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Schwerpunkte der Session
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Wortmeldungen von Mitgliedern der ERD
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Spezielle Sitzungen, Rahmenevents und Treffen
1. Schwerpunkte der Session
Rückblick auf die Konferenz «Wahlen in Krisenzeiten» in Bern, 9./10. Mai 2023
Im Rahmen des Tätigkeitsberichts des Büros blickte
Damien Cottier (FDP, NE) auf die Konferenz «Wahlen in Krisenzeiten» zurück, welche am 9. und 10. Mai in Bern stattgefunden hatte und vom Schweizer Parlament und von der Parlamentarische Versammlung des Europarates organisiert worden war. An der Konferenz nahmen rund 130 Parlamentarierinnen und Parlamentarier aus ganz Europa sowie Vertreterinnen und Vertreter von nationalen Wahlbehörden, internationalen Organisationen, Hochschulen und der Zivilgesellschaft teil. Die Konferenz reiht sich ein in verschiedene Feierlichkeiten zum 60-Jahre-Jubiläum des Schweizer Beitritts zum Europarat (6. Mai 1963).
Die Konferenz in Bern konzentrierte sich auf vier zentrale Krisenherde und Herausforderungen für die Durchführung freier und fairer Wahlen: Einfluss der Covid-19-Pandemie auf Wahlen; Auswirkungen von Naturkatastrophen auf Wahlen; Wahlen in Kriegs- und Konfliktsituationen; Bedeutung der künstlichen Intelligenz für Wahlen.
«Anpassung und Antizipation» – mit diesen Worten fasste
Damien Cottier die
Schlusserklärung der Konferenz zusammen. Die Wahlprozesse sollten sich an die sich verändernde Welt und an moderne Krisen anpassen und diese besser antizipieren. Die Schlusserklärung von Bern kann den Mitgliedsländern des Europarates in diesen vier Bereichen als Leitfaden dienen. Damien Cottier rief die Versammlung dazu auf, auf der Grundlage der Diskussionen und Erkenntnisse der Berner Konferenz sinnvolle Folgearbeiten aufzunehmen, insbesondere im Hinblick auf allfällige Wahlen in der Ukraine nach der Aufhebung des Kriegsrechts.

Damien Cottier / Hannes Germann ©Parlamentsdienste
Wie weiter nach dem Reykjavik-Gipfel?
Am 16. und 17. Mai 2023 fand in Reykjavik der vierte
Gipfel der Staats- und Regierungschefinnen und Regierungschefs der Mitgliedsländer des Europarates statt. Die PVER war ein wichtiger Treiber der Durchführung eines solchen Treffens, nachdem der letzte Gipfel im Jahr 2005 stattgefunden hatte.
Am Reykjavik-Gipfel wurde eine ehrgeizige politische Agenda für den Europarat aufgestellt. Die PVER brachte an der Sitzung des Ständigen Ausschusses in
Riga (26. Mai 2023) ihre nachdrückliche Unterstützung für die
Erklärung von Reykjavik und die darin enthaltenen Vorschläge zum Ausdruck. In einer an das Ministerkomitee adressierten
Stellungnahme zum Budget und zu den Prioritäten des Europarates stimmte die Versammlung der Erklärung von Reykjavik und ihren Anhängen zu, die die Prioritäten setzt für die Arbeit des Europarates und diesen eine Stossrichtung/strategische Richtung gibt?. Sie begrüsste das erneute Bekenntnis der Mitgliedsländer zu den in der Satzung des Europarates verankerten Grundwerten: Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit. In der Diskussion, basierend auf Berichten von
Ingjerd Schou (Norwegen, EPP), wurde betont, dass die ehrgeizigen Ziele, welche in Reykjavik beschlossen wurden, nur erreicht werden können, wenn der Europarat mit Ressourcen ausgestattet wird, die auch den politischen Ambitionen der Mitgliedsländer entsprechen. Diese Ressourcen sollten über das reale Nullwachstum hinausgehen. Die PVER verabschiedete sodann eine
Resolution zu ihren Ausgaben an das Ministerkomitee. Die der Versammlung aus dem ordentlichen Haushalt des Europarates zugewiesenen Beträge decken die Personal- und Betriebskosten, einschliesslich derjenigen der Fraktionen. In der Debatte wurde auf den steigenden finanziellen Druck auf die Fraktionen hingewiesen.
Debatte über Migration: Strategien für Integration und soziale Inklusion
Die Versammlung debattierte über mehrere Migrationsthemen. Die gemeinsame Debatte zu drei Resolutionsentwürfen wurde mit einer Schweigeminute für all diejenigen eröffnet, die bei der jüngsten Tragödie im Mittelmeer ihr Leben verloren hatten: Bei einem Schiffsunglück vor der griechischen Küste kamen nach Schätzungen der griechischen Behörden mehr als 500 Menschen ums Leben. In der anschliessenden Diskussion zeigte sich ein Grossteil der anwesenden Mitglieder besorgt über den gegenwärtigen Diskurs in den Mitgliedsländern, der darauf abziele, Ängste und Ressentiments gegenüber Menschen aus anderen Ländern zu schüren. In einer
Resolution, basierend auf einem Bericht von
Domagoj Hajduković (Kroatien, SOC), betonte die Versammlung, wie wichtig eine Verbesserung der Integrationsbemühungen ist, um die Inklusion und den sozialen Zusammenhalt zu stärken. Die Resolution enthält sechzehn Massnahmen, welche die Mitgliedstaaten des Europarates zur Integration von Migrantinnen und Migranten oder von Geflüchteten und zur Förderung des Zusammenhalts in der Gesellschaft ergreifen können. Die Parlamentarierinnen und Parlamentarier betonten insbesondere den dynamischen Prozess der Integration, der gegenseitige Anpassungen voraussetzt und bei dem sowohl die Migrantinnen und Migranten oder die Geflüchteten als auch die Aufnahmegesellschaften eine Verantwortung für den Erfolg tragen.
Ein zweiter Bericht von
Nigar Arpadarai (Aserbaidschan, EC/DA) befasste sich mit der Rolle des Sports bei der sozialen Eingliederung von Migrantinnen und Migranten, Geflüchteten und Binnenvertriebenen. Die verabschiedete
Resolution fordert die Mitgliedstaaten auf, allen Menschen mit Migrations- oder Fluchthintergrund einen angemessenen Zugang zu Sporteinrichtungen und -aktivitäten zu ermöglichen.
Das dritte Thema in der Migrationsdebatte betraf den Schutz von Sans-papiers und Personen mit irregulärem Aufenthaltsstatus in der Arbeitswelt.
Ada Marra (SP, VD) war
Berichterstatterin für die Kommission für soziale Fragen, Gesundheit und nachhaltige Entwicklung (AS/Soc). Sie führte aus, dass es in Europa etwa vier bis fünf Millionen Menschen ohne gültige Aufenthaltstitel gibt, unter denen sich zahlreiche unsichtbare Arbeitnehmende befinden. Diese Menschen nähmen ohne rechtliche Anerkennung am Arbeitsmarkt teil, blieben aber in einer sozioökonomisch prekären Situation, mit eingeschränktem oder fehlendem Zugang zu Arbeitsrechten. Sie seien in einem hohen Masse dem Risiko von Missbrauch, Ausbeutung oder sogar Zwangsarbeit ausgesetzt. Die PVER schlägt eine Reihe bewährter Massnahmen vor, welche die Mitgliedsstaaten übernehmen können, um den Status von undokumentierten Arbeitnehmenden zu legalisieren und ihre Integration zu erleichtern: namentlich die Zurverfügungstellung mehrsprachiger Informationen über offizielle Verfahren; die Sicherstellung, dass ein Beschäftigungswechsel den Aufenthaltsstatus nicht beeinträchtigt oder auch die Gewährleistung des Zugangs zur Gesundheitsversorgung für alle Arbeitnehmenden.

Ada Mara ©Parlamentsdienste
Der Krieg in der Ukraine und seine Folgen
Auch in der Sommersession hielt der Ukrainekrieg die PVER in Atem. Die Kommission für politische Fragen und Demokratie (AS/Pol) und die Kommission für Migration, Flüchtlinge und Vertriebene (AS/Mig) führten eine gemeinsame Anhörung durch, um mit Vertreterinnen und Vertretern der russischen Zivilbevölkerung über die Herausforderungen von Russinnen und Russen im Exil zu sprechen. Hierbei stützte sich die PVER auf zwei Resolutionen, welche die Versammlung im Jahr 2022 als Antwort auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine verabschiedet hatte: Die Resolutionen
2433 «Folgen der Aggression der Russischen Föderation gegen die Ukraine: Rolle des Europarates» und
2473 «Stärkung der Rolle des Europarates als Grundpfeiler der politischen Architektur Europas». So verlangt die PVER gestützt auf Paragraph 18.2 der Resolution 2433, dass ihre Mitgliedsstaaten die belarussische und russische Zivilgesellschaft, deren Menschenrechtsverteidigerinnen und Menschenrechtsverteidiger, unabhängige Medienschaffende, die Wissenschaft und die demokratischen Kräfte, die die Werte und Grundsätze des Europarates achten, in ihrem Widerstand unterstützen.
Der Krieg in der Ukraine tangiert auch die Welt des Sports. Deshalb beschäftigten sich die Mitglieder der PVER mit der Frage, ob russischen und belarussischen Athletinnen und Athleten die Teilnahme an den olympischen und paralympischen Spielen 2024 in Paris untersagt werden soll. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) prüft derzeit die Möglichkeit, Athletinnen und Athleten mit russischem oder belarussischem Pass in Paris als «neutrale Athletinnen und Athleten» starten zu lassen, und wird voraussichtlich in Kürze eine Entscheidung treffen. In der
Resolution fordert die PVER das IOC und die ihm angehörenden Sportverbände dazu auf, die Position von 2022 beizubehalten und die Teilnahme russischer sowie belarussischer Athletinnen und Athleten an den Spielen in Paris 2024 und allen anderen grossen Sportereignissen zu verbieten. Dieses Verbot solle solange gelten, wie der russische Angriffskrieg andauert.
Obschon eine deutliche Mehrheit der anwesenden Parlamentarierinnen und Parlamentarier die Resolution annahm, wurde die Frage dennoch kontrovers diskutiert, auch innerhalb der ERD.
Sibel Arslan (Grüne, BS) sprach sich für die Resolution aus, denn gerade in autoritären Regimen würden Sportlerinnen und Sportler für Propaganda ausgenutzt, kritische Stimmen hätten es schwer in diesen Kontexten ihre Karriere zu verfolgen und würden unter Druck gesetzt.
Roland Rino Büchel (SVP, SG) hingegen äusserte Bedenken an einem Verbot:
«Wollen wir das IOC tatsächlich dazu nötigen, seine Charta zu verletzen? Dort sind unter anderem folgende Prinzipien festgelegt, ich zitiere: Die Ausübung von Sport ist ein Menschenrecht. Jede Form von Diskriminierung eines Landes oder einer Person aufgrund von Rasse, Religion, Politik, Geschlecht oder aus sonstigen Gründen ist mit der Zugehörigkeit zur Olympischen Bewegung nicht vereinbar.»

Roland Büchel ©Parlamentsdienste
Belarus
Die aktuelle Lage in Belarus war einer der Schwerpunkte der Sommersession der PVER, denn es standen gleich mehrere Debatten dazu auf der Tagesordnung. Bevor in der Plenardebatte der
Bericht «Die Bewältigung der besonderen Herausforderungen für Belarussinnen und Belarussen im Exil» diskutiert wurde, hörte sich die PVER einen musikalischen Beitrag des belarussischen
Volny-Chors an. Der Volny-Chor – übersetzt «friedlicher Chor» – wurde als Reaktion auf die belarussischen Präsidentschaftswahlen im August 2020 und die darauffolgenden Proteste, bei denen Sicherheitskräfte mit Härte gegen Protestierende vorgegangen waren, gegründet. Seither gilt der Chor als Symbol des friedlichen Protests. Gemäss eigenen Angaben wurden in Belarus zahlreiche Chormitglieder verhaftet oder werden verfolgt. Daher flüchteten die restlichen Mitglieder aus Belarus und koordinieren ihre Auftritte von Polen aus.[1]
Volny Chor ©Europarat
In der Debatte thematisierte die PVER die Herausforderungen, denen Belarussinnen und Belarussen gegenüberstehen, die nach den Präsidentschaftswahlen im August 2020 unfreiwillig das Land verlassen mussten. Dazu hörte sich die PVER auch die Ansprache der belarussischen Oppositionsführerin Swjatlana Zichanouskaja an, welche die Dringlichkeit betonte, sich mit der Situation der von im Exil lebenden Belarussinnen und Belarussen zu befassen. Die
Wortmeldung von Nationalrat Pierre-Alain Fridez (SP, JU), der im Namen seiner Fraktion sprach, finden Sie auf der Webseite.
Pierre-Alain Fridez ©Parlamentsdienste
2. Weitere Wortmeldungen von Mitgliedern der ERD
Gesundheitsnotstand: Die Notwendigkeit eines ganzheitlichen Ansatzes für den Multilateralismus und die Gesundheitsversorgung
Nationalrat
Jean-Pierre Grin (SVP, VD) ergriff im Namen seiner politischen Fraktion zu Beginn der Debatte zum
Bericht «Die Notwendigkeit eines ganzheitlichen Ansatzes für den Multilateralismus und die Gesundheitsversorgung» das Wort. Die effektive Bekämpfung und Prävention von Infektionskrankheiten sei, so Jean-Pierre Grin, eine der grössten Herausforderungen unserer Zeit im Gesundheitsbereich. Die Versammlung betonte, dass es multilaterale Lösungsansätze und eine Kooperation der Weltgesundheitsorganisation (WHO), der Welthandelsorganisation (WTO) und weiterer Interessensgruppen braucht, um in Zukunft besser gegen Gesundheitskrisen gewappnet zu sein.
Jean-Pierre Grin ©Parlamentsdienste
Die Folgen der Reform der Menschenrechtsgesetzgebung im Vereinigten Königreich für den nationalen und den europäischen Schutz der Menschenrechte
Die Asylpolitik des Vereinigten Königreichs sorgte im vergangenen Jahr immer wieder für internationale Schlagzeilen. Die PVER forderte in ihrer
Resolution «Die Folgen der Reform der Menschenrechtsgesetzgebung im Vereinigten Königreich für den nationalen und den europäischen Schutz der Menschenrechte» die Regierung und das Parlament des Staates auf, den Inhalt der zwei Gesetzesentwürfe «Bill of Rights Bill» und «Illegal Migration Bill» sorgfältig zu prüfen. Die Versammlung äusserte die Befürchtung, dass diese Gesetzesentwürfe – wenn sie in Kraft treten –
«das Risiko bergen, dass das Vereinigte Königreich gegen seine internationalen Verpflichtungen verstösst». Das Inkrafttreten der Gesetzesentwürfe würde unter anderem internationale Bestimmungen zum Schutz der Opfer von moderner Sklaverei und Menschenhandel oder die Schutzmassnahmen gegen die unbefristete oder willkürliche Inhaftierung von Migrantinnen und Migranten verletzen.
Nationalrat
Damien Cottier (FDP, NE) in seiner Funktion als Präsident der AS/Jus schloss die Debatte mit seiner Wortmeldung. Er erinnerte das Vereinigte Königreich in seiner
Rede an dessen Pflicht, die Menschenrechtsverpflichtungen auf nationaler Ebene zu respektieren und wirksam umzusetzen. Nationalrätin
Sibel Arslan präsidierte diese Debatte in ihrer Funktion als Vize-Präsidentin der PVER.
Sibel Arslan ©Europarat
Die digitale Kluft schliessen: den gleichberechtigten Zugang zu digitalen Technologien fördern
Digitale Technologien sind allgegenwärtig in unserem Alltag. Die PVER drückte in der Debatte zum
Bericht «Die digitale Kluft schliessen: den gleichberechtigten Zugang zu digitalen Technologien fördern» die Notwendigkeit aus, allen Menschen einen gerechten, bezahlbaren und sicheren Zugang zum Internet zu gewährleisten. Den
Redebeitrag von
Ada Marra (SP, VD) finden Sie auf der PVER-Webseite.
3. Spezielle Sitzungen, Rahmenevents und Treffen
Liliane Maury Pasquier, der ehemaligen Genfer Ständerätin und Präsidentin der PVER (2018–2019), wurde für ihr Engagement im Europarat am Montag, 19. Juni 2023, von der ständigen Vertreterin Frankreichs beim Europarat der Orden des
Chevalier de l'Ordre national de la Légion d'Honneur (Ritter des Nationalordens der Ehrenlegion) verliehen. Die Schweizer Delegationsmitglieder wohnten dieser Veranstaltung bei.
Feier für Liliane Maury Pasquier ©Parlamentsdienste
Besuch einer Schulklasse des Gymnasiums «Denis-de-Rougemont»
Am Dienstag, 20. Juni 2023, besuchte eine Neuenburger Gymnasialklasse den Europarat. Die Schülerinnen und Schüler tauschten sich mit Delegationspräsident Damien Cottier und Ada Marra aus und hatten die Gelegenheit für ein kurzes Treffen mit dem Präsidenten der PVER, Tiny Kox. Am Nachmittag wohnten sie der Plenarsitzung im Europaparlament bei.
«Denis-de-Rougemont» ©Parlamentsdienste
Treffen mit der Delegation von Liechtenstein
Am Mittwoch, 21. Juni, fand auf Einladung der liechtensteinischen Delegation in der Residenz der ständigen Vertretung des Fürstentums Liechtenstein ein bilaterales Treffen und Abendessen statt. Die Schweizer Delegation nutzte die Gelegenheit, sich mit den liechtensteinischen Kolleginnen und Kollegen über die Prioritäten des bevorstehenden Vorsitzes Liechtensteins im Europarat auszutauschen (Liechtenstein wird im November 2023 von Lettland den Vorsitz im Ministerkomitee übernehmen).
Empfang Liechtenstein ©Ständige Vertretung des Fürstentums Liechtenstein