Die Kommission für Rechtsfragen des Ständerates (RK-S) spricht sich in ihrem Entwurf für ein revidiertes Sexualstrafrecht dafür aus, die Kernbestimmungen des Sexualstrafrechts, namentlich die Tatbestände der sexuellen Nötigung und der Vergewaltigung (Artikel 189 und 190 Strafgesetzbuch), basierend auf der sogenannten «Nein-heisst-Nein»-Lösung neu auszugestalten und auf das Element der Nötigung im Grundtatbestand zu verzichten.

Die Kommission hat in mehreren Sitzungen einen Entwurf für ein revidiertes Sexualstrafrecht erarbeitet (18.043, E. 3). Basierend auf den Rückmeldungen der Vernehmlassung hat sich die Kommission einstimmig dafür entschieden, auf einen separaten Tatbestand des «sexuellen Übergriffs» (Artikel 187a des Vorentwurfs) zu verzichten und sich für eine Kaskadenlösung in Artikel 189 und 190 ausgesprochen. Von den Tatbeständen erfasst werden sexuelle Handlungen, welche der Täter oder die Täterin am Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt und sich dabei über den entgegenstehenden Willen des Opfers hinwegsetzt (vorsätzlich oder eventualvorsätzlich). Dieser Wille kann vom Opfer verbal oder nonverbal geäussert werden. Neu begeht eine Vergewaltigung, wer gegen den Willen einer Person den Beschlaf oder eine beischlafsähnliche Handlung, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden ist, vornimmt oder vornehmen lässt. Damit werden künftig auch Opfer männlichen Geschlechts von diesem Tatbestand erfasst werden. In beiden Straftatbeständen (Artikel 189 und 190 E-StGB) soll zukünftig im Grundtatbestand auf das Element der Nötigung verzichtet werden. Tritt die Nötigung hinzu, handelt es sich jeweils um die qualifizierte Form der Tatbegehung, für welche die Kommission mit 7 zu 5 Stimmen bei der Vergewaltigung auch in Zukunft eine einjährige Mindeststrafe als Strafandrohung vorsieht (Artikel 190 Absatz 2 E-StGB). Eine Minderheit beantragt, die Mindeststrafe auf mehr als zwei Jahre festzulegen, um auszuschliessen, dass die Strafe bedingt ausgesprochen werden kann.

Eine Minderheit der Kommission begrüsst diese Änderungen im Grundsatz, beantragt jedoch, die Kaskade auf dem Grundprinzip der fehlenden Einwilligung auszugestalten («Nur-Ja-heisst-Ja»-Lösung), was die Kommission mit 9 zu 4 Stimmen abgelehnt hat.

Mit der beantragten Änderung beabsichtigt die Kommission, den Schutz zur Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung um den Schutz der sexuellen Unversehrtheit an sich zu erweitern. Sie trägt damit den gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte Rechnung.

Mindeststrafe für sexuelle Handlungen mit Kindern

Die Kommission spricht sich mit 6 zu 5 Stimmen dafür aus, dass bestimmte Tathandlungen bei sexuellen Handlungen mit Kindern (Artikel 187 E-StGB) neu mit einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr bedroht sind, falls das Opfer das 12. Altersjahr noch nicht vollendet hat. Eine Kommissionsminderheit hält diese Mindeststrafe für nicht geboten.

Neuer Tatbestand gegen sexuelle Übergriffe im Gesundheitsbereich

Die Kommission spricht sich für einen neuen Tatbestand Artikel 193a E-StGB aus, der Opfer vor vermeintlich notwendigen Handlungen von Gesundheitsfachpersonen schützen soll. Mit Freiheitstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe kann demnach bestraft werden, wer bei der Ausübung einer Tätigkeit im Gesundheitsbereich sexuelle Handlungen vornimmt oder vornehmen lässt und das Opfer dabei über den sexuellen Charakter der Handlung täuscht, indem eine medizinische Indikation vorgegeben wird. Die Kommissionsminderheit ist der Ansicht, dass sich ein derartiger Tatbestand erübrigen würde, wenn die Kernbestimmungen von Artikel 189 und 190 auf der Zustimmungslösung beruhten.

Anpassungen des Pornografietatbestands

Die Kommission beantragt eine Anpassung im Bereich der sogenannten harten Pornografie. Demnach soll es sich nicht mehr um verbotene harte Pornografie handeln, wenn die pornografischen Gegenstände oder Vorführungen sexuelle Handlungen mit Gewalttätigkeiten unter Erwachsenen zum Inhalt haben (Artikel 197 Abs. 4 und 5 E-StGB). Die Kommission möchte überdies darauf reagieren, dass die heutige Fassung des Pornografietatbestands dazu führt, dass sich viele Minderjährige unbeabsichtigt strafbar machen. Entsprechend soll die Straflosigkeit gegenüber heute unter strengen Voraussetzungen erweitert werden um zu verhindern, dass sich minderjährige Jugendliche strafbar machen, wenn sie einvernehmlich von sich selbst Bilder oder Filme beispielsweise herstellen, besitzen oder konsumieren (Artikel 197 Abs. 8 und 8bis E-StGB).

Neuer Tatbestand für «Rachepornografie»

Die Kommission schlägt mit 11 zu 1 Stimmen einen neuen Tatbestand vor, der das unbefugte Weiterleiten von nicht öffentlichen sexuellen Inhalten mit Strafe bedroht (Artikel 197a E-StGB). Typisches Beispiel sind Fotos oder Videos, die ursprünglich in einer Paarbeziehung einvernehmlich aufgenommen wurden, aber später ohne Einverständnis der abgebildeten Person zugänglich gemacht werden (sogenannte «Rachepornografie»). Eine Minderheit beantragt, auf einen derartigen Tatbestand im Sexualstrafrecht zu verzichten.

Verzicht auf einen neuen Tatbestand des «Grooming»

Anders als noch im Vorentwurf vorgesehen, verzichtet die Kommission darauf, ihrem Rat einen Tatbestand zum «Grooming» zu beantragen. Das «Grooming» bezeichnet das gezielte Anbahnen von sexuellen Kontakten mit Minderjährigen, also die Planung eines sexuellen Missbrauchs. Die Kommission hält eine derartige Vorverlagerung der Strafbarkeit in den Bereich der Vorbereitungshandlungen für nicht angezeigt. Sie weist darauf hin, bereits heute der Versuch von sexuellen Tathandlungen strafbar ist. Mit der Vorverlagerung der Strafbarkeit würde auch der «Versuch des Versuchs» strafbar.

Der Erlassentwurf und der begleitende Bericht werden nun dem Ständerat und gleichzeitig dem Bundesrat zur Stellungnahme unterbreitet. Es ist vorgesehen, den Entwurf in der kommenden Sommersession im Ständerat als Erstrat zu beraten.

Die Kommission hat am 17. Februar 2022 unter dem Vorsitz von Ständerat
Carlo Sommaruga (SP, GE) in Bern getagt.