Die Finanzkommissionen von National- und Ständerat beschäftigten sich an ihrem diesjährigen Finanzpolitischen Seminar in der zweisprachigen Einwohnergemeinde Leubringen/Magglingen (BE) intensiv mit traditionellen und innovativen geld- und fiskalpolitischen Instrumenten. Ausgehend von einer Standortbestimmung der aktuellen Wirtschaftslage haben sich die Finanzkommissionen mit der Frage befasst, inwiefern sich Geld- und Fiskalpolitik auf Investition und Innovation auswirken.

​Der Wahl des Themas liegen folgende Überlegungen zugrunde: Die Weltwirtschaft befindet sich in einer schwierigen Lage. Zwar deuten die Stimmungsindikatoren in vielen Ländern auf eine Fortsetzung des Konjunkturaufschwunges hin. Trotzdem verbleiben Unsicherheiten im Zusammenhang mit bspw. dem Brexit und der US-amerikanischen Handels- und Fiskalpolitik. Die Schweizer Wirtschaft leidet unter dem starken Franken. Kritiker monieren, dass die Geldpolitik an ihre Grenzen stösst. Arbeitsplätze sind durch Digitalisierung und De-Industrialisierung in Gefahr. Angesichts dessen hielten die Finanzkommissionen eine Diskussion, wo die Schweiz steht und was die Geld- und die Fiskalpolitik zur Verbesserung der aktuellen Lage beitragen können, für besonders relevant.

Herausforderungen der Geld- und Fiskalpolitik

Als Einstieg ins Seminar hat sich Beatrice Weder di Mauro, Professorin für Wirtschaftspolitik und internationale Makroökonomie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, ausgehend von einer globalen Perspektive mit der aktuellen Wirtschaftslage befasst. Sie hat aufgezeigt, dass die Nachwehen der globalen Finanzkrise noch spürbar sind und sich die Welt deshalb mit unterschiedlichen Herausforderungen konfrontiert sieht. Genannt wurden Währungsmanipulationen, niedrige Zinsen und die Währungskrise in Europa. Insbesondere betonte Professorin Weder di Mauro, dass die Auseinandersetzung mit dem Euro-Raum für die Schweiz auch in Zukunft zentral bleiben wird. Die Hoffnung, dass der Brexit die Herausforderungen der Schweiz mit der EU lösen wird, sei unrealistisch.

An einem runden Tisch diskutierten Vertretende aus Bundesverwaltung, Wissenschaft, Wirtschaft und Sozialpartnern zu den Themen aktuelle Wirtschaftslage, De-Industrialisierung sowie Investition und Innovation im Umfeld der aktuellen Geld- und Fiskalpolitik. Botschafter Eric Scheidegger, stellvertretender Direktor des SECO, beurteilte die aktuelle Wirtschaftslage aus nationaler Perspektive. Er zeigte auf, inwiefern das aktuelle Wirtschaftswachstum Auswirkungen auf Exporte, Innovation und Beschäftigung hat. Daniel Lampart, Sekretariatsleiter und Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, erkennt Handlungsbedarf unter anderem bei der Geldpolitik, da die Frankenüberbewertung den Exportsektor und damit das Lohnniveau und die Beschäftigung in der Schweiz unter Druck setze. Es gebe keine Alternative zu einer aktiven Wechselkurspolitik. Auch Hans Hess, Präsident von Swissmem, sieht die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizerischen Industrieunternehmen durch die aktuelle Geldpolitik geschwächt. Von zentraler Bedeutung zur Förderung von Innovation sei nebst der Geldpolitik auch eine Standortpolitik, die ein attraktives Investitionsklima ermöglicht. Nicola Thibaudeau, CEO der Micro Precision Systems AG, stellte aus Unternehmerinnensicht dar, welche Auswirkungen die Wirtschaftslage auf ihr Unternehmen hat und welche Möglichkeiten sie zur Innovation und Investition im Kontext der aktuellen Geld- und Fiskalpolitik sieht.

Neue Ansätze der Geldpolitik

Den Diskussionen der Finanzkommissionen zur Geldpolitik wohnten zwei Zentralbankpräsidenten bei. Thomas J. Jordan, Präsident des Direktoriums der Schweizerischen Nationalbank (SNB), stellte die Möglichkeiten und Grenzen der Geldpolitik der SNB dar. In seinem Referat hielt Herr Jordan fest, dass sich flexible Wechselkurse und eigenständige Geldpolitik für die Schweiz bisher bewährt haben, gerade auch in der aktuellen Krise und trotz Safe-Haven Währung. Der Geldpolitik seien allerdings Grenzen gesetzt, da weder kurzfristige Feinsteuerung der Konjunktur noch der Inflation möglich seien. Insgesamt lasse sich festhalten, dass Preisstabilität einen entscheidenden Beitrag für langfristiges Wachstum leiste. Zur Sicherung des Schweizer Wohlstands seien letztendlich Erhalt guter Rahmenbedingungen und Anpassungsfähigkeit und Innovationskraft der Unternehmen zentral.

Lars Rohde, Gouverneur der Dänischen Nationalbank, stellte den Finanzkommissionen die Eigenschaften der dänischen Geldpolitik dar. 1982 führte Dänemark nach einer Phase hoher und volatiler Inflation das heute noch geltende feste Wechselkurssystem ein. Seitdem sind die dänischen Leitzinsen an die EZB-Leitzinsen gekoppelt. Es lässt sich festhalten, dass sich Renditen dänischer Staatsanleihen sehr ähnlich wie die Renditen deutscher Bundesanleihen entwickeln. Ausserdem sinken die dänischen Langfristrenditen im Gleichschritt mit denen der Länder des Kern-Euroraums. Aus schweizerischer Sicht besonders interessant war zu erfahren, dass private Haushalte bisher weitestgehend von den Negativzinsen auf Bankeinlagen verschont blieben.

Im Sinne einer möglichen geldpolitischen Reform präsentierte Michaël Malquarti, der langjährige Erfahrung in leitenden Funktionen auf dem Genfer Finanzplatz besitzt, seine Forschungsarbeiten zur Schaffung von souveränem Geld ohne Kredit. Der SNB als unabhängige geldpolitische Instanz soll gestattet werden, jedem Bewohner eine «Geldration» zuzuteilen. Ziel dieses Systems, teils auch unter dem negativ besetzten Begriff des «Helikoptergeldes» bekannt, ist die Erhöhung der Kaufkraft der Privathaushalte, welche unter anderem zur Ankurbelung von Konsum und Investitionen beitragen soll. Aus Sicht von Herrn Malquarti kann die Schweiz zur Einführung dieses Modells eine Vorreiterrolle einnehmen. Dieses Referat hat zu einer angeregten Diskussion zwischen Finanzkommissionsmitgliedern, Vertretenden der Wissenschaft und den anwesenden Zentralbankpräsidenten geführt.

Neue Ansätze der Fiskalpolitik

Georg Ortner, Sekretär der SPÖ-Fraktion im österreichischen Nationalrat, präsentierte den Finanzkommissionen die vom österreichischen Bundeskanzler Kern unterstützte Wertschöpfungsabgabe. Mit der Besteuerung der Wertschöpfung eines Unternehmens wird ein gerechteres Verhältnis zur Finanzierung der Sozialsysteme zwischen Kapital und Arbeit angestrebt. Auch Maschinen, die zunehmend menschliche Arbeitskraft ersetzen und ergänzen, würden mit der diskutierten Abgabe einen Anteil zur Sicherung der Sozialsysteme leisten. Deren Unterfinanzierung durch die sich reduzierende Lohnquoten in Europa würde damit Vorschub geleistet. Eine mögliche Ausgestaltung, insbesondere die Bemessungsgrundlage und Steuersätze, ist Bestand der politischen Diskussion.

Als weiteres innovatives Instrument der Steuerpolitik befassten sich die Finanzkommissionen mit der sog. «Mikrosteuer», welche gemäss dessen Urheber auf sämtliche elektronische Zahlungen erhoben werden sollte. Marc Chesney, Professor für Quantitative Finance und Leiter des Instituts für Banking and Finance an der Universität Zürich, legte dar, inwiefern die Einführung einer Mikrosteuer Transparenz auf Finanzströme erzeugen, das Steuersystem vereinfachen und die Steuerlast der meisten Haushalte und Unternehmen reduzieren könnte. Mit einem Steuersatz von nur 0,2 Prozent auf jedwede elektronische Transaktion könnte der Bund rund 200 Milliarden Franken im Jahr einnehmen. Ziel sei, die Steuern auf Bundesebene schrittweise zu reduzieren bzw. zu ersetzen.

Gegenstand der Diskussionen waren auch internationale Steuerprojekte und deren Auswirkungen auf die Schweiz. In diesem Zusammenhang ging Jörg Gasser, Staatssekretär für internationale Finanzfragen, insbesondere auf das BEPS-Projekt und die Finanztransaktionssteuer, deren Möglichkeiten und Grenzen für die Schweiz sowie deren Umsetzungsstand bzw. Stand der Diskussionen ein. Die Auswirkungen von BEPS auf die Wahl der Unternehmensstandorte seien allerdings schwer abzuschätzen. Staatssekretär Gasser betonnte vor diesem Hintergrund die Wichtigkeit der Steuervorlage 2017.

Schliesslich präsentierte Stéphane Garelli, emeritierter Professor am IMD und an der Universität Lausanne, sein Konzept einer Investitions- und Infrastrukturbank für die Schweiz, welche sowohl die Funktion der Weltbank zur Finanzierung von Infrastrukturen als auch die klassische Aufgabe von Kantonalbanken zur Entwicklung der regionalen Wirtschaft unter einem Dach vereinen soll. Zu diesem Zweck soll ein Teil der Währungsreserven der SNB (derzeit: 731 Mrd. Franken) für notwendige Investitionen in klassischer (Strasse, Schiene, Energie, Tourismus, usw.), technischer (Forschung, Start-ups, usw.) und gesellschaftlicher Infrastruktur (Gesundheit, Bildung, usw.) eingesetzt werden.

Das Finanzpolitische Seminar der Finanzkommissionen der eidg. Räte fand am 3. und 4. Juli 2017 unter der Leitung der Tagungspräsidentin, Nationalrätin Margret Kiener Nellen (SP/BE), in Magglingen statt. Das Seminar wird jeweils im Kanton der Präsidentin bzw. des Präsidenten der für die Organisation verantwortlichen Kommission durchgeführt. Ein solches Seminar bietet auch Gelegenheit, einen Austausch mit dem Gastkanton zu pflegen. Im Rahmen eines gemeinsamen Nachtessens trafen sich die Finanzkommissionen deshalb mit Regierungsrätin Beatrice Simon. Die Finanzdirektorin des Kantons Bern überbrachte eine Grussbotschaft der Berner Regierung und legte die Vorzüge des Kantons Bern als hervorragender Bildungs- und Industriestandort mit hoher Lebensqualität dar.