Soll das Bundesgericht Bundesgesetze auf ihre Verfassungsmässigkeit überprüfen dürfen? Ein knappe Mehrheit der Staatspolitischen Kommission (SPK) des Ständerates bejaht diese Frage.

Mit 6 zu 6 Stimmen sowie einer Enthaltung und Stichentscheid des Präsidenten stimmt die Kommission zwei Motionen zu, die ihr der Rat zur Vorprüfung zugewiesen hat und welche die Einführung einer Verfassungsgerichtsbarkeit fordern (21.3689 Engler / 21.3690 Zopfi). Die Kommission ist der Ansicht, dass es gerade nach der Covid-Krise an der Zeit ist, das Gleichgewicht zwischen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit wieder einmal zu überprüfen. Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bedingen einander. Entsprechende Lücken in der Rechtsstaatlichkeit sind deshalb zu schliessen. So ist es z.B. stossend, wenn bezüglich einer richterlichen Kontrollmöglichkeit die in der EMRK enthaltenen Grundrechte besser geschützt sind als diejenigen, die «nur» in der Bundesverfassung enthalten sind. Die Minderheit weist darauf hin, dass die Beurteilung der Verfassungsmässigkeit in vielen Fällen kaum klar eindeutig und auch durch politische Wertungen beeinflusst ist.

Es braucht nicht neun Mitglieder im Bundesrat

Die Kommission ist der Ansicht, dass die Anzahl der Mitglieder des Bundesrates nicht gemäss kurzfristigen parteipolitischen Bedürfnissen bestimmt werden sollte, sondern so, dass die Regierung ihre Funktionen möglichst gut wahrnehmen kann. Sie spricht sich deshalb ein zweites Mal mit 7 zu 3 Stimmen bei einer Erhaltung gegen eine vom Nationalrat in der Wintersession angenommene parlamentarische Initiative aus, welche eine Erhöhung der Anzahl der Mitglieder des Bundesrates auf neun fordert (19.503 Pa. Iv. Masshardt). Eine Erhöhung der Mitgliederzahl auf neun würde die strategische Führungsarbeit des Bundesrates nicht erleichtern, sondern erschweren. Will man die strategische Führung stärken, müssten allenfalls andere Massnahmen ins Auge gefasst werden. Die Kommission will sich deshalb an einer späteren Sitzung mit verschiedenen Modellen einer Staatsleitungsreform auseinandersetzen.

Veto des Parlaments gegen Verordnungen des Bundesrates nicht nötig

Die Kommission ist nach wie vor der Ansicht, dass das Instrument der Motion eine wirksame Einwirkung auf bundesrätliche Verordnungen ermöglicht, wenn sie der Bundesrat binnen kurzer Frist erfüllen muss. Sie hat mit Befriedigung zur Kenntnis genommen, dass der Nationalrat ihre diesbezügliche parlamentarische Initiative (20.402) im Rahmen der Vorlage betreffend die Handlungsfähigkeit des Parlamentes in Krisensituationen (20.437/20.438) umgesetzt hat. Sie erachtet deshalb die zusätzliche Einführung eines Verordnungsvetos als überflüssig und spricht sich mit 12 zu 0 Stimmen bei einer Enthaltung gegen die parlamentarische Initiative 21.431 von Nationalrat Fabio Regazzi aus, welcher die Nationalratskommission zugestimmt hatte.

Vorstösse sollen von mehreren Ratsmitgliedern eingereicht werden können

In der Bundesversammlung kann ein Vorstoss von einer parlamentarischen Kommission, von einer Fraktion oder von einem Ratsmitglied eingereicht werden. Die Kommission anerkennt das mit einer parlamentarischen Initiative ihrer Schwesterkommission (22.406) geäusserte Bedürfnis, dass ein Vorstoss von mehreren Urheberinnen und Urhebern eingereicht werden kann. Mit 8 zu 0 Stimmen und 5 Enthaltungen gibt sie der SPK des Nationalrates grünes Licht, um eine Regelung auszuarbeiten, die allerdings insbesondere im Nationalrat verschiedenen Folgeproblemen wie der der Aufteilung der Redezeit Rechnung tragen muss.

Epidemiengesetz: Keine Genehmigung der ausserordentlichen Lage und der Verordnungen

Die Kommission spricht sich mit 7 zu 2 Stimmen bei 3 Enthaltungen gegen eine Motion aus, welche eine nachträgliche parlamentarische Genehmigung der Massnahmen des Bundesrates zur Bekämpfung einer Pandemie fordert (21.3033 Mo. Stark). Mit 7 zu 5 Stimmen bei einer Enthaltung fand zudem eine weitere Motion keine Mehrheit, welche einen Einbezug des Parlamentes beim Übergang zur ausserordentlichen Lage gemäss Epidemiengesetz fordert (21.3034 Mo. Salzmann). Die Kommission stellt fest, dass einerseits Arbeiten im Gange sind für eine Revision des Epidemiengesetzes. Andererseits liegt der Kommission eine Vorlage zur besseren Handlungsfähigkeit des Parlaments in Krisensituationen vor (20.437/20.438), welche Vorschläge zur effizienteren Anwendung der bestehenden, durchaus wirksamen Instrumente enthält.

Keine Präzisierung bezüglich Unterlistenverbindungen bei Nationalratswahlen

Mit 7 zu 3 Stimmen und 2 Enthaltungen hält die Kommission an ihrer ablehnenden Haltung gegenüber der parlamentarische Initiative ihrer Schwesterkommission des Nationalrates fest (21.402 Präzisierung Unterlistenverbindungen). Gemäss dieser Initiative soll im Bundesgesetz über die politischen Rechte eine Präzisierung vorgenommen werden, wonach es sich bei Unterlistenverbindungen nur um Verbindungen innerhalb einer Partei handeln kann. Gemäss Ansicht der SPK des Ständerates würde durch diese Änderung eher Verwirrung gestiftet. Es gibt «Gruppierungen» die nicht Parteien sind und die sollen nicht von der Möglichkeit von Listenverbindungen ausgeschlossen werden.

Verordnung über das Arbeitsverhältnis der Leiterin oder des Leiters des EDÖB

Das im Herbst 2020 revidierte Datenschutzgesetz sieht vor, dass die Leiterin oder der Leiter des Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB) neu von der Bundesversammlung gewählt wird. Die Kommission hat einstimmig den Entwürfen des Nationalrates zugestimmt (21.443). Diese sehen verfahrenstechnische und personalrechtliche Auswirkungen dieser Neuerung in einer Verordnung der Bundeversammlung vor und präzisieren in einigen Punkten das Datenschutz- und das Informationssicherheitsgesetz.

Keine generelle Aussetzung der Wegweisungen nach Äthiopien

Die Kommission spricht sich mit 8 zu 0 Stimmen bei 4 Enthaltungen gegen die Standesinitiative «Nein zur Rückführung von Asylsuchenden in Länder, in denen die Menschenrechte mit Füssen getreten werden. Keine Ausschaffungen nach Äthiopien» (21.309) des Kantons Genf aus. Die Kommission ist der Ansicht, dass die Asylverfahren und die aktuelle Wegweisungspraxis des SEM den Risiken für zurückgeführte Personen in den Herkunftsländern angemessen Rechnung trägt.

Des Weiteren hat sich die Kommission von Staatssekretärin Schraner Burgener über die aktuelle Situation der Geflüchteten aus der Ukraine informieren lassen. Die Kommission diskutierte insbesondere die Ausgestaltung des Schutzstatus S, der Unterbringung der Schutzsuchenden, die Möglichkeiten der Integration dieser Personen und die besondere Situation der Kinder, die ohne ihre Eltern in die Schweiz kommen.

Die Kommission tagte am 7./8. April 2022 unter dem Vorsitz von Ständerat Mathias Zopfi (GL, G) in Bern.