Am 20. Oktober 2019 erneuern die Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger ihr Parlament – wie sie es in regelmässigen Abständen schon seit 1848 tun. Sie taten es allerdings nicht immer in der gleichen Weise: Das Wahlverfahren und die Länge der Legislaturen erfuhren seit der Geburt des Bundesstaates zahlreiche Änderungen.

​Bei der Gründung des Bundesstaates im Jahre 1848 zählte der Nationalrat 111 Mitglieder. Diese wurden im Mehrheitswahlverfahren (Majorz) gewählt, und die Erneuerung des Rates beziehungsweise der Wechsel der Legislaturen erfolgte alle drei Jahre.

Heute besteht der Nationalrat aus 200 Mitgliedern. Die Zahl der Sitze im Nationalrat war – dem Bevölkerungswachstum folgend – nach und nach angehoben worden, bis sie 1962 bei 200 fixiert wurde. Seit 1919 werden die Mitglieder des schweizerischen «Unterhauses» im Verhältniswahlverfahren (Proporz) bestimmt (mehr zu dieser Änderung); seit 1931 dauern die Legislaturperioden vier Jahre.

Der Ständerat hatte ursprünglich 44 Mitglieder gezählt. Mit der Gründung des Kantons Jura im Jahr 1979 stieg die Zahl der Sitze dann auf 46. In den Anfangszeiten waren die Ständeräte von den kantonalen Parlamenten und nicht von den Stimmbürgern gewählt worden. Später entschieden sich immer mehr Kantone für die Volkswahl. Als letzter Kanton änderte Bern sein Wahlsystem im Jahr 1977.

Die Verteilung der Sitze auf die Wahlkreise ändert sich

Die Verteilung der Nationalratssitze auf die Kantone wird in jeder Legislatur (Amtsperiode) der aktuellen Bevölkerungszahl angepasst. Massgebend ist dabei die ständige Wohnbevölkerung und nicht die Anzahl der Stimmberechtigten. Dies geht auf die Bundesverfassung von 1848 zurück, wonach der Nationalrat die gesamte Wohnbevölkerung zu repräsentieren hat, also auch deren nicht stimmberechtigten Teil, darunter damals die Frauen. Im Rückblick sind die Verschiebungen erheblich: In den 1960er-Jahren wurde der Kanton Bern vom Kanton Zürich als sitzstärkster Stand abgelöst. Insgesamt hat der Kanton Bern seither wegen des gemächlicheren Bevölkerungswachstums und wegen territorialer Gebietsabtretungen neun Sitze verloren. Er beordert heute 24 Vertreterinnen und Vertreter in den Nationalrat, der Kanton Zürich deren 35.

Für die kommende Legislatur verlieren die Kantone Bern und Luzern aufgrund der Bevölkerungsentwicklung je einen Sitz, die Kantone Genf und Waadt gewinnen je einen hinzu.

Den kleinen Kantonen und «Halbkantonen» ist unabhängig von ihrer Bevölkerungszahl mindestens ein Sitz garantiert. Von dieser Regel profitieren die Kantone Uri, Obwalden, Glarus sowie Appenzell Innerrhoden, in denen die Bevölkerungszahl derzeit kleiner ist als ein Zweihundertstel der schweizerischen Gesamtbevölkerung.

Die kleinen Parteien haben es schwer …

… im Nationalrat

Der Nationalrat gilt als Volkskammer, da er aufgrund der Proporzwahl die politischen Kräfte in ihrer tatsächlichen Stärke abbildet. Allerdings ist der Proporzeffekt in kleinen Kantonen stark eingeschränkt. Je weniger Sitze ein Kanton besetzen darf, umso höher fällt der relative Stimmenanteil aus, den man für ein sicheres Mandat benötigt. Im Kanton Schaffhausen beispielsweise, der zwei Sitze zu vergeben hat, beträgt dieser Wert 33,3 Prozent. In den 6 kleinen Kantonen mit nur einem Sitz wird de facto nach dem Majorzprinzip gewählt: Die relative Mehrheit der Stimmen reicht zur Wahl aus. In weiteren 14 Kantonen werden zwei bis neun Sitze vergeben. Dort müssen die Parteien einen Stimmenanteil zwischen 10 Prozent (bei neun Sitzen) und 33,3 Prozent erreichen, um ein Vollmandat zu ergattern. Kleine Parteien haben dadurch fast nur in den grossen Kantonen mit zwölf und mehr Sitzen Chancen auf einen Sitz, so in den Kantonen Zürich, Bern, Waadt, Aargau, St. Gallen und Genf. Ein Stimmenanteil zwischen 2,8 und 7,7 Prozent reicht dort für einen Sitzgewinn aus. Manche Parteien gehen Listenverbindungen ein, um ihre Wähleranteile zusammenzuführen und so ihre Wahlchancen zu verbessern.

… im Ständerat

Der Ständerat wird in den Kantonen mit wenigen Ausnahmen im Majorzverfahren gewählt. Diese Wahlen gelten als Persönlichkeitswahlen. Sie finden jeweils gleichzeitig mit den Wahlen in den Nationalrat statt. Im Kanton Appenzell Innerrhoden bestimmt die Landsgemeinde jeweils im April des Wahljahres den Standesvertreter oder die Standesvertreterin. Gewählt ist in den Kantonen üblicherweise, wer im ersten Wahlgang mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen (das absolute Mehr) erhält. Wird die absolute Mehrheit verfehlt, findet ein zweiter Wahlgang statt. Gewählt ist, wer das relative Mehr beziehungsweise die höchste Stimmenzahl erreicht.
Der Kanton Jura und seit 2011 der Kanton Neuenburg wählen als einzige Stände im Proporzverfahren. In Neuenburg hiess es, dass Linke und Bürgerliche gleichermassen den Kanton vertreten sollen. Ähnlich wird im Kanton Jura argumentiert. Die kleinen Parteien wandten dagegen ein, dass die Vertretung der beiden stärksten Kräfte dadurch zementiert werde. Sie sprachen sich deshalb für die Majorzwahl, die Persönlichkeitswahl, aus.

 

Header Bild: Landsgemeinde auf dem Zaunplatz in Glarus, Kanton Glarus
Photo Credits: Kanton Glarus, Samuel Trümpy Photography