Wahl der neuen Präsidentin der IPU
Alle drei Jahre wählen die Mitglieder der IPU ihren Präsidenten oder ihre Präsidentin nach einem Prinzip der Rotation zwischen den sechs geopolitischen Gruppen.
Die diesjährige Wahl war besonders wichtig für die Gruppe der Zwölf Plus, da mit dem Ende des Mandats des bisherigen Präsidenten, dem portugiesischen Abgeordneten Duarte Pacheco, eine neue Ära für die afrikanische Gruppe eingeläutet wurde. Zudem brachte der Umstand, dass die Wahl in Angola, einem afrikanischen Land mit historischen Verbindungen zu Portugal, stattfand, eine gewisse Symbolik mit sich. Und schliesslich kehrte mit dieser Wahl auch eine Frau an die Spitze der Organisation zurück, da ausschliesslich Frauen zur Wahl standen (aus Tansania, Senegal, Somalia und Malawi). Bei der Stimmabgabe (drei Stimmen pro Delegation, sofern beide Geschlechter vertreten waren) berücksichtigten die Delegierten Aspekte wie die politische Erfahrung, die Erfahrung innerhalb der IPU, die Gewaltenteilung in den Kandidatenländern und die Kenntnisse in internationalen Angelegenheiten.
Tulia Ackson aus Tansania übertraf mit 172 Stimmen ihre Konkurrentinnen aus Malawi (61 Stimmen), Senegal (59 Stimmen) und Somalia (11 Stimmen) deutlich. Bei der Bekanntgabe des Wahlergebnisses riefen ihre Anhänger als Ausdruck ihrer Freude wiederholt ihren Namen. Tulia Ackson wurde im ersten Durchgang gewählt, erreichte sie doch mit Leichtigkeit die absolute Mehrheit (152 Stimmen). Es herrschte eine in der IPU selten gesehene Feierstimmung. Die scheidende Präsidentin der afrikanischen Gruppe hatte die Unterstützung eines Grossteils der Mitglieder dieser geopolitischen Gruppe. Dieses deutliche Ergebnis verschafft der neuen IPU-Präsidentin Legitimität und lässt alle Gerüchte – ob begründet oder nicht –, die während des Wahlkampfes im Umlauf waren, verstummen.
Tulia Ackson, 31. IPU-Präsidentin und dritte Frau1 in diesem Amt.
Dringlichkeitsantrag
Gemäss IPU-Reglement kann beantragt werden, die Tagesordnung der Versammlung um eine Dringlichkeitsdebatte zu ergänzen. An der 147. Versammlung wurden angesichts der Ereignisse in Israel und im Gazastreifen zwei Anträge zur Abstimmung gebracht. Beide betrafen den Konflikt zwischen Israel und der Hamas, jedoch mit sehr unterschiedlichen Sichtweisen.
Die Gruppe der Zwölf Plus hatte unter der Leitung von Kanada, Frankreich und anderen Ländern einen Entwurf ausgearbeitet, der innerhalb der Gruppe einstimmige Unterstützung fand («Für eine gemeinsame Basis für den Frieden» [E/F]). Dieser Entwurf wurde auch von der GRULAC («Group of Latin America and the Caribbean») unterstützt. Der Antrag der Zwölf Plus verlangte die sofortige Freilassung der Geiseln, erkannte die schwerwiegende humanitäre Krise im Gazastreifen an, betonte, dass die Charta der Vereinten Nationen das Selbstverteidigungsrecht Israels unter absoluter Einhaltung des Völkerrechts garantiert, und erkannte gleichzeitig das legitime Bestreben der palästinensischen Bevölkerung an, einen eigenen Staat zu gründen. Mit dem Entwurf sollte auch die Fortführung und die Ausweitung der humanitären Hilfe gefördert werden. Er enthielt zudem die dringende Empfehlung, einen humanitären Korridor nach Gaza zu öffnen und offen zu halten, über den vertrauenswürdige Partner unter Ausschluss der Hamas mit humanitärer Nothilfe unterstützt werden können. Der andere Antrag wurde von einer Gruppe von Parlamentsmitgliedern aus Algerien, Kuwait, Indonesien, dem Iran und Südafrika eingereicht und forderte die Beendigung des Krieges und der Menschenrechtsverletzungen in Gaza [E/F].
Gemäss den Regeln der IPU muss ein Dringlichkeitsantrag zwei Drittel der abgegebenen Stimmen auf sich vereinen. Bei der Abstimmung erhielt der Antrag von Indonesien 607 Stimmen und 439 Gegenstimmen, jener der Zwölf Plus 507 Stimmen und 306 Gegenstimmen. Da keiner der beiden Anträge die nötige Zweidrittelmehrheit erlangte, wurde keine Dringlichkeitsdebatte auf die Tagesordnung gesetzt.
Die Bekanntgabe des Resultats löste Protestrufe aus. Es herrschte eine chaotische Stimmung. Dennoch beendete der Präsident, nachdem er verschiedenen Vertreterinnen und Vertretern der arabischen Gruppe und der Zwölf Plus das Wort erteilt hatte, dem Reglement entsprechend die Sitzung.
Erklärung von Luanda
Die Erklärung von Luanda, die sich auf die Redebeiträge an der Generaldebatte stützt, unterstreicht, dass den Parlamenten eine entscheidende Rolle beim Erreichen des UNO-Nachhaltigkeitsziels 16 (SDG 16: Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen) zukommt. Die Delegierten erkennen an, dass die Good Governance grundlegende Voraussetzung für das Erreichen der Nachhaltigkeitsziele und für den Erfolg des gemeinsamen Kampfes gegen Armut, Ungleichheit, Konflikte und ökologische Herausforderung ist. Die Erklärung betont die Notwendigkeit, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Institutionen zu stärken und eine aktive Bürgerbeteiligung auf allen institutionellen Ebenen zu fördern. Auch die Wichtigkeit der Rechtsstaatlichkeit, der Korruptionsbekämpfung und der Verbesserung des Rechtssystems wird hervorgehoben. Zudem wird dazu aufgerufen, auf eine Beilegung der globalen Konflikte hinzuarbeiten, die menschliche Sicherheit zu erhöhen sowie die Frauen und junge Menschen stärker in den Friedensprozess einzubeziehen. Im Hinblick auf die weltweite Evaluation des SDG 16 im Jahr 2024 regen die Parlamentsmitglieder zu vertieften Prüfungen auf nationaler Ebene an und verpflichten sich, die Erkenntnisse zu teilen, um gute parlamentarische Praktiken zu fördern. Nationalrat Thomas Hurter sprach im Namen der Schweizer Delegation und plädierte für eine bessere Zukunft und starke Institutionen sowie eine Intensivierung der internationalen Zusammenarbeit.
Ständige Kommissionen
Die ständigen Kommissionen für Frieden und internationale Sicherheit, für nachhaltige Entwicklung sowie für Demokratie verabschiedeten ihre «Schwerpunktthemen» bis 2026, um die Umsetzung der IPU-Strategie zu unterstützen. Mit diesen Themen soll die Arbeit der IPU-Sekretariate harmonisiert und die Qualität der Resolutionen erhöht werden.
Resolution
Die ständige Kommission für Demokratie und Menschenrechte beriet die Resolution «Rolle der Parlamente bei der Bekämpfung von Kinderhandel in Waisenhäusern». Diese Resolution fordert die Mitgliedsparlamente der IPU auf, ihre Regierungen zu ersuchen, illegalen internationalen Adoptionen besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Ausserdem fordert sie die Anerkennung erwiesener Fälle illegaler Adoption und die Anerkennung der betroffenen Personen als Opfer. Die Schweizer Delegation wurde an dieser Sitzung von Nationalrat Christain Lohr und Nationalrätin Laurence Fehlmann Rielle vertreten. Das Büro der Kommission entschied in Luanda, dass die nächste Resolution, die an der 149. Versammlung im Oktober 2024 beraten wird, dem Thema künstliche Intelligenz und Menschenrechte gewidmet sein soll. Zudem beriet das Büro den Vorschlag von Christian Lohr, im März 2024 im Rahmen der 148. Versammlung der IPU ein Rundtischgespräch über nachhaltige Massnahmen zur Verbesserung der Lebensbedingungen, Bildungs- und Arbeitsmöglichkeiten eingeschlossen, von Menschen mit Behinderung zu organisieren.
Motion der Kommission für Angelegenheiten der Vereinten Nationen
Die ständige Kommission für Angelegenheiten der Vereinten Nationen verabschiedete ihre erste Motion, mit der die Gleichheit zwischen den Geschlechtern in der Generalversammlung der Vereinten Nationen begünstigt werden soll. Die Kommission betont, dass die Gleichstellung der Geschlechter ein wichtiger Katalysator für Demokratie und nachhaltige Entwicklung ist, und liegt damit auf einer Linie mit den internationalen Verpflichtungen, die unter anderem in der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung formuliert sind. Die Motion schlägt konkrete Massnahmen vor, so zum Beispiel die Überarbeitung der nationalen Rekrutierungsverfahren im Hinblick auf die Gewährleistung der Chancengleichheit, die Festlegung von Fristen, innert denen eine ausgewogene Geschlechtervertretung in den diplomatischen Korps erreicht sein muss, die Überprüfung der Geschlechterverteilung bei den diplomatischen Ernennungen der Regierungen sowie die jährliche Feier des internationalen Tags der Frauen in der Diplomatie.
Neubesetzungen
Verschiedene Mitglieder der Schweizer Delegation übernahmen an der 147. Versammlung neue Ämter. Nationalrätin Christine Badertscher wurde in die hochrangige Beratergruppe zur Bekämpfung von Terrorismus und gewalttätigem Extremismus gewählt. Nationalrätin Laurence Fehlmann Rielle dagegen nimmt neu Einsitz im Komitee für den Schutz der Menschenrechte von Parlamentsmitgliedern.
Die Schweizer Delegation setzte sich aus folgenden Ratsmitgliedern zusammen:
1. Nationalrat Thomas Hurter (SVP, SH), Vizepräsident der Delegation,
2. Nationalrätin Christine Badertscher (Grüne, BE),
3. Ständerat Andrea Caroni (FDP, AR),
4. Nationalrätin Laurence Fehlmann Rielle (SP, GE)
5. Nationalrat Christian Lohr (Die Mitte, TG),
6. Nationalrat Laurent Wehrli (FDP, VD).
1 1. Präsidentin: Najma Heptulla aus Indien (1999-2002) ; 2. Präsidentin: Mme Gabriela Cuevas aus Mexiko (2017-2020)
Rede von Nationalrat Thomas Hurter in der Generaldebatte
Erstmalige Teilnahme von Nationalrat Laurent Wehrli an einer Sitzung des Büros der ständigen Kommission für Frieden und internationale Sicherheit
Nationalrätin Laurence Fehlmann Rielle an der Sitzung des Komitees für Fragen des Nahen Ostens
Die Nationalrätinnen Christine Badertscher und Laurence Fehlmann Rielle an der Sitzung der ständigen Kommission für nachhaltige Entwicklung
Nationalrat Christian Lohr an der Sitzung der ständigen Kommission für Demokratie und Menschenrechte

Strategisches Gespräch in der Schweizer Delegation: die Nationalräte Thomas Hurter (rechts) und Laurent Wehrli (links)

Wahl der Kandidatin aus Tansania, Tulia Ackson, zur 31. Präsidentin der IPU

Wahl der Kandidatin aus Tansania, Tulia Ackson, zur 31. Präsidentin der IPU
Ein historischer Moment: die neue IPU-Präsidentin Tulia Ackson, der scheidende Präsident Duarte Pacheco, die angolanische Parlamentspräsidentin Carolina Cerqueira und IPU-Generalsekretär Martin Chungong (von rechts nach links)
Nationalrat Christian Lohr gratuliert der neuen Präsidentin der IPU, Tulia Ackson (Tansania)
Emotionaler Moment: Der Generalsekretär verabschiedet den scheidenden Präsidenten, Duarte Pacheco (Portugal)

Die Präsidentinnen und Präsidenten der Gruppen und Delegationen bei der Eröffnungszeremonie. Für die Schweiz: Nationalrat Christian Lohr