Die Handlungsfähigkeit des Parlamentes soll auch in Krisensituationen jederzeit gewährleistet sein. Die Staatspolitische Kommission (SPK) des Nationalrates unterbreitet ihrem Rat deshalb eine Vorlage mit verschiedenen Änderungen des Parlamentsrechts, welche gewährleisten sollen, dass die Bundesversammlung und ihre Organe in Krisensituationen jederzeit tagen und ihr rechtliches Instrumentarium flexibel einsetzen können.

Auch wenn die Bundesversammlung einen unglücklichen Start in die Coronakrise erwischt hat (Abbruch der Frühjahrssession 2020, Einschränkung der Kommissionstätigkeit) so hat sich doch rasch wieder Tritt fassen können, indem die Kommissionen im April 2020 ihre Tätigkeiten aufnahmen und Anfang Mai 2020 die Räte sich zu einer ausserordentlichen Session versammelten. Die Krise hat gezeigt, dass die Bundesversammlung zwar über ein ausreichendes rechtliches Instrumentarium verfügt, welches sie auch zur Krisenbewältigung einsetzen kann. So kann die Bundesversammlung sowohl Massnahmen vom Bundesrat verlangen bzw. auf Massnahmen des Bundesrates einwirken, als auch selber Verordnungen und dringliche Bundesgesetze ausarbeiten. Der Bundesversammlung stehen beim möglichen Einsatz dieses vielfältigen Instrumentariums in erster Linie fehlende Ressourcen, teilweise träge Strukturen und fehlende Mehrheiten im Weg. Voraussetzung für die wirkungsvolle Nutzung der Instrumente ist deshalb, dass diese auch kurzfristig eingesetzt werden und die Bundesversammlung und ihre Organe tagen können. Die Kommission hat deshalb in Umsetzung ihrer Kommissionsinitiativen (20.437/20.438) einstimmig eine Vorlage mit entsprechenden Verbesserungen verabschiedet. Konkret werden folgende Vorschläge gemacht:

Es werden die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen, dass die Räte notfalls auch virtuell tagen können, wenn ein physisches Zusammenkommen verunmöglicht ist. Ein physisches Zusammenkommen kann nicht nur durch Pandemien, sondern z.B. auch durch Naturkatastrophen verhindert werden. Handelt es sich um regionale Ereignisse, kann es sinnvoll sein, einzelne Ratsmitglieder mit technischen Mitteln zu den Verhandlungen der Räte zuzuschalten. Virtuell durchgeführte Sitzungen stellen aber immer nur die letzte Ausweichmöglichkeit dar, wenn es der Bundesversammlung ansonsten nicht möglich wäre, sich im Sinne von Artikel 148 als oberste Gewalt im Bunde in den politischen Entscheidungsprozess einzubringen. Ansonsten verlangt die Bundesverfassung ein physisches Versammeln der Ratsmitglieder.

Im Weiteren sollen ausserordentliche Session unter bestimmten Voraussetzungen «unverzüglich» einberufen werden, wenn dies ein Viertel der Mitglieder eines Rates oder der Bundesrat verlangt. Damit soll sichergestellt werden, dass das Parlament rasch agieren kann. Auch sollen die parlamentarischen Instrumente wie die Motion und die parlamentarische Initiative unter bestimmten Voraussetzungen rasch eingesetzt werden können, indem bestimmte Fristen verkürzt werden.

Gerade in einer Krise braucht das Parlament starke und unabhängige Führungsorgane. Insbesondere müssen auch in Krisensituationen Infrastrukturen und personelle Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Hierfür ist heute die Verwaltungsdelegation zuständig, welcher die oberste Leitung der Parlamentsverwaltung obliegt. Dieses als Delegation der Ratsbüros konzipierte Organ soll durch eine Verwaltungskommission ersetzt werden, deren Mitglieder für vier Jahre gewählt sind und nicht gleichzeitig den Ratsbüros angehören. Somit entsteht eine grössere personelle Kontinuität in der Leitung der Parlamentsverwaltung, die personelle Verflechtung mit den für die Organisation der Arbeit der Räte zuständigen Büros wird geringer und letztere werden von Verwaltungsaufgaben entlastet.

Schliesslich soll der Bundesrat Entwürfe für sogenannte «Notverordnungen» den parlamentarischen Kommissionen immer zur Konsultation vorlegen müssen, damit diese eine Stellungnahme abgeben können.

Hingegen sah die Kommission keinen Handlungsbedarf in Bezug auf die richterliche Überprüfung von Notrecht. Sie sprach sich mit 19 zu 5 Stimmen bei 1 Enthaltung gegen die abstrakte Normenkontrolle von Notverordnungen aus. Die Kontrolle von Notverordnungen des Bundesrates soll weiterhin dem Parlament obliegen, eine zusätzliche richterliche Kontrolle wäre in einem sinnvollen zeitlichen Rahmen kaum möglich und würde zu Rechtsunsicherheit führen.

Die Vorlage geht nun zur Stellungnahme an den Bundesrat und soll in der Frühjahrsession im Nationalrat behandelt werden.

Die wichtigsten beschlossenen Massnahmen sind zudem in einer Tabelle (siehe Beilage) zusammengestellt.

Auch in Zusammenhang mit der Covid-Krise hat die Kommission einstimmig eine Motion eingereicht, wonach im Epidemiengesetz eine gesetzliche Grundlage geschaffen werden soll, so dass Personen und Unternehmen, die in ihren Geschäftsbetrieb aufgrund behördlicher Massnahmen schliessen oder einschränken müssen, entschädigt werden (22.3009). Ebenfalls einstimmig hat sie die Einreichung eines Postulats beschlossen, wonach der Bundesrat verschiedene Fragen im Zusammenhang mit Referenden gegen dringliche Bundesgesetze klären soll (22.3010).

Die Kommission tagte am 27./28. Januar 2022 unter dem Vorsitz von Nationalrat Marco Romano (M-E, TI) in Bern.