Um die Covid-19-Epidemie zu bekämpfen und ihre Folgen zu mildern, soll der Bundesrat bestimmte Massnahmen wenn nötig bis Ende 2021 weiterführen dürfen. Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates (SGK-N) unterstützt das Covid-19-Gesetz. Sie will aber die Vorgaben für den Bundesrat in mehreren Punkten präzisieren. So soll er beim Covid-19-Erwerbsersatz sicherstellen, dass nur dann Entschädigungen ausgerichtet werden, wenn ein Erwerbsausfall nachgewiesen werden kann.

Mit 18 zu 6 Stimmen bei 1 Enthaltung hat die Kommission in der Gesamtabstimmung das dringliche Bundesgesetz über die gesetzlichen Grundlagen für Verordnungen des Bundesrates zur Bewältigung der Covid-19-Epidemie (Covid-19-Gesetz; 20.058) angenommen. Dieses schafft die gesetzlichen Grundlagen für all jene Massnahmen, die der Bundesrat bisher direkt auf die Verfassung stützen musste und die er wenn nötig weiterführen können soll. Die Kommission konnte bei ihren Beratungen auf die Vorarbeit von fünf anderen Kommissionen aufbauen. Sie stellt ihrem Rat insbesondere folgende Anträge, die vom Entwurf des Bundesrates abweichen:

  • Grundsätze: Der Bundesrat soll nicht nur die Kantone, sondern auch die Dachverbände der Sozialpartner einbeziehen, wenn er Massnahmen erarbeitet (22 zu 2 Stimmen). Zudem soll er das Parlament regelmässig über die Umsetzung des Gesetzes informieren und die zuständigen Kommissionen frühzeitig zu geplanten Verordnungen konsultieren (einstimmig).
    Wenn der Bundesrat und die Kantone Massnahmen anordnen, sollen sie sich an zeitlich und regional vergleichbaren Daten orientieren, die auf die Gefahr einer Überlastung des Gesundheitssystems, erhöhter Sterblichkeit und von schweren Krankheitsverläufen hindeuten (einstimmig).
  • Ausländerrecht: Wenn der Bundesrat die Einreise oder den Aufenthalt von Ausländerinnen und Ausländern einschränkt, soll dies den Familiennachzug und die Einreise von Konkubinatspartnerinnen und –partnern sowie ihrer Kinder nicht tangieren (19 zu 4 Stimmen bei 2 Enthaltungen).
  • Kultur: Das Bundesamt für Kultur soll 2021 insgesamt bis zu 100 Millionen Franken einsetzen können, um zusammen mit einem oder mehreren Kantonen Kulturunternehmen zu unterstützen (14 zu 10 Stimmen); der Bundesrat hatte höchstens 80 Millionen Franken vorgesehen.
  • Erwerbsersatz: Der Bundesrat soll sicherstellen, dass Entschädigungen nur dann ausgerichtet werden, wenn ein Erwerbsausfall nachgewiesen werden kann (21 zu 0 Stimmen bei 2 Enthaltungen). Zudem sollen Arbeitgeber, die besonders gefährdeten Angestellten bei einem faktischen Berufsausübungsverbot weiterhin den Lohn zahlen, eine Rückerstattung aus dem Covid-19-Erwerbsersatz beanspruchen können (14 zu 11 Stimmen).
  • Kurzarbeitsentschädigung: Der Bundesrat soll auch für Mitarbeitende auf Abruf, befristet Angestellte, Lernende und Personen, die für Temporärarbeit vermittelt werden, Kurzarbeitsentschädigungen vorsehen können (13 zu 11 Stimmen bei 1 Enthaltung).
  • Pensionskasse: Die auf Anfang 2021 in Kraft tretende Regelung, wonach jemand, der im Alter von über 58 Jahren entlassen wird, in der bisherigen Pensionskasse bleiben kann, soll bereits ab August 2020 greifen (16 zu 7 Stimmen bei 2 Enthaltungen).
  • Strafbestimmungen: Wer nur fahrlässig gegen das Covid-19-Gesetz verstösst, soll nicht gebüsst werden (19 zu 2 Stimmen bei 3 Enthaltungen).

Mit 13 zu 12 Stimmen lehnte die Kommission es ab, die finanzielle Unterstützung von Institutionen der familienergänzenden Kinderbetreuung durch den Bund weiterhin zu ermöglichen, da dies eine Aufgabe der Kantone sei.

Im Hinblick auf die Beratung im Nationalrat wurden 33 Minderheitsanträge eingereicht.

Mit einer Motion will die Kommission schliesslich den Bundesrat beauftragen, die Eventbranche finanziell zu unterstützen (11 zu 5 Stimmen bei 7 Enthaltungen). Der Bundesrat hat bis zur Wintersession Zeit, dazu Stellung zu nehmen.

Dringliche Gesetzesänderungen zur Finanzierung der Arbeitslosenversicherung und zur Sicherung der Freizügigkeitsguthaben

Im Zusammenhang mit der Coronakrise hat die Kommission zwei weitere dringliche Gesetzesänderungen beraten, die in der Herbstsession verabschiedet werden sollen. Einstimmig zugestimmt hat die Kommission der Änderung des Arbeitslosenversicherungsgesetzes zur Zusatzfinanzierung der Arbeitslosenversicherung (20.057). Mit dieser Vorlage wird die gesetzliche Grundlage für den vom Parlament bereits beschlossenen zweiten ausserordentlichen Beitrag des Bundes von maximal 14,2 Milliarden Franken an die Arbeitslosenversicherung geschaffen. Auch den Entwurf des Bundesrates zu einer dringlichen Änderung des Bundesgesetzes über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge hat die Kommission einstimmig gutgeheissen (20.056). Damit schliesst sie sich der Schwesterkommission an, welche die Vorlage bereits vorberaten hat. Die auf drei Jahre befristete Änderung soll der Stiftung Auffangeinrichtung ermöglichen, Freizügigkeitsguthaben von maximal 10 Milliarden Franken auf einem Nullzinskonto bei der Bundestresorerie anzulegen. Die Stiftung Auffangeinrichtung ist gesetzlich verpflichtet, Freizügigkeitsgelder von Personen anzunehmen, die nach einem Arbeitsverhältnis nicht sofort in ein neues Arbeitsverhältnis treten. Das Nullzinskonto soll ihr ermöglichen, die von ihr verwalteten Freizügigkeitsgelder in einem Umfeld von pandemiebedingten Schwankungen auf den Finanz- und Arbeitsmärkten zu decken. Beide Gesetzesänderungen hatte die Kommission bereits vor der Sommersession in Schreiben an den Bundesrat angeregt.

Referenzpreissystem für patentabgelaufene Medikamente abgelehnt

Mit 17 zu 0 Stimmen bei 8 Enthaltungen hiess die Kommission in der Gesamtabstimmung das Paket 1b der Massnahmen zur Kostendämpfung in der Krankenversicherung (19.046) gut. In der Detailberatung über die drei Massnahmen lehnte sie das vom Bundesrat vorgeschlagene Referenzpreissystem für patentabgelaufene Arzneimittel mit 16 zu 8 Stimmen bei 1 Enthaltung ab. Stattdessen will sie mit mehreren Massnahmen, die der Bundesrat teilweise auf Verordnungsebene umsetzen kann, rasch dafür sorgen, dass die Kosten sinken: Der Preisabstand zwischen Originalmedikamenten und Generika soll vergrössert werden, die Preise im generikafähigen Markt sollen jedes Jahr statt alle drei Jahre überprüft werden und der Parallelimport von Generika soll zugelassen werden. Diese Möglichkeit des Parallelimports beantragt die Kommission mit 12 zu 9 Stimmen bei 4 Enthaltungen. Zudem will die Kommission den Marktanteil von Generika erhöhen und dafür beim Vertriebsanteil ansetzen, um günstigere Medikamente attraktiver zu machen. In diesem Zusammenhang beschloss sie eine Motion zur Frage des Vertriebsanteils, dessen Anpassung jedoch nicht zulasten einer guten medizinischen Grundversorgung gehen soll. Weiter beschloss die Kommission ein Postulat zur Frage der Versorgungssicherheit. Die Kommission kam auf ihren Beschluss von Ende Juni 2020 zurück, wonach Apotheken und selbstdispensierende Ärzte das preisgünstigste Arzneimittel abgeben müssen. Stattdessen folgte sie beim Substitutionsrecht dem Entwurf des Bundesrates (15 zu 9 Stimmen bei 1 Enthaltung).

Bei der Steuerung der Kosten unterstützt sie mit 12 zu 11 Stimmen bei 1 Enthaltung grundsätzlich den Entwurf des Bundesrates. Sie beantragt aber einstimmig die Ergänzung, wonach in den betroffenen Tarifverträgen nicht nur Massnahmen zur Steuerung der Kosten vorzusehen sind, sondern auch degressive Tarife zur Korrektur bei ungerechtfertigten Mengenerhöhungen und Kosten. Weiter beantragt die Kommission mit 16 zu 8 Stimmen bei 1 Enthaltung eine neue Bestimmung zur Stärkung des Wettbewerbs. Versicherer und Leistungserbringer sollen jederzeit günstigere Preise oder Tarife vereinbaren können als in den Tarifverträgen festgelegt oder von den Behörden festgesetzt. Die so erzielte Einsparung soll einerseits den Versicherten und andererseits dem Versicherer zugutekommen.

Mit 17 zu 8 Stimmen unterstützt die Kommission das vom Bundesrat vorgeschlagene Beschwerderecht der Versicherer gegen die Spitalplanungen der Kantone. Mit 22 zu 1 Stimme bei 2 Enthaltungen beantragt sie, solchen Beschwerden die aufschiebende Wirkung zu entziehen.

Indirekter Gegenvorschlag zur Pflegeinitiative

In der Differenzbereinigung über den indirekten Gegenvorschlag (19.401) zur Volksinitiative «Für eine starke Pflege» hält die Kommission daran fest, dass die Kantone verpflichtet werden sollen, angehende Pflegefachkräfte während der Ausbildung mit einem Beitrag an den Lebensunterhalt zu unterstützen (14 zu 11 Stimmen); der Bund soll sich an den Kosten beteiligen. Was die Kompetenzen der Pflegefachpersonen betrifft, schliesst sich die Kommission der vom Ständerat beschlossenen Erweiterung an: Pflegefachleute sollen Pflegeleistungen nicht nur selber erbringen, sondern auch einfachere Arbeiten an weniger gut qualifiziertes Personal delegieren können (20 zu 5 Stimmen). Knapp lehnt die Kommission die vom Ständerat beschlossene Bedingung ab, dass Pflegefachpersonen, Spitexorganisationen und Pflegeheime die in eigener Kompetenz erbrachten Leistungen nur dann abrechnen können, wenn sie mit den Krankenversicherern vorgängig eine Vereinbarung abgeschlossen haben (13 zu 12 Stimmen).

Covid-19: Aussprache zur gesundheitspolitischen Lage

Die Kommission führte mit Bundesrat Alain Berset eine konstruktive Aussprache zur gesundheitspolitischen Lage angesichts der zunehmenden Fälle von Covid-19. Dabei liess sich die Kommission insbesondere versichern, dass die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen funktioniert und die Pandemie dank Contact Tracing unter Kontrolle gehalten werden kann. Auch ist die Schweiz auf die kommende Grippesaison vorbereitet, eine Grippeimpfung ist in genügenden Dosen vorhanden. In einem Schreiben an den Bundesrat empfiehlt sie jedoch, in der Kommunikation der Covid-19-Zahlen mehr Transparenz zu schaffen. So sollen mehr Details zu den einzelnen Meldungen wie Alters- und Kantonsangaben veröffentlicht werden. Der Datenschutz muss dabei jederzeit gewährleistet sein.

Qualitätsentwicklung: Einbindung der Pflege und Transparenz stärken

Die Kommission liess sich über den Entwurf des Bundesrates zur Änderung der Verordnung über die Krankenversicherung (KVV) informieren, mit welchen die bereits verabschiedeten Massnahmen zur Stärkung der Qualität und Wirtschaftlichkeit im Krankenversicherungsgesetz (15.083) umgesetzt werden sollen. Die Kommission empfiehlt dem Bundesrat in einem Schreiben, dass in der neu zu schaffenden Eidgenössischen Qualitätskommission neben den Spitälern und der Ärzteschaft auch die Pflege vertreten ist. Weiter soll die Transparenz der Daten zur Qualitätsentwicklung auf Ebene der Spitäler verstärkt werden.

Die Kommission tagte am 27. und 28. August 2020 in Bern unter der Leitung von Ruth Humbel (CVP, AG) und teilweise in Anwesenheit der Bundesräte Alain Berset und Guy Parmelin sowie des Bundeskanzlers Walter Thurnherr.