Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates (SGK-NR) will dafür sorgen, dass Gutachten im Auftrag der Invalidenversicherung (IV) zugleich fair und effizient erstellt werden. Entsprechende Anträge beschloss sie zum Abschluss ihrer Beratungen über die Weiterentwicklung der IV.

Die Kommission hat die Weiterentwicklung der IV (17.022 n) in der Gesamtabstimmung mit 15 zu 0 Stimmen bei 7 Enthaltungen angenommen. Zum Abschluss der Detailberatung diskutierte sie eingehend über die Anforderungen an die Gutachtertätigkeit, die zugleich fair und effizient sein soll. Die Anforderungen gelten grundsätzlich für alle Sozialversicherungen (Art. 44 ATSG), sind in der Praxis aber vor allem für die IV und die Unfallversicherer relevant. Die Kommission will ausdrücklich festschreiben, dass Gutachterinnen und Gutachter unabhängig sein müssen. Einstimmig beantragt sie, dass die Gespräche zwischen Gutachtern und Begutachteten protokolliert werden. Weiter will sie den Bundesrat verpflichten, Kriterien für die Zulassung von medizinischen Gutachtern zu erlassen und eine Kommission aller betroffenen Kreise einzusetzen, welche auf einer generellen Ebene die Begutachtungen überwacht (17 zu 6 Stimmen). Mit diesen Massnahmen will die SGK-NR die Qualität der Gutachten sicherstellen. Zudem will sie wie der Bundesrat die Mitwirkungsrechte der Personen stärken, die sich einem Gutachten unterziehen müssen. Hingegen erachtet sie einen Ausbau der Beschwerdemöglichkeiten als nicht zielführend, da diese die Verfahren verlängerten; entsprechende Anträge lehnte sie ab.

Die Vorlage ist damit behandlungsreif für den Nationalrat, der sie voraussichtlich in der Frühjahrssession 2019 beraten wird. Die Kommission folgte bei der Weiterentwicklung der IV im Übrigen weitgehend den Vorschlägen des Bundesrates. Verschiedene Massnahmen sollen dazu beitragen, dass vor allem junge Erwachsene und psychisch Kranke nicht vorschnell eine Rente erhalten, sondern möglichst weitgehend im Erwerbsleben integriert werden und bleiben. Mit der Revision soll zudem ein stufenloses Rentensystem eingeführt werden anstelle des heutigen Modells mit vier Stufen. Abweichend vom Bundesrat beantragt die Kommissionsmehrheit, die Kinderrenten, die neu als Zulage für Eltern bezeichnet werden sollen, zu senken, um die Erwerbsanreize für kinderreiche Eltern zu stärken. (Siehe auch Medienmitteilungen vom 23. Februar 2018, 20. April 2018, 18. Mai 2018, 31. August 2018 und 26. Oktober 2018.)

ATSG-Reform abgeschlossen

Die Kommission hat die Detailberatung zur Vorlage 18.029 s «Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG). Änderung» geführt und diese in der Gesamtabstimmung mit 18 zu 7 Stimmen angenommen. Sie folgte dabei im Wesentlichen den Beschlüssen des Ständerates. So unterstützt sie ebenfalls die vom Bundesrat beantragte Einführung einer differenzierten Kostenpflicht der Verfahren vor kantonalen Versicherungsgerichten (16 zu 7 Stimmen; Art. 61 Bst. a und fbis ATSG). Die Kommission erwartet eine Entlastung der kantonalen Gerichte, weil negative Anreize zur Prozessverlängerung gemindert und unnötige Gerichtsfälle vermieden würden. Eine Minderheit lehnt die Kostenpflicht ab, da die bestehende Praxis in IV-Verfahren nicht zu einer Reduktion der Anzahl Verfahren vor kantonalen Gerichten beigetragen habe.

Wie die Kleine Kammer möchte die Kommission Sozialversicherungsabkommen nicht systematisch vom fakultativen Referendum ausnehmen. Dies käme einer Beschneidung der Volksrechte bei der Genehmigung von internationalen Abkommen gleich. Eine Minderheit will Standard-Sozialversicherungsabkommen mittels nicht referendumsfähigem Bundesbeschluss genehmigen. Sie folgt dem Bundesrat, da damit nur die bestehende Praxis festgeschrieben würde.

Falls eine Person wissentlich mit unwahren Angaben eine Versicherungsleistung erwirkt, soll ihr der Versicherer die Mehrkosten auferlegen können, die ihm durch eine Observation entstehen (Art. 45 Abs. 4). Diesem Grundsatz stimmte auch die Kommission zu. Mit Verweis auf die bereits verfassungsmässig garantierte Verhältnismässigkeit kam sie jedoch zum Schluss, die vom Ständerat eingebrachte Präzisierung, dass die Mehrkosten nur in angemessener Weise überwälzt werden müssten, sei unnötig (16 zu 7 Stimmen bei 1 Enthaltung).

Weitere Geschäfte

Die Kommission hat der Pa.Iv. Guhl. Gesundheitswesen. Systematische Zustellung einer Rechnungskopie an die Patienten (17.482) einstimmig Folge gegeben. Diese fordert, dass Leistungserbringer künftig sanktioniert werden, wenn sie das Zusenden der Rechnungskopien an Versicherte versäumen. Die Kommission unterstützt damit ausdrücklich eine ähnliche Massnahme, die der Bundesrat im ersten Kostendämpfungs-Paket vorgeschlagen hat. Sie verlangt zudem weitere Schritte, um Patientenrechnungen verständlicher zu gestalten und die Transparenz zu fördern.

Ebenfalls Folge gegeben hat die SGK-NR mit 15 zu 9 Stimmen der Pa.Iv. Herzog. Kaufkraftbereinigte Familienzulagen (17.483). Diese fordert, dass Kinder- und Ausbildungszulagen für im EU-Raum lebende Kinder kaufkraftbereinigt entrichtet werden. Die Kommission will damit übermässig hohe Zulagen für Kinder in Ländern mit geringer Kaufkraft vermeiden. Durch die Initiative würden die Sozialwerke entlastet und die Schlechterstellung von in der Schweiz wohnhaften Kinder beseitigt. Ein Teil der Kommission wies darauf hin, dass eine solche Regelung im Konflikt zu den bilateralen Verträgen mit der EU stehe.

Weiter beschloss die Kommission einstimmig, nicht an der Pa.Iv. Aebi Andreas. «Prämienregionen. Das Bewährte weiterführen» (16.494) festzuhalten, weil das Hauptanliegen bereits mit der Motion der Schwesterkommission «Aktuelle Einteilung der Prämienregionen beibehalten» (18.3713) aufgenommen wurde.

Die Kommission diskutierte die Ergebnisse der Vernehmlassung zum Vorentwurf, den sie zur Umsetzung der Pa.Iv. Einführung einer Adoptionsentschädigung (13.478; Romano) ausgearbeitet hatte. Der Vorentwurf sieht für erwerbstätige Eltern einen über die Erwerbsersatzordnung finanzierten Adoptionsurlaub von zwei Wochen vor, wenn ein unter 4-jähriges Kind adoptiert wird. Die Kommission nahm zur Kenntnis, dass ihr Vorschlag in der Vernehmlassung kontrovers aufgenommen wurde. Während diverse Teilnehmende den Adoptionsurlaub als unnötigen und nicht sachgerechten sozialpolitischen Ausbau grundsätzlich ablehnen, wurde er von anderer Seite als ersten Schritt in die richtige Richtung taxiert, der aber noch zu wenig weit gehe. Die Kommission gelangte in ihrer Beurteilung dieser Ergebnisse mit 10 zu 10 Stimmen bei 1 Enthaltung und Stichentscheid ihres Präsidenten zum Schluss, dass sie dem Nationalrat die Abschreibung der parlamentarischen Initiative beantragen wird. Die Adoption stelle ein eigenverantwortlicher Entscheid dar und es sei nicht Aufgabe des Staates, in diesen Fällen organisatorische Vorkehrungen finanziell zu unterstützen. Zudem knüpfe die Adoption im Unterschied zur Mutterschaft nicht an die Geburt und den Gesundheitsschutz der Mutter an, weshalb ein Vergleich mit der Mutterschaftsentschädigung nicht greife, wurde argumentiert. Die starke Kommissionsminderheit will den Auftrag an die Kommission insbesondere im Sinne des Wohls der adoptierten Kinder aufrechterhalten.

Die Kommission hat sich schliesslich ein Bild gemacht von der bevorstehenden Umteilung der Arzneimittel aus der Abgabekategorie C in die Abgabekategorien B und D. Sie hörte betroffene Kreise an, liess sich von Swissmedic informieren und wird an einer nächsten Sitzung prüfen, ob sie tätig werden sollte.

Die Kommission tagte am 15. und 16. November 2018 in Bern unter der Leitung von Thomas de Courten (SVP, BL).