Am 5. Juni 2018 war im Blog unter dem Titel «Der Wolf im Visier der Politik» ein Beitrag zur gleichentags im Ständerat anstehenden Revision des Jagdgesetzes zu lesen. Aus Anlass der nun im Nationalrat bevorstehenden Beratungen zeigen wir, wie die deutschsprachige Bundeshausredaktion von Radio SRF die damalige Debatte im Ständerat live verfolgt und die Beiträge für verschiedene Informationssendungen vorbereitet und ausgestrahlt hat.

​Es ist der 5. Juni 2018. Der Ständerat beginnt seine Sitzung pünktlich um 08.15 Uhr. Der Bericht der Oberaufsicht über den Bau der Neat gibt nichts zu diskutieren, so dass die Revision des Bundesgesetzes über die Jagd und den Schutz wildlebender Säugetiere und Vögel – kurz: Jagdgesetz – um 08.28 Uhr in Angriff genommen werden kann.

Zur gleichen Zeit trifft im Bundesmedienzentrum an der Bundesgasse 32, wenige Meter vom Bundeshaus entfernt, tröpfchenweise die deutschsprachige Bundeshausredaktion von Radio SRF ein, an diesem Tag Gaudenz Wacker, Priscilla Imboden, Christian Lüscher und Mirjam Fuchs, Praktikantin, sowie ihr Chef Philipp Burkhardt. Die 46 knapp bemessenen Arbeitsplätze im Ständeratssaal sind aufgeräumt, die sieben Arbeitsplätze der SRF-Equipe zeigen Spuren des Vortags: leere Kaffeebecher, zusammengeknüllte Notizblätter, Post-it überall, an einem Pult ragen fragile Papierburgen hoch. Auf zwei grossen Bildschirmen an der Wand laufen die Beratungen von National- und Ständerat, live und tonlos.

Um 8.40 Uhr beginnt, geleitet von der Inlandredaktion von Radio SRF – sie produziert u.a. die halbstündlichen Nachrichtensendungen, das «Rendezvous» oder das «Echo der Zeit» – die tägliche Telefonkonferenz. Die Berichterstattung des Vortags wird durchgekaut und gerühmt («gefallen hat mir») oder auch nicht («weniger gefallen hat mir»), und es werden Schlagzeilen kommentiert («zu viel Boulevard-Journalismus»). Sodann wird auf diesem telefonischen Marktplatz von Angebot – zutreffender: Angebotspflicht – und Nachfrage nach Themen gesucht. Weil die am Tag zuvor lancierte Diskussion über die vom Bundesrat anvisierte Weiterentwicklung der Agrarpolitik weiterhin hohe Wellen wirft, wird für das «Echo der Zeit» um eine Nachbearbeitung gebeten. Priscilla Imboden nimmt sich des Themas an, das Wie ist noch unklar. Sie legt die Stossrichtung nach internen Diskussionen («kalter Kaffee», «noch nicht reif») und einigen Telefonaten fest und behält dabei das für 13.00 Uhr vorgesehene «Tagesgespräch» mit Landwirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann im Auge. Fix zugeteilt sind für diesen 5. Juni Philipp Burkhardt für das Jagdgesetz und Gaudenz Wacker für die im Nationalrat anstehende Motion von FDP-Nationalrat Thierry Burkart, der auf Autobahnen das Rechtsvorbeifahren ermöglichen möchte.

Ohne penible Vorbereitung keine fehlerfreie Improvisation

In der Tat ermöglicht nur eine möglichst alle Unwägbarkeiten berücksichtigende Planung den nötigen Spielraum für die dem Politbetrieb innewohnende Improvisation. Das gilt für die Räte zur Abwicklung des komplexen Sessionsprogramms ebenso wie für ihren – zumindest während den Sessionen – siamesischen Zwilling «Service public» von SRF, verkörpert durch ihre dreisprachige Bundeshausredaktion: Anders als Printmedien muss sie für Seher (Fernsehen), Hörerinnen (Radio) und Leserschaft (Online) in der Lage sein, rasch zu reagieren und schon geschriebene Beiträge in kürzester Zeit anzupassen. Auf die Session bereitet sie sich anhand der Sessionsplanung der Parlamentsdienste intensiv vor. Die Geschäfte von National- und Ständerat werden in einem Dossier zusammengefasst und auf die Mitarbeitenden verteilt, aktualisiert wird die Planung sodann wöchentlich, jeweils am Donnerstag.

Die Telefonkonferenz endet um 09.20 Uhr, die Tagesredaktion bespricht Details, man gibt einander Tipps, recherchiert bei anderen Medien oder klinkt sich in die laufenden Debatten ein. Mirjam Fuchs macht sich für ein Interview auf den Weg ins Bundeshaus. Um 10.10 Uhr startet Philipp Burkhard mit der Aufholjagd: Er hört sich die bisherige Debatte zum Jagdgesetz im Schnelllauf an und sucht – möglichst «knackig» und alle Fraktionen berücksichtigend – nach Ausschnitten aus den Voten («O-Töne»), um sie in seine Berichterstattung einzubauen.

Die Zeit drängt, Hektik entsteht nicht

Um 10.56 Uhr lehnt der Ständerat den Rückweisungsantrag Cramer mit 14 zu 29 Stimmen ab, die Detailberatung beginnt. Um 11.10 Uhr wird der Inlandredaktion signalisiert, dass sich «die Debatte hinziehen kann». Für ein Interview vor Ort reicht es nicht. Um 11.22 Uhr übergibt Philipp Burkhardt für die Sendung «Info3» die Anmoderation, um 11.25 Uhr beantwortet er die Frage der Studiotechnikerin, ob er den Beitrag «lieber aufgenommen oder live» möchte, mit «live». Um 11.30 Uhr sind alle Tonbeiträge geschnitten, für den Haupttext bleibt eine halbe Stunde. Nicht reichen wird es für die im Ständerat um 11.38 beginnenden Diskussion über Artikel 5, eine der zentralen Bestimmungen des Gesetzes.

In Büro 107 ist in all dieser Zeit keine Hektik auszumachen. Die Bundeshausredaktion bündelt viel Berufserfahrung, ist gestählt durch etliche, mitunter turbulente Ratsdebatten, sich auf die Sendezeiten zuspitzender Zeitdruck ist Alltag. Auch im Ständeratssaal, wo die Zeit ebenfalls drängt, lassen sich die Kantonsvertreter nicht aus der Ruhe bringen: Roberto Zanetti lässt um 11.45 Uhr mit Blick auf die Uhr («ich schaue auf die Marschtabelle») verlauten, er halte sich kurz, derweil es Kommissionssprecher Roland Eberle «Leid tut, die kurze Zeit nochmals in Anspruch nehmen». Gaudenz Wacker meldet der Inlandredaktion, ein zeitiges Ende werde unwahrscheinlich, «wenn es im Rat ‘kurz fassen!’ heisst».

Um 11.59 spuckt der Drucker den Text von Philipp Burkhardt aus, beim Gang in eines von sechs Studios trifft er auf Bundesrat Schneider-Ammann mit Entourage; sie bereiten sich auf das «Tagesgespräch» um 13 Uhr vor.

Der um 12.07 beginnende Beitrag auf «Info3» fasst die bisherige Debatte zusammen. Er umrahmt die von der Tontechnikerin jeweils auf ein Handzeichen von Philipp Burkhardt eingespielten Ausschnitte aus den Voten im Rat und zwei zuvor eingeholte O-Töne. Aneinandergereiht wiederholen sie im Telegrammstil die Positionen: «Das ist ein Frontalangriff auf den Naturschutz» (Pro Natura); «Es ist kein Abschussgesetz» (Bundesrätin Leuthard); «Präventiv würden in diesen Kantonen Grossraubtiere abgeknallt» (Ständerat Minder); «Die Hysterie, welche hier von einzelnen Organisationen betrieben wird, ist völlig fehl am Platz» (Ständerat Rieder); «Es ist völlig falsch zu meinen, da würden wir dann plötzlich in gewissen Kantonen zu Wildwestmethoden greifen» (Ständerat Hösli); «Das Berggebiet ist keine Wildnis und auch nicht Kenya für Zürcher» (Ständerat Engler); «Die Frage, ob wir überschossen haben oder nicht, wird nicht nur von den Wallisern und von den Bündnern beurteilt, sie wird auch durch die Genfer und die Zürcher beurteilt. Letztere sind zahlreicher» (Ständerat Luginbühl). Der bis dahin zentralen Information – die klare Ablehnung des Rückweisungsantrags und der Grundsatzentscheid, den Schutz des Wolfes herabzustufen – wird die Aussage des WWF angefügt, «dann haben wir wie gar keine Option, als das Referendum zu ergreifen». Philipp Burkhardt schliesst den 3 Minuten und 20 Sekunden dauernden Beitrag ab mit der Aussage, «das heikle Thema Wolf könnte also bald einmal an der Urne entschieden werden».

30 Minuten für eine Aktualisierung

Gleichzeitig, um 12.02 Uhr, stimmt der Ständerat über den Antrag Rieder zu Artikel 5 Absatz 7 ab. Um 12.10 Uhr verbleiben 20 Minuten für die Aktualisierung des Beitrags für das «Rendezvous», wo das Jagdgesetz plangemäss an erster Stelle – Aktualität first – ausgestrahlt wird. Philipp Burkhard hört rasch und konzentriert durch die Detailberatung seit 12.00 Uhr nach. Seine Kolleginnen und Kollegen suchen nach der Stelle, wo Ständerat Jositsch von der «roten Linie» spricht, und nach dem Schicksal des Antrags von Ständerat Rieder und weiteren Ratskollegen, wonach gegen Entscheide der kantonalen Behörden zum Abschuss von Wildtieren keine Beschwerde eingelegt werden kann.

Die Mittagsnachrichten laufen. In Büro 107 wird um 12.32 Uhr der zuvor verwendete und um die bisherige Detailberatung ergänzte Text ausgedruckt. Um 12.34, beim erneuten Gang ins Studio, fügt dort Philipp Burkhardt das Resultat der Abstimmung über den Antrag Rieder (21 zu 18 Stimmen) von Hand ein. Um 12.37 Uhr beginnt der vier Minuten dauernde Beitrag. Auf den Antrag Rieder hinweisend, hält Philipp Burkhardt zusammenfassend fest, der Ständerat sei «inzwischen weitergegangen als der Bundesrat». Darauf wird die Aussage von Ständerat Jositsch eingespielt: Mit dem Ausschliessen des Beschwerderechts sei «eine rote Linie überschritten, die sich nicht mehr korrigieren lässt, egal was noch geschieht», aber wegen dem Zweitrat mache es «durchaus Sinn, hier noch etwas weiterzukämpfen.» Der Beitrag endet jetzt mit einer Prognose: «Über das Schicksal von Wolf, Biber, Luchs und Bär dürfte also am Schluss an der Urne entschieden werden.»

Wieder im Büro, wird Philipp Burkhardt um 12.45 Uhr für das «Echo der Zeit» um einen Beitrag gebeten, der mit «Jagdgesetz als Lockerung des Schutzes» betitelt werden wird. Um 12.55 Uhr unterbricht der Ständerat seine Beratungen, die deutschsprachige Bundeshausredaktion von Radio SRF geht gemeinsam zum Mittagessen.