das Schweizer Berufsbildungssystem in erster Linie deshalb so erfolgreich ist, weil die Programme und Studiengänge rasch und dynamisch an die Realität und an die Bedürfnisse der Wirtschaft angepasst werden: Den Anstoss für diese Anpassungen gibt dabei nicht der Bund, sondern die betroffene Branche (Berufsverbände). Das SBFI und Travail.Suisse wiesen darauf hin, dass die Berufsbildung für Erwachsene in den kommenden Jahren die grösste Herausforderung für die Schweiz darstellt, da die Kosten für Ausbildung und Unterstützungsleistungen im Bereich der Erwachsenenbildung sehr hoch sind. Am Treffen nahmen ebenfalls die Nationalräte Maire und Roduit teil, die als Mitglieder der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrates ihr wertvolles Fachwissen auf diesem Gebiet – insbesondere zur geltenden Praxis in den Kantonen Neuenburg und Wallis – einbringen konnten.
Am Nachmittag des 18. Juli standen formelle Gespräche zu den bilateralen und grenzüberschreitenden Dossiers der beiden Länder auf dem Programm. Die Gespräche verliefen freundschaftlich und waren interessant. Die französische Delegation liess sich über die Umsetzung des «Inländervorrangs light» informieren und die schweizerische Delegation verlangte zusätzliche Auskünfte zum «Blitzbesuch» einer französischen Delegation in der Schweiz im Zusammenhang mit dem Rahmenabkommen der beiden Länder über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Gesundheitsbereich. Bei diesem Besuch, der von der Kommission für auswärtige Angelegenheiten, in welcher Marion Lenne Einsitz hat, verlangt wurde, handelte es sich nur dem Namen nach um eine «Blitz»-Besuch. Er dauert nämlich bereits sechs Monate und wird voraussichtlich nach der Sommerpause 2018 abgeschlossen. Dennoch sollte dieser zu Informationszwecken durchgeführte Besuch laut Aussagen der französischen Delegation demnächst zur Ratifizierung des Rahmenabkommens führen. Das Geschäft sei derzeit in der Nationalversammlung und müsse danach noch vom Senat abgesegnet werden. Die Präsidentin der französischen Delegation wies überdies darauf hin, dass auf französischer Seite – obwohl es sich lediglich um ein Grundsatzabkommen handelt – grosses Misstrauen gegenüber dem Abkommen besteht, vor allem bei den direkt betroffenen regionalen Gesundheitsagenturen, und dass diesbezüglich zurzeit wichtige Aufklärungsarbeit geleistet wird.
Am Abend des 18. Juni wurden die beiden Delegationen von Gilles Miserez, dem Generaldirektor des Genfer Amtes für Berufsberatung, Berufs- und Weiterbildung («Office pour l’orientation, formation professionnelle et continue», OFPC) im Berufsbildungszentrum «Centre de formation professionnelle services et hôtellerie» in Genf zu einem Arbeitsessen empfangen. Der Generaldirektor vertrat bei diesem Anlass die für das kantonale Departement für Bildung und Jugend zuständige Staatsrätin Anne Emery-Torracinta.
Am 19. Juni besuchten die Delegationen den «Campus genevois de Haute Horlogerie» in Meyrin, wo die Berufsschule der Uhrenindustrie («École des Métiers et Artisans de Haute Horlogerie») angesiedelt ist. Auf dem Campus absolvieren zurzeit 29 Lernende die folgenden fünf dualen Grundbildungen: Uhrenarbeiterin resp. Uhrenarbeiter EBA, Uhrmacherin resp. Uhrmacher Produktion EFZ, Mikromechanikerin resp. Mikromechaniker EFZ, Graveurin resp. Graveur EFZ, Post-EFZ-Abschluss als Emailleurin resp. Emailleur. Nach einer Kurzinformation zu den Lehrgängen an der Schule konnten die Parlamentsmitglieder die Schulungsräume besichtigen und sich mit den Lernenden sowie mit den Berufsbildnerinnen und Berufsbildnern unterhalten. Ihnen viel auf, dass die Anzahl der weiblichen Teilnehmenden in zwei der fünf Lehrgängen erfreulich hoch ist (Graveur/in EFZ und Post-EFZ-Abschluss als Emailleur/in). Gegen Ende des Vormittags begaben sich die beiden Delegationen zur Hotelfachschule Genf («École Hôtelière de Genève», EHG). Die kaufmännische Leiterin der Schule, Claire Zendali, erläuterte die Studiengänge der EHG und betonte, wie wichtig Brückenangebote zwischen dem dualen und tertiären System sind. Diese würden Studierenden, die höhere Funktionen anstreben, eine Weiterentwicklung ermöglichen.
Zum Abschluss des Arbeitsbesuches wurden im Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondmuseum die Erinnerungsarbeit und die humanitäre Tradition der Schweiz gewürdigt.