Erstes Gesuch: Verdacht der Diskriminierung und des Aufrufs zu Hass durch Aussagen in den sozialen Netzwerken (24.195)
Die IK-N entschied am 18. November 2024, nicht auf das Gesuch der Staatsanwaltschaft Bern um Aufhebung der Immunität von Nationalrat Andreas Glarner wegen des Verdachts der Diskriminierung und des Aufrufs zu Hass einzutreten (siehe Bericht der IK-N vom 18. November 2024). Die RK-S kam an ihrer Sitzung vom 25. Februar 2025 hingegen zum Schluss, dass ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen den Aussagen von Nationalrat Glarner in den sozialen Netzwerken und seinem parlamentarischen Mandat besteht, und trat deshalb auf das Gesuch ein. Die IK-N hat sich an ihrer heutigen Sitzung mit der dadurch entstandenen Differenz befasst.
Die IK-N ist dem Beschluss der RK-S gefolgt und auf das Gesuch der Staatsanwaltschaft Bern eingetreten. Sie ist der Auffassung, dass die Aussagen von Nationalrat Glarner in den sozialen Netzwerken gesellschaftlich relevante Themen betreffen und Teil der politischen Arbeit von Parlamentsmitgliedern sind. Wenn sich Parlamentsmitglieder mit solchen Inhalten an die Öffentlichkeit wenden, muss in den Augen der Kommission grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass sie dies in ihrer Funktion als Ratsmitglieder tun, da sie von der Öffentlichkeit in dieser Rolle wahrgenommen werden. Die Kommission hebt hervor, dass die relative Immunität in erster Linie dazu dient, den reibungslosen Ratsbetrieb zu schützen. Dieser Schutz ist unabhängig davon erforderlich, auf welchem Kanal die öffentlichen Äusserungen getätigt wurden. Sie sieht einen unmittelbaren Zusammenhang zum parlamentarischen Mandat von Nationalrat Glarner und ist deshalb auf das Gesuch eingetreten, womit sie die Differenz mit der RK-S bereinigt hat.
Anschliessend hat die IK-N beschlossen, die Immunität von Nationalrat Glarner nicht aufzuheben. Sie verweist auf die Meinungsfreiheit und ist der Auffassung, dass die politische Debatte nicht durch strafrechtliche Eingriffe behindert werden darf. Das Geschäft geht nun zurück zur RK-S, die über die Aufhebung der Immunität entscheiden wird.
Zweites Gesuch: Verdacht des Identitätsmissbrauchs durch Verwendung eines Deepfake (25.190)
Die Staatsanwaltschaft Muri-Bremgarten stellte am 20. Februar 2025 ein Gesuch um Aufhebung der Immunität von Nationalrat Andreas Glarner wegen des Verdachts des Identitätsmissbrauchs (Art. 179decies StGB) und eventuell der Ehrverletzung (Art. 173 ff. StGB). Nationalrat Andreas Glarner hatte auf X und Instagram ein KI-generiertes Video (Deepfake) veröffentlicht, in dem sich Nationalrätin Sibel Arslan über «kriminelle Türken» äussert und zur Wahl der SVP aufruft. Es handelt sich um den ersten Fall, bei dem sich die Kommission mit der Verwendung von Deepfakes im Wahlkampf zu befassen hat. Gleichzeitig könnte in diesem Fall auch erstmals der neu geschaffene Straftatbestand des Identitätsmissbrauchs zur Anwendung kommen.
Die Kommission ist der Auffassung, dass politische Aktionen oder Äusserungen in Wahl- oder Abstimmungskampagnen einen unmittelbaren Zusammenhang zur amtlichen Stellung oder Tätigkeit aufweisen; sie ist dementsprechend auf das Gesuch eingetreten.
Die IK-N ist im vorliegenden Fall allerdings der Ansicht, dass das Interesse des Opfers und die Schwere der Straftat höher zu gewichten sind als die Meinungsäusserungsfreiheit im Rahmen solcher Kampagnen. Sie hält fest, dass solche Handlungen dem Parlamentsbetrieb erheblich schaden; sie zu tolerieren würde bei den nächsten Wahlen solchem Verhalten die Tür öffnen. Indem sie die Immunität von Nationalrat Andreas Glarner aufhebt und damit ein Strafverfahren gegen diesen ermöglicht, bringt die Kommission ihre Missbilligung für solche Aktionen zum Ausdruck. Das Geschäft geht an die RK-S.
Die Kommission tagte am 2. Mai 2025 unter dem Vorsitz von Nationalrat Pierre-André Page (V/FR) in Bern.