Massnahmen der AHV, die aktuell nur Ehepaaren vorbehalten sind, sollen gemeinsam betrachtet werden. Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates (SGK-N) wird bei der Detailberatung der vom Bundesrat vorgeschlagenen Reform der Hinterlassenenrenten auch über die Plafonierung der Renten von Ehepaaren und weitere zivilstandsbezogene Massnahmen diskutieren.

Die Kommission ist mit 22 zu 2 Stimmen bei 1 Enthaltung auf den Entwurf des Bundesrates zur Änderung des AHVG betreffend die Anpassung der Hinterlassenenrenten (24.078) eingetreten. Sie teilt die Ziele des Bundesrates, die Renten auf die Zeit der Betreuung und Ausbildung von Kindern auszurichten und Gleichstellung zwischen den Geschlechtern zu schaffen. Anlass zur Gesetzesänderung gab ein Urteil des EGMR, der eine Ungleichbehandlung zwischen Witwern und Witwen feststellte. Mit der Vorlage will der Bundesrat diese Ungleichbehandlung aufheben. Renten sollen neu unabhängig vom Zivilstand an die hinterlassene Mutter oder den hinterlassenen Vater ausbezahlt werden, bis das jüngste Kind 25 Jahre alt geworden ist. Die laufenden, lebenslangen Renten für Personen ab 55 Jahren sollen von der Reform ausgenommen werden. Ebenso enthält die Vorlage Massnahmen zur Unterstützung von Personen, die erwachsene Kinder betreuen, besonders armutsgefährdet sind oder nach heutigem Recht eine Rente erhalten. Insgesamt würde die Vorlage die Ausgaben der AHV im Bereich der Hinterlassenenrenten langfristig reduzieren. Zwei Minderheiten beantragen, die Vorlage an den Bundesrat zurückzuweisen. Sie fordern laufende Renten sowie Personen ab 50 Jahren, beziehungsweise Personen ab 30 Jahren mit Kindern, ganz von der Reform auszunehmen (mit 13 zu 12 Stimmen bzw. 17 zu 8 Stimmen abgelehnt).

Die Kommission wird die Beratungen über die konkrete Ausgestaltung der Reform an der nächsten Sitzung aufnehmen und dann auch darüber diskutieren, ob sie die Vorlage ergänzen und als indirekten Gegenvorschlag zur Volksinitiative «Ja zu fairen AHV-Renten auch für Ehepaare» (25.035) vorschlagen will. Im Gegenzug hat sie sich dagegen ausgesprochen, eine eigene Vorlage als indirekten Gegenvorschlag zu lancieren. Die Volksinitiative verlangt, die Plafonierung der Renten für Ehepaare in der AHV und der IV aufzuheben. Beziehen beide Personen eine Rente, wird ihnen zusammen heute höchstens 150 Prozent der massgebenden Maximalrente ausbezahlt. 2023 betraf dieser Plafonds knapp 9 von 10 verheiratete Rentnerpaare; ohne Plafonds wären deren Renten durchschnittlich um 300 Franken höher gewesen. Die Abschaffung des Plafonds würde die AHV im Jahr 2030 geschätzt 3,8 Milliarden Franken zu stehen kommen. Da fast alle Ehepaare im Rentenalter betroffen sind, sieht die Kommission Handlungsbedarf. Aus ihrer Sicht ist die Plafonierung aber zusammen mit anderen Massnahmen der AHV zu betrachten, die Ehepaaren vorbehalten sind: Die Beitragsbefreiung für Nichterwerbstätige, die Einkommensteilung sowie der Rentenzuschlag für verwitwete Personen. Die Kommission hat auf der Grundlage von Anträgen für Kommissionsinitiativen verschiedene Konzepte diskutiert, mit denen diese Elemente geändert würden. Sowohl auf eine Umsetzung der Volksinitiative fokussierte Vorschläge als auch umfassende Vorschläge zu einer zivilstandsunabhängigen AHV fanden keine Mehrheit. Die Kommission wird ihre Diskussionen zu einigen dieser Elemente nun im Rahmen der Reform der Hinterlassenenrente fortsetzen.

Zum Einstieg der Beratungen der Volksinitiative hat die Kommission Vertretungen des Initiativkomitees sowie der Sozialpartner angehört.

Mit höherer Kostenbeteiligung Bagatellfälle von den Spitalnotaufnahmen abwenden

Nach Kenntnisnahme von den Vernehmlassungsergebnissen hat die Kommission mit 13 zu 12 Stimmen ihren Entwurf zur Umsetzung der pa. Iv. (Weibel) Bäumle «Gebühr für Bagatellfälle in der Spitalnotfallaufnahme» (17.480) zuhanden des Nationalrates verabschiedet. Sie hat festgestellt, dass es zwar zahlreiche kritische Stimmen gibt, bestimmte Kantone aber eine gezielte Erhöhung der Kostenbeteiligung einführen möchten, um so eine abschreckende Wirkung zu erzielen und die Spitalnotaufnahmen zu entlasten. Die Kommission will diesen Kantonen entsprechende Massnahmen ermöglichen und hat daher mit 13 zu 11 Stimmen bei 1 Enthaltung beschlossen, auf das Geschäft einzutreten.

In der Detailberatung hat sich die Kommission mit 13 zu 8 Stimmen bei 4 Enthaltungen für die einschneidendere der beiden in die Vernehmlassung geschickten Varianten ausgesprochen. Diese sieht vor, dass Versicherten bei jedem Aufsuchen der Spitalnotaufnahme ein Zuschlag von 50 Franken auf den Selbstbehalt erhoben wird. Dieser Zuschlag ist im Rahmen der Kostenbeteiligung ungeachtet der Höhe des bereits bezahlten Selbstbehalts zu zahlen, sobald die versicherte Person die jährliche Franchise erreicht hat. Die andere Variante, die eine Erhöhung des jährlichen Höchstbetrags des Selbstbehalts um 50 Franken für jedes Aufsuchen der Spitalnotfallaufnahme vorsieht, wird dem Rat als Minderheitsantrag unterbreitet. Die Kompetenz zur Einführung und Umsetzung dieser Massnahme soll bei den Kantonen liegen.

Gemäss Vorentwurf sind Schwangere, Kinder und Personen, die von einer Ärztin oder einem Arzt, einem Zentrum für Telemedizin oder einer Apothekerin oder einem Apotheker schriftlich in die Spitalnotaufnahme überwiesen werden, von dieser Regelung ausgenommen. Gestützt auf die Rückmeldungen aus der Vernehmlassung hat die Kommission mit 20 zu 4 Stimmen bei 1 Enthaltung entschieden, auch Personen von der Regelung auszunehmen, die über eine kantonale Notfallnummer an die Spitalnotaufnahme überwiesen oder von Krankentransport- und Rettungsdiensten eingeliefert werden. Der Zuschlag gilt nur für Personen, die der obligatorischen Krankenpflegeversicherung unterstellt sind.

Eine starke Minderheit der Kommission ist der Meinung, dass die Umsetzung des Entwurfs erheblichen administrativen Mehraufwand generieren würde, ohne jedoch einen Nutzen zu bringen. Aus ihrer Sicht müssen die zahlreichen negativen Rückmeldungen aus der Vernehmlassung berücksichtigt werden, weshalb sie Nichteintreten beantragt. Weitere Minderheiten beantragen, auf eine Kompetenzübertragung an die Kantone zu verzichten und stattdessen eine Umsetzung auf Bundesebene vorzusehen oder auch Personen von der Regelung auszunehmen, die in einem Alters- und Pflegeheim wohnen oder wegen eines psychiatrischen Notfalls die Spitalnotaufnahme konsultieren.

Als Nächstes erhält nun der Bundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme, bevor der Entwurf dann vom Nationalrat behandelt wird.

Förderung der beruflichen Eingliederung von Menschen mit Behinderungen mittels Unterstützungsleistungen für Arbeitgeber und Eingliederungsmassnahmen

Die Kommission hat sich mit dem Entwurf zur Revision desBehindertengleichstellungsgesetzes (25.020) befasst. Mit 17 zu 7 Stimmen unterstützt sie Eintreten auf die Vorlage und hat beschlossen, der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur in einem Mitbericht ihre Anträge zu unterbreiten. Mit 15 zu 7 Stimmen bei 1 Enthaltung beantragt die Kommission, die Bestimmungen im Entwurf, die sich auf die privatrechtlichen Arbeitsverhältnisse beziehen, zu überarbeiten mit dem Ziel, wirksame Unterstützungsmassnahmen zur beruflichen Eingliederung von Menschen mit Behinderungen vorzusehen. In ihren Augen führt der vom Bundesrat gewählte Ansatz der Eingliederung auf dem Rechtsweg nämlich dazu, dass die Anstellung von Menschen mit Behinderung für potenzielle Arbeitgeber weniger attraktiv wird, was dem angestrebten Ziel zuwiderläuft. Stattdessen soll der Schwerpunkt verstärkt auf Unterstützungsleistungen für Arbeitgeber und Eingliederungsmassnahmen gelegt werden. Im Weiteren beantragt die Kommission mit 13 zu 8 Stimmen, den neuen Artikel 6 so umzuformulieren, dass die Anforderungen in Sachen digitale Dienstleistungen präzisiert werden. Zu guter Letzt beantragt sie mit 12 zu 10 Stimmen bei 2 Enthaltungen, Artikel 9b des Entwurfs, mit dem die Beweislast für das Vorliegen einer Ungleichheit erleichtert werden soll, zu streichen.

Weitere Geschäfte

Mit 13 zu 12 Stimmen hat die Kommission der pa. Iv. Roduit «Explizite Verankerung des Bereichs Aus- und Weiterbildung im AVIG» (24.456) Folge gegeben. Die Initiative bezweckt, die strukturelle Arbeitslosigkeit und die Langzeitarbeitslosigkeit mit Ausbildungsmassnahmen zu bekämpfen. Angesichts der guten Finanzlage der Arbeitslosenversicherung ist es aus Sicht der Kommission möglich, in die Ausbildung von wenig qualifizierten Personen zu investieren, um deren langfristige Integration in den Arbeitsmarkt zu fördern. Als Nächstes muss nun die Schwesterkommission des Ständerates entscheiden, ob sie dem Beschluss der SGK-N zustimmt.

Die Kommission hat die Arbeiten zur Umsetzung der pa. Iv. Humbel «Wettbewerbspreise bei Medizinalprodukten der Mittel- und Gegenständeliste» (16.419) fortgesetzt. Da aufgrund des komplexen Systems zur Vergütung von Mitteln und Gegenständen sowie wegen der rechtlichen Entwicklungen seit der Annahme des Vorentwurfs der SGK-N im Jahr 2019 noch Fragen offen sind, hat die Kommission die Verwaltung beauftragt, einen runden Tisch mit den betroffenen Akteuren zu organisieren. Dieser Austausch soll es ermöglichen, einen geeigneten rechtlichen Rahmen für die Einführung eines Tarifverhandlungssystems festzulegen, das mehr Wettbewerb zulässt sowie effizient und praktikabel ist.

Nach der verweigerten Zustimmung ihrer Schwesterkommission zieht die SGK-N mit 16 zu 8 Stimmen ihre Kommissionsinitiativefür eine 13. IV-Rente(24.424) zurück. Sie wird an der nächsten Sitzung prüfen, ob sie die von der Schwesterkommission eingebrachte Lösung, wonach IV-Beziehende, die auf Ergänzungsleistungen angewiesen sind, einen Zuschlag in der Höhe einer 13. Rente erhalten, mit einem Antrag für ein Kommissionspostulat vertieft.

Die Kommission hat mit 15 zu 8 Stimmen bei 2 Enthaltungen eine Motion (25.3429) eingereicht, die den Bundesrat beauftragt, dafür zu sorgen, dass die Temporärbranche nicht weiter vom Anwendungsbereich der Schlechtwetterentschädigung ausgeschlossen wird. In ihren Augen gibt es keine stichhaltigen Gründe, an dieser Ungleichbehandlung festzuhalten, da die meisten Verträge der Temporärbranche unbefristet oder für eine Saison abgeschlossen werden.

Darüber hinaus hat die Kommission eine Delegation der Eidgenössischen Finanzkontrolle zur Prüfung des Schlüsselprojekts DigiSanté angehört. Sie hat Kenntnis genommen von den Ergebnissen der Prüfung und wird die weiteren Entwicklungen im Zusammenhang mit diesem für die Digitalisierung des Gesundheitswesens zentralen Projekt weiter aufmerksam verfolgen.

Die Kommission tagte am 10. und 11. April 2025 in Bern unter der Leitung von Nationalrätin Barbara Gysi (SP, SG) und teilweise in Anwesenheit von Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider.